In Berlin demonstrierten unlängst mehrere tausend Menschen gegen steigende Mieten. Nun findet in Hamburg am 29. Oktober ebenfalls eine solche Demonstration statt, als Fortsetzung der letztjährigen "Leerstand zu Wohnraum" Demo. Zwei Tage vorher soll es die erste Mietenwahnsinnssymphonie geben: Eine neue Protestform, die versucht, über klassische Spektren hinaus in der gesamten Stadt durch Topfschlagen am Fenster oder auf der Straße einen Klangteppich der Unzufriedenheit zu erzeugen, um steigende Mieten und Wohnungsnot zu kritisieren.
Derzeit findet auch über diese Ereignisse hinaus eine Renaissance von Mieter_innenkämpfen statt. Doch anders als in den siebziger Jahren sind diese nicht in erster Linie vom Kampf gegen Kahlschlagsanierung bestimmt, sondern häufig vor allem von den Folgen schleichender Prozesse im Rahmen einer mehr oder weniger "behutsamen" Sanierung.
Die Formen der Stadtentwicklung haben sich insbesondere in den Metropolen einem Wandel unterzogen. Heute gelten neben infrastrukturellen Maßnahmen auch weiche Standortfaktoren wie ein kreatives Umfeld oder kulturelle Angebote als Motoren für eine städtische Aufwertung und Umstrukturierung. Zunehmend werden dabei auch Protestspektren selbst in die Ökonomisierung der Städte einbezogen oder durch Gentrifizierung zu einem unfreiwilligen Teil von Aufwertungsprozessen.
Die Gentrifizierung der Städte und des Widerstandes
In dem Maße, wie sich die Formen einer kapitalistischen Stadtentwicklung geändert haben, verändern sich auch die Proteste und deren Spektren, notwendigerweise auch deren inhaltliche Ausrichtung und Positionierung. Statt traditioneller Bündnispolitik mit Parteien oder angeschlossenen Verbänden als vermeintliche Stellvertreter_innen von Interessen entwickeln sich jenseits solcher Politikformen immer öfter Initiativen und Bewegungen aus sich selbst heraus.
Die Mietendemo in Berlin oder Recht auf Stadt in Hamburg liegen dabei ebenso im Trend wie die Platzbesetzer_innen in Barcelona oder Tel Aviv. Analog zu den sozialen und politischen Aufständen im arabischen Raum und weil gesellschaftliche Entwicklungen heute eben so schnell vermarktet werden, wie sie entstehen, wurde in den Medien für diese Entwicklung der Begriff der Facebookrevolution geschaffen. Die Bedeutung dieses Begriffes liegt dabei -jenseits der unterschiedlichen politischen Konflikte und Dynamiken- weder in der Marke noch im technischen Mittel, sondern in der Form einer selbstorganisierten politischen Vernetzung.
Die Vergesellschaftung von Wohnraum als Gegenmodell zu kapitalistischer Stadtentwicklung
Steigende Mieten und Wohnungsnot sind nicht nur ein lokales, sondern ein globales gesellschaftliches Problem. Metropolregionen stehen in einer kapitalistischen Standortkonkurrenz, die sich in Aufwertung, Gentrifizierung und der Verdrängung ärmerer Bevölkerungsgruppen ausdrückt. Die Wohnungsbaupolitik der Parteien verschärft dabei lediglich die sozialen Ungerechtigkeiten und die Preise für Wohnraum schießen ungebrochen weiter in Höhe.
Die wiederkehrenden Krisen auf dem Kapitalmarkt entschleunigen diese Entwicklung nicht, sondern befördern sie noch. Denn je unsicherer Aktienpakete und Staatsanleihen als Investition werden, desto stärker wird auf vermeintlich sichere Werte wie Gold oder metropolitanen Wohnraum zurückgegriffen, desto stärker steigen die Quadratmeterpreise und die Mieten. In der Auseinandersetzung um städtische Räume verschränken sich globale und lokale Fragen, soziale und politische Kämpfe. Es geht - weit genug gefasst - nicht nur um eine soziale, sondern um eine grundlegende Systemfrage.
