Thorsten Mense: Die Burschenschaften sind reformunfähig
Eine Saarbrücker Burschenschaft hat mit antisemitischen und rassistischen Gewaltphantasien für Empörung gesorgt. Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Deutsche Burschenschaft nicht zu liberalisieren ist.
»Ein Club, in dem Rassismus und Menschenverachtung zum Selbstverständnis gehören«, befand der SPD-Landtagsabgeordnete Reinhold Jost. Sogar Roland Theis, Generalsekretär der Saar-CDU sprach von »abstoßendem und widerlichem Gedankengut«. Gemeint war die »Burschenschaft Ghibellinia zu Prag« in Saarbrücken, Mitglied in der Deutschen Burschenschaft (DB), die Ende September durch ein vermeintlich satirisches Protokoll in die Schlagzeilen geraten war. Darin konnte man lesen, die Burschenschaft habe einen Brief des »Jüdischen Weltkongresses« erhalten, in dem dieser sich für die Schmähung des Alten Herren Hugo Jury entschuldige. Als Wiedergutmachung habe ein Scheck über »eine Million Dollar« beigelegen, zudem werde ein Film über Jurys Verdienste um das Weltjudentum gedreht. Jury war Gauleiter und SS-Obergruppenführer.
Im Anschluss an den Tagesordnungspunkt »folgt ein kleines Progrom«, so das Protokoll. Im Laufe der fiktiven Versammlung werden dann »Neger im Garten gelyncht« und Vorschläge für kommende Aktivitäten gesammelt: »Aktivenfahrt nach Namibia zur Negerjagd«. Wie nah die vermeintliche Satire an der burschenschaftlichen Gesinnung liegt, zeigt der Punkt »Ausflug nach Südtirol mit Mastensprengung«. Die Sprengung von Strommasten war ein beliebtes Mittel des sogenannten Südtiroler Freiheitskampfes in den sechziger Jahren. Mehrfach wurden in der Vergangenheit Erhart Härtung und Peter Kienesberger für Vorträge zu diesem Thema in Verbandshäuser eingeladen. Beide wurden von einem italienischen Gericht wegen eines tödlichen Bombenanschlags zu lebenslanger Haft verurteilt.
Die Empörung im Saarland war erwartungsgemäß groß. Dabei hatte der CDU-Generalsekretär Theis der Burschenschaft noch im vergangenen Jahr bei einem Festakt für ihr Engagement »zur Wahrung demokratischer und freiheitlicher Werte« gedankt und ihr eine Spende für die »Aktivenarbeit« überreicht. Der stellvertretende Landesvorsitzende der FDP, Sebastian Greiber, sagte bei der gleichen Veranstaltung: »Die Flamme der Burschenschaft möge in unserem wunderschönen Saarland ewig brennen.« Dann wurde gemeinsam das Lied »Deutsch ist die Saar« gesungen, mit dem 1935 für den Beitritt des Saarlandes zum Deutschen Reich geworben wurde. Wo die Burschenschaft politisch zu verorten ist, war also schon damals klar. Noch im März bezeichnete die Saar-CDU Kritik an ihren Verbindungen zur Burschenschaft als »Popanz«. Auch der ehemalige SPD-Ministerpräsident Reinhard Klimmt sprach damals von einer »lächerlichen Diskussion«.
Nun sind sich alle wieder einig, diesmal in ihrer Ablehnung der Rechtsextremen. Ähnlich verhielt es sich während der öffentlichen Diskussion um den »Ariernachweis« im Juni (Jungle World 25/11). Die »Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn« wollte die Mannheimer Burschenschaft Hansea aus der DB verbannen, da sie Kai Ming Au, einen Deutschen mit chinesischen Eltern, aufgenommen und damit gegen das »Abstammungsprinzip« verstoßen hatte. Ein Skandal, waren sich alle einig, die Medien sprachen von einem »Rechtsruck« in der DB. Dabei ist der sogenannte volkstumsbezogene Vaterlandsbegriff – also ein völkisches Verständnis von Nation – seit ihrer Gründung der ideologische Grundpfeiler der Organisation. Belege für das völkisch-nationalistische Selbstverständnis und ihr revisionistisches, bis zur NS-Verherrlichung reichendes Geschichtsbild füllen ganze Bücher. Daher sind auch die jüngsten Distanzierungen der vermeintlich liberalen Burschenschaften und anderer Verbindungen eine Farce.
Die in den vergangenen Monaten auf linksunten.indymedia.org veröffentlichten Interna der Burschen – wie etwa der Entwurf eines Strategieprogramms der DB und interne Dokumente vom Burschentag – erwecken den Eindruck, dass sich inhaltlich bei der DB anscheinend wenig geändert hat, seit die Medien über ihr rassistisches Weltbild berichtet hatten. Im Gegenteil: Glaubt man den auf Indymedia veröffentlichten Dokumenten, wollen die extrem rechten Kreise aus dem Umfeld der Burschenschaftlichen Gemeinschaft (BG) nun den Dachverband übernehmen. »Wenn offenbar ›divide et impera‹ nicht funktioniert, sollten wir uns nun unter der Strategie (… übernehmen wir halt den Laden …) auf den kommenden BT vorbereiten«, konnte man in offenbar geleakten E-Mails, die auch auf Indymedia veröffentlicht wurden, einen Tag nach dem Burschentag (BT) lesen. Als mutmaßlicher Verfasser wird auf der Internetplattform Rudolf Schwarz genannt, Alter Herr der Burschenschaft »Tuiskonia Karslruhe«. Wie auf Indymedia weiter berichtet wird, soll Schwarz seit 2010 maßgeblich an der Ausarbeitung eines Strategiepapiers der DB beteiligt sein, offenbar mit dem Ziel, den völkischen Charakter des Verbandes zu wahren.
Der Burschenschaftsexperte Dietrich Heither hat die DB kürzlich als »Auffangbecken für die Verlierer der Moderne« bezeichnet, das den Anschluss an die Gesellschaft längst verloren habe. So desaströs der derzeitige Zustand des drittgrößten Dachverbandes deutscher Verbindungen auch scheint, sollte man ihn weiterhin ernst nehmen. Immerhin sitzen sieben Verbandsbrüder der DB im Bundestag, die Kontakte zu Wirtschaft und Politik sind vielfältig, zudem hat die DB doppelt so viele Mitglieder wie die NPD, von der sie sich inhaltlich nur marginal unterscheidet, wie das Beispiel aus Saarbrücken erneut beweist. Bei den Streitigkeiten zwischen dem »liberalen« und dem »rechten« Flügel in der DB darf auch nicht vergessen werden, dass es Flügelkämpfe innerhalb eines extrem rechten Vereins sind. Dass Kai Ming Au vorerst Verbandsbruder bleiben darf und kommendes Jahr sogar für ein Amt kandidieren will, ist keineswegs als Fortschritt anzusehen. Es zeigt vielmehr, dass sich selbst extrem rechte Weltbilder modernisieren lassen und dabei trotzdem reaktionär bleiben. Ein ebenfalls auf Indymedia geleakter, unveröffentlicht gebliebener Leserbrief an die Burschenschaftlichen Blätter von fünf Alten Herren der Bonner Raczeks-Burschenschaft veranschaulicht dies: Sie fordern, sich der Modernisierung nicht zu verweigern, da man sonst »zu Totengräbern der Burschenschaftlichen Bewegung« werde. Schließlich habe sich Verbandsbruder Kai Ming Au »so weit assimiliert, dass er sich in einer Deutschen Burschenschaft engagiert«.