Anti-Terror-Gesetz: Warnung vor neuer Geheimpolizei

Erstveröffentlicht: 
18.10.2011

Der Berliner Verfassungsrechtler Martin Kutscha hat große Zweifel daran, dass der Regierungsentwurf zur Verlängerung von Befugnissen aus dem Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz (TBEG) mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Vor allem die geplante Auskunftspflicht, wonach privaten Stellen wie Banken, Telekommunikationsunternehmen, Anbieter von Telediensten oder Fluggesellschaften künftig Informationen über Verdächtige unverzüglich, vollständig, richtig und in geeignetem Datenformat an den Verfassungsschutz und andere Geheimdienste herausgeben müssten, kollidiere mit dem sogenannten Trennungsgebot, warnte der Jurist bei einer Anhörung (PDF-Datei) im Innenausschuss des Bundestags am Montag. Dieses besage, dass Nachrichtendienste keine polizeilichen Befugnisse haben dürften.

 

Sollte das Parlament das umstrittene Vorhaben unverändert verabschieden, müsste man daher von einer Geheimpolizei sprechen, gab der Professor der Hochschule für Wirtschaft und Recht zu bedenken. Dazu komme die Frage, ob der Verfassungsschutz überhaupt für die Verfolgung oder Verhinderung von "home-grown terrorism" zuständig sei oder ob dies nicht vielmehr ins Aufgabenfeld der Polizei falle. Nicht zuletzt seien die angeführten Kriterien zur Auswertung von Verbindungs- und Standortdaten nicht vereinbar mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung, da Geheimdienste demnach nur bei konkreter Gefahr für höchste Schutzgüter an die mitprotokollierten Nutzerspuren herandürften.

 

Auch dem Freiburger Staatsrechtswissenschaftler Ralf Poscher stieß die im Raum stehende ausdrückliche Befugnis für den Verfassungsschutz, "mit polizeilichem Befehl und unter Umständen auch mit Zwang" handeln und Auskünfte verlangen zu können, übel auf. Als Ausgleich müsse zumindest die parlamentarische Kontrolle im "G 10"-Gremium deutlich verbessert werden, forderte er. Dazu kämen andere "Verwerfungen". So würden für einige Abfragemöglichkeiten die Schwellen erhöht, der Zugriff auf Teledienste-Stammdaten aber erleichtert.

 

Mit Sorge erfüllte den Experten ferner, dass auch friedliche Formen von Protest ins Visier von Maßnahmen geraten könnten, die eigentlich nur gegen Terrorismus aufgefahren werden sollten. So würden künftig unter dem Begriff des "Aufstachelns" etwa das bloße Befürworten von Gewalt, Sitzblockaden und kritische journalistische Kommentare mit einer unterstellten einschlägigen "geistigen Wirkung" erfasst. Insgesamt sei das Sicherheitsrecht längst nicht mehr stimmig und bedürfe einer grundlegenden Reform.

 

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hielt die vorgesehen Kompetenzen für "Exekutivmaßnahmen" der Geheimdienste ebenfalls für problematisch im Hinblick auf das Trennungsprinzip. Der parlamentarischen Begutachtung der Arbeit der Geheimdienstler stand der Sachverständige grundsätzlich positiv gegenüber. Er verwies aber auf ein damit verknüpftes praktisches Problem von Kontrolllücken, da die von ihm geführte Behörde bei der Zuständigkeit der Prüfer im Bundestag selbst außen vor bleibe. Dies sei prekär, wenn Geheimdienstmaßnahmen zu polizeilichem Handeln führten, das wiederum der Kontrolle des Datenscnutzbeauftragten unterliege. Die geplanten zentralen Abfragemöglichkeiten für Kontostamm- und Flugpassagierdaten öffnen laut Schaar zudem eine Hintertür für einfachere Eingriffe in Grundrechte Dritter. Der Evaluierungsbericht des TBEG aus dem Innenministerium, rügte er weiter, sei unzureichend gewesen.

 

Insgesamt positiv bewertete der Berliner Verwaltungsrechtler Ulrich Battis die Initiative, regte aber eine bessere personelle und sachliche Ausstattung der "G 10"-Kommission an. Dieter Kugelmann von der Hochschule der Polizei in Münster sprach von einer "Konkretisierung von Aufgaben und Befugnissen". Die mitgelieferte Verordnungsermächtigung für eine Vereinheitlichung der Datenformate schieße aber übers Ziel hinaus, erleichterte die weitere Übermittlung der abgefragten Informationen und könne die Eingriffstiefe der Maßnahmen verschärfen.

 

Der Staatsrechtler Heinrich Amadeus Wolff, den das Innenministerium mit der TBEG-Überprüfung beauftragt hatte, sah "kein richtiges Problem" mit den mit Exekutivmacht unterfütterten Auskunftsansprüchen. Er könne aber auch die Bauchschmerzen seiner Kollegen verstehen. Kritikwürdig sei, dass eine Mitteilung über erfolgte Überwachungsmaßnahmen teils unterbleiben könne und so Betroffenen die Möglichkeit, Rechtsmittel dagegen einzulegen, aus der Hand genommen werde.

 

Als "sehr gelungen" bezeichnete Alexander Eisvogel, Vizepräsident beim Bundesamt für Verfassungsschutz, den Entwurf. Er sehe mit der besonders umstrittenen Passage keine Erlaubnis verknüpft, etwa mit Zwangsgeldern arbeiten zu dürfen. Vielmehr würden damit bestehende Rechtsunsicherheiten zum Auskunftsrecht beseitigt. Generell hätten sich die Befugnisse als unabdingbar erwiesen und die Staatsschützer davon stets mit Augenmaß und Zurückhaltung Gebrauch gemacht. Bei den Erweiterungen handle es sich um nötige Anpassungen an "geänderte Gegebenheiten". So seien über zentrale Flugbuchungssysteme Reisewege von Dschihadisten deutlich besser zu verfolgen und über die Kontostammdatenabfrage alle Bankverbindungen zu erfassen. (Stefan Krempl) / (jk)