Wohnen ist ein gesellschaftliches Gut, das allen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Besitzstand oder ihrer sozialen Situation zusteht. Der Markt besitzt keine heilenden Kräfte und die etablierte Politik keine wirklichen Antworten. Ohne die Entwicklung vielfältiger Formen der Vergesellschaftung von Wohnraum zugunsten des Bedarfes und der Zugänglichkeit für alle Menschen werden sich soziale Spaltung und politische Ausgrenzung weiter verbreitern.
Die Organisierung von Mieter_innenprotesten kann dabei ein Ansatzpunkt für eine echte Basisbewegung jenseits des etablierten Politikbetriebes sein. Gefragt sind nicht nur Massenproteste auf der Straße, sondern eine langfristige Verstetigung des Protestimpulses, die subjektive Zugänge und Möglichkeiten der Selbstorganisierung in die Praxis einbezieht.
Die Symphonie des Mietenwahnsinns: Topfschlagen gegen Wohnungsnot!
Gespannt darf mensch daher auch auf die Mietenwahnsinnssymphonie in Hamburg sein. Sollte es am 27. Oktober gelingen, dass sich zahlreiche Menschen über die Stadt verteilt an der Aktion beteiligen und das Klopfen der Töpfe zum Herzschlag der Proteste gegen Wohnungsnot und steigende Mieten wird, dann würde dies neue Interventionsräume eröffnen. Der Protest kann zuhause oder auf der Straße stattfinden, allein oder in der Gruppe ausgeübt, mit eigenen Mitteln und Ideen erweitert werden. Die Initator_innen mobilisieren vor allem in sozialen Netzwerken und setzen auf ein Schneeballsystem.
http://www.facebook.com/mietenwahnsinnssymphonie
Um die teils individualisierte Form des Protestes zu einem kollektiven Ereignis zu machen, wird nicht nur auf die sich ausbreitenden Schallwellen experimentellen Topfschlagens gesetzt, sondern auch auf bewährte Radiotechnik. Mittels über die Stadt verteilter Mikrofone soll das Stakkato aufgefangen, abgemischt und per Rundfunk zurück in die Wohnungen getragen werden. Durch diese Rückkopplung und Vervielfältigung kann auch ein einzelner topfschlagender Mensch in seinem abgelegenen Wohnblock zum Teil einer größeren Komposition des Aufbegehrens werden. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, sich mit Nachbar_innen zu verabreden oder an Brennpunkten der Auseinandersetzung z.B. durch Transparente oder ein Abschlussfeuerwerk der Symphonie visuelle Dimensionen zu geben. Ein Blog stellt hierzu Vorlagen zum Ausdrucken und zum Aufhängen im Haus und auf der Straße bereit.
http://topfschlagen.wordpress.com
Mieten spiegeln Herrschaft - Scherben bringen Glück!
Im November wird in Hamburg ein neuer Mietenspiegel veröffentlicht. Die Folge davon wird eine neue und weitere Spirale von Mieterhöhungen sein. Aber Mietenspiegel und Immobilienblasen sind keine ewig währenden Gesetzmäßigkeiten sondern zerbrechlich.
Die geplanten Proteste können weit mehr als nur ein Teil des Medienspektakels rund um die Veröffentlichung des Mietenspiegels sein, sofern sie sich nicht auf die Forderung von Mietobergrenzen oder die kritische Bewertung bürokratischer Zahlenwerke reduzieren, sondern die Auseinandersetzung um die städtische Entwicklung auf ein neues Terrain verschieben und sich auf die Suche nach gesellschaftlichen Alternativen und Perspektiven selbstorganisierter Vergesellschaftung machen.
Die Forderung "Mietenwahnsinn stoppen - Wohnraum für alle!" muss bestehende Hierarchien und Ausgrenzungsmuster ebenso aufbrechen wie die Frage nach der die Mauern und Steine umgebenden Gesellschaft stellen.