Die Situation der Familie Krasniqi aus dem Kosovo ist tragisch, ihr Aufenthaltsstatus unsicher.
OFFENBURG. Sie träumen schon lange von einem normalen Leben – doch werden die Krasniqis das je haben? Für die fünf Geschwister Figerie (15), Sultan (17), Velji (18), Naxherie (27) und Sevdije (32) Krasniqi und ihre 48 Jahre alte allein erziehende Mutter herrscht seit 13 Jahren Ausnahmezustand. Nicht nur, weil sie fast alle krank sind: Drei der Geschwister sind blind, Naxherie Krasniqi und ihre Mutter haben Diabetes. Noch schlimmer ist: Die Familie lebt immer wieder neu mit der Angst vor einer Abschiebung in den Kosovo.
Seit kurzem ist erstmal wieder Aufatmen angesagt. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat Harald Schandl, dem Freiburger Anwalt der Krasniqis, nach einer Phase bangen Abwartens vor ein paar Wochen versichert, dass in nächster Zeit nichts passieren wird. Da lag schon in der Luft, dass die neue grün-rote Landesregierung aktiv werden würde bei Abschiebungen von Roma und anderen ethnischen Minderheiten in den Kosovo. Die Krasniqis sind Ashkali. Ende Juli kündigte Innenminister Reinhold Gall (SPD) dann an, dass Kosovo-Abschiebungen vorläufig ausgesetzt werden. Eine Kommission des Petitionsausschusses soll die Lage der Minderheiten dort prüfen.
Für die Krasniqis ist der Kosovo schon lange keine Heimat mehr: Als sie im Jahr 1998 flohen, waren die jüngsten der Geschwister zwischen zwei und fünf Jahre alt. In Deutschland sind sie aufgewachsen. Aber zur Ruhe gekommen sind sie hier bis heute nicht. Stattdessen haben sie erlebt, wie sich eine Abschiebung anfühlt: Im Jahr 2005 haben eines Nachts gegen 4 Uhr Polizisten an die Tür gehämmert, erinnert sich der 17-jährige Sultan Krasniqi. "Voll am Zittern" sei er gewesen, alle hätten geweint. Die Mutter sei zusammengebrochen und ohnmächtig geworden, daraufhin habe ihr ein Polizist auf die Wangen geklopft, dann ging es weiter. Die Krasniqis wurden zum Flughafen nach Baden-Baden gebracht.
In letzter Minute wurde die Abschiebung durch einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestoppt. Danach brachte die Bleiberechtsregelung für eine Weile Entspannung. Aber diese Regelung hilft dauerhaft nur denen, die arbeiten und sich selbst versorgen können, nicht Alten oder Kranken, die dazu nicht in der Lage sind. In jener Ruhephase, als die Krasniqis vorübergehend einen Aufenthaltsstatus hatten, brachen für den blinden Sultan Krasniqi und seine ebenfalls blinde jüngere Schwester Figerie neue Zeiten an: Sie durften die Schule für Sehbehinderte in Waldkirch besuchen, endlich etwas lernen.
Sultan Krasniqi war Klassensprecher und träumte davon, einen Schulabschluss zu machen und in einem Büro zu arbeiten. Doch damit war es schnell vorbei, als der Aufenthaltsstatus wieder unsicher wurde. Für geduldete Flüchtlingskinder und -jugendliche gilt keine Schulpflicht, darum werden für sie keine Kosten für eine Schule für Sehbehinderte getragen, erläutert Hans-Peter Rothardt vom Migrationsamt des Landratsamts Ortenaukreis in Offenburg. So wurden die Jugendlichen wieder zum Nichtstun verdammt. "In der Schule habe ich mich voll ’reingehängt – jetzt sitze ich nur zu Hause herum", sagt Sultan Krasniqi.
Auch die älteste Schwester Sevdije Krasniqi ist blind, sie hat zwei acht und sechs Jahre alte Kinder und braucht dauernd Unterstützung von der Familie. Vor allem der 18-jährige Velji Krasniqi, der als Einziger gesund ist und kürzlich ebenfalls Vater wurde, springt ein, wenn Hilfe gefragt ist. Seine an Diabetes erkrankte Mutter ist bettlägerig, nachts liegt sie schlaflos oder hat Alpträume von irgendwann wieder drohenden Abschiebungen.
Das gesamte Leben der Krasniqis ist von der deutschen Bürokratie geprägt: Eigentlich müsste Sevdije Krasniqi mit ihren Kindern in abgelegenen Wohncontainern für Wohnungslose im Schuttertal leben – denn die Wohnung der restlichen Familienmitglieder in Offenburg ist zu klein. Sie waren dort eingezogen, nachdem sie nicht mehr in einer Flüchtlingsunterkunft leben mussten.
Es werde aber geduldet, dass die blinde Sevdije Krasniqi in Offenburg lebe, sagt Hans-Peter Rothardt. Die Lage der Familie sei wegen der vielen Erkrankungen außergewöhnlich schwierig und kompliziert, betont auch Manfred Garhöfer vom Regierungspräsidium Karlsruhe. Es müsse geprüft werden, ob die Kranken im Kosovo zurechtkommen könnten. Bis dahin seien die Krasniqis sicher. Doch was kommt dann?
Sultan Krasniqis Wünsche sind bescheiden – und doch Luxus für einen wie ihn: "Keine Angst und keinen Stress mehr haben. Und einfach mal die Sonne genießen."
Flüchtlinge in Offenburg
Derzeit leben rund 430 Menschen in Offenburg als Flüchtlinge. Die 15 Reihenhäuser der staatlichen Flüchtlingsunterkunft seien "bis an den Rand" mit rund 180 Bewohnern belegt, sagt Hans-Peter Rothardt. Etwa 250 weitere Flüchtlinge leben mit Duldungen in Wohnungen. Die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge in Offenburg hat sich – wie bundesweit – nach einem stetigen jahrelangen Rückgang im Vergleich zu den Jahren von 2007 bis 2009 inzwischen fast verdreifacht. Für 2011 wird mit einer Zahl zwischen 250 bis 300 Neuankömmlingen gerechnet. Vor zehn Jahren allerdings kamen noch rund 400 Flüchtlinge neu nach Offenburg.