So sollen türkische Soldaten 1998 die deutsche PKK-Kämpferin Andrea Wolf beschimpft und dann so lange auf sie eingeschlagen haben, bis ihr der Schädel brach. Ankara streitet das Verbrechen noch immer ab, doch nun hat sich erstmals ein Zeuge gemeldet, der den Mord im kurdischen Südosten mitangesehen haben will. Aber der Mann hat Angst.
Von Kai Strittmatter, Instanbul
Kann es Gerechtigkeit geben für eine Tat, die 13 Jahre in einen Nebel des Schweigens gehüllt war? Kann es Aufklärung geben für ein Verbrechen, das weit hinten in der Türkei geschah, in einem Bergtal, das bis heute kaum gefahrlos zu betreten ist?
Andrea Wolf war 33 Jahