Spaniens Blase: Einmal Eigentum und retour

Erstveröffentlicht: 
30.09.2011

Der Wunsch nach Eigentum, Spekulation und billige Kredite ließen den spanischen Wohnbau boomen. Heute stehen drei Millionen Wohnungen leer

 

Der Stadtteil Sanchinarro im Norden der spanischen Hauptstadt Madrid ist das, was man gemeinhin als "aus dem Boden gestampft" bezeichnet: Hunderte Gebäude mit insgesamt 13.000 Wohnungen, allesamt keine fünf Jahre alt. Die U-Bahn ist da, aber sonst fast nichts, keinerlei Infrastruktur und nur wenige Geschäfte. Es ist eine reine Schlafstadt, die hier unweit des Madrider Flughafens in die dürre Wiese gesetzt wurde, in der aber in jeder fünften Wohnung niemand schläft, weil sie leer steht.

 

Betonklotz als Wahrzeichen
Um das ganze 400 Hektar große Gelände etwas aufzuwerten, hatte man sich etwas Besonderes einfallen lassen: Niederländische Architekten schufen ein "Wahrzeichen", nämlich einen zwanzigstöckigen Betonklotz namens "Edificio Mirador", der mit seinen Rot- und Grautönen auffällt - und mit seiner unorthodoxen Form: Auf den Etagen zwölf bis sechzehn klafft ein Loch im Bauwerk, und damit sieht das Ganze etwa so aus, als hätte hier jemand eine leere Bierkiste abgestellt: Die Party ist zu Ende.

Wie rauschend die spanische Immobilien-Fiesta in den Jahren davor gewesen ist, belegen ein paar wenige Zahlen: Wurden in Spanien im Jahr 1995 noch relativ weniger Wohnungen gebaut als in Österreich (5,6 bzw. 6,6 je 1000 Einwohner), so schnellte diese Zahl im nächsten Jahrzehnt in lichte Höhen. 2005 wurden 17,3 Wohnungen, 2006 sogar 18,2 Wohnungen je 1000 Einwohner in Spanien fertiggestellt (in Österreich gingen die Zahlen zurück).

Drei Millionen leerstehende Wohnungen
Pedro Morón Bécquer, Professor an der Autonomen Universität Madrid, konnte im Zuge einer Exkursion des Vereins für Wohnbauförderung (vwbf) in die spanische Metropole, an der auch derStandard.at teilnahm, ebenfalls mit schier unglaublichen Zahlen aufwarten: Noch 1950 gab es in ganz Spanien nur drei Millionen Wohneinheiten. Heute, 60 Jahre und eine geplatzte Immobilienblase später, bewegt sich der landesweite Wohnungsleerstand (!) auf genau diesem Niveau, die Zahl der Wohneinheiten ist auf 25 Millionen geschnellt - bei einer derzeitigen Bevölkerung von knapp 46 Millionen Menschen.

Die Gründe für den Immo-Boom waren zahlreich, so Morón Bécquer: Die "Babyboom-Generation" der 60er-Jahre trat vermehrt als Käufer in Erscheinung, was die Nachfrage kräftig ankurbelte. Die Zuwanderung nach Spanien war sehr stark, auch die Neuankömmlinge brauchten Wohnungen. Vor allem aber stieg die Verfügbarkeit von Krediten stark an - und damit auch die Spekulation. Ein unfassbares Ringelspiel nahm seinen Lauf.

Fast alle profitierten vom Boom in "Españistan"
In dem animierten Kurzfilm "Españistan" von Aleix Saló, zu sehen auf YouTube, wird die ganze Misere auf herzhaft plakative Weise nacherzählt. Die Kürzestfassung lautet so: Ständig nach oben zeigende Immobilienpreise und billige Hypothekarkredite schienen den Traum vom Eigentum für alle wahr werden zu lassen. Im Jahr 2006 wurden in Spanien 860.000 Wohnungen fertiggestellt, das waren mehr als in Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen. Auch Private beteiligten sich an den Spekulationen: Werner Durrer, Madrider Architekt mit Schweizer Wurzeln und ein profunder Kenner der Szene, zeigt den österreichischen Besuchern ein vierstöckiges Zinshaus an der Plaza Santa Ana, dessen Wohnungen im Jahr 2002 noch vor der Fertigstellung um 3000 Euro je Quadratmeter verkauft wurden. Beim Bezug der Wohnungen zwei Jahre später hatten sich die Preise verdoppelt. Viele schöpften diesen Gewinn ab.

Wie anfangs überhaupt fast alle profitiert hätten vom Bauboom. Die Immo-Firmen und -Dienstleister, die Finanzunternehmen, die öffentliche Hand durch die Mehreinnahmen aus der Bausteuer, die Beschäftigten, die Investoren und auch die Käufer, die Gewinne aus Preissteigerungen erzielten. "Alle Beteiligten zogen einen Gewinn daraus - mit Ausnahme der Jugendlichen, die sich die teuren Wohnungen nicht leisten konnten."

Allerdings war der Boom nur von kurzer Dauer: Schon 2006 lag die Zahl der Fertigstellungen um 1,2 Millionen oder 40 Prozent über der Nachfrage, die sich aus der demografischen und ökonomischen Entwicklung ergab. Die Blase war drauf und dran, zu platzen - und es war keine einfache, sondern eine "double bubble": Sowohl die Wohnbau-Investitionen als auch die Häuserpreise hatten massiv zugelegt.

Teures Bauland ist nichts mehr wert
Letztere wurden von den Banken künstlich hochgetrieben, weil sie daran verdienten. Um anstatt der üblichen 70 bis 80 Prozent gleich 100 Prozent des Ankaufswerts einer Immobilie per Hypothekarkredit zu finanzieren, wurden recht fantasievolle Wertgutachten ausgestellt, die jedoch eine reale Annahme als Basis hatten: Weil die Preise zwischen 1996 und 2006 jedes Jahr zweistellig wuchsen, würden die Objekte schon bald tatsächlich das wert sein, was im Gutachten stand. 

Heute sitzen vor allem die spanischen Sparkassen auf riesigen Beständen an leer stehenden Neubauwohnungen, die sie von Käufern, die sich ihre Kredite nicht mehr leisten konnten, oder Bauträgern, die bankrott gingen, übernehmen mussten. Diese Bestände lassen sich nur durch Inkaufnahme größerer Abschreibungsverluste verwerten. Nicht zu vergessen die tausenden Hektar an Bauland, deren Ankauf zu horrenden Preisen die Sparkassen finanzierten, die heute aber praktisch nichts mehr wert sind. Viele Beobachter halten das sogar für das noch viel größere Problem der spanischen Sparkassen.

In Madrid wäre Bauland für 450.000 Wohnungen vorhanden; Grundstücke, die von 2002 auf 2010 eine Wertsteigerung von 400 Prozent erfahren hatten, wo aber nun auf absehbare Zeit nicht gebaut wird. Von 2006 auf 2009 ging das Bauvolumen in Spanien auf nur noch ein Sechstel zurück. Erst in vier bis fünf Jahren könnte wieder das "Normalmaß" von 250.000 Neubauwohnungen pro Jahr erreicht werden, schätzen Beobachter.

Jugendarbeitslosigkeit schnellte wieder hoch
Die Jugendarbeitslosigkeit ist heute wieder auf demselben Niveau wie Mitte der 90er-Jahre. Dazwischen war sie stark gesunken, weil viele Schüler und Studenten im Boom am Bau zu arbeiten begannen, ohne ihren Abschluss abzuwarten. Zu sehr lockte das viele Geld im Bausektor, der am Höhepunkt der Blase 2,8 Millionen Beschäftigte zählte.

Viele Firmen gingen inzwischen bankrott. Bei den Finanzunternehmen waren Umstrukturierungen nötig, auch den Gemeinden geht es heute schlecht: Die 4-prozentige Bausteuer war und ist ihre Haupteinnahmequelle, nun können sie ihre gewohnten Ausgabenstrukturen nicht mehr aufrecht erhalten.

OECD drängt auf Mieten-Förderung
Heute empfiehlt die OECD den Spaniern, wieder mehr - allerdings kaum vorhandenes - Geld in die Förderung des Mietsektors zu stecken. Der hohe Eigentumsanteil habe nämlich die Krise noch zusätzlich angeheizt, weil Wohnungseigentümer stärker an einen Ort gebunden sind als Mieter und deshalb weniger bereit sind, für einen Arbeitsplatz zu übersiedeln, heißt es in einer Studie aus dem Vorjahr.

In Madrid startete die Regierung außerdem ein Programm, das Wohnungsbesitzer dazu bewegen sollte, ihre Wohnungen zu vermieten. Die Verwaltung übernimmt die Stadt. Auch von den sinkenden Preisen kommt ein gewisser Druck, zu vermieten, weil sonst ein realer Wertverlust eintritt.

Und so ist der Anteil der Mietwohnungen in Spanien - er sank von über 50 Prozent in den 1950er-Jahren auf nur noch 18 Prozent im Jahr 2009 - langsam wieder im Steigen begriffen. Es gibt wieder Mieterbeihilfen, und die steuerlichen Anreize für den Kauf von Eigentum wurden verringert.

"Mieten-System schafft Spielraum"
Karl Wurm, Obmann des österreichischen Verbands gemeinnütziger Bauträger, zieht aus der spanischen Misere Lehren für die Alpenrepublik: Ein gewisser Bestand an Wohnungen, der dauerhaft für die Miete zur Verfügung steht, sei extrem wichtig, weil ein Mieten-System Spielraum schaffe für eine Volkswirtschaft. "Das spekulative Element, das kapitalmarktgetriebene Systeme wie in Spanien oder Großbritannien mit sich bringen, ist nicht einzuschätzen", in Spanien habe die hohe Verschuldung der Haushalte für die Schaffung von Eigentum letztlich auch die Kaufkraft und damit den Konsum entscheidend geschwächt. 

Das müssen nun auch die Bewohner des "Edificio Mirador" in Sanchinarro erfahren: Die 130 Wohnungen in dem rot-grauen Betonklotz mit dem Innenhof im 30. Stock sind zwar alle verkauft, und es handelt sich dabei auch um Sozialwohnungen, die gedeckelte Preise haben - sowohl beim Baugrund als auch bei der Errichtung. Hier zahlte man vor wenigen Jahren nur 2000 Euro pro Quadratmeter, im frei finanzierten Nachbarobjekt waren es da schon 4000 Euro. Und doch kommen neben dem laufenden Hypothekarkredit auf die hier lebenden Wenigverdiener noch schwierige Zeiten zu: Eine allfällige Sanierung in zehn oder 15 Jahren müssen sie dann nämlich neuerlich aus der eigenen Tasche finanzieren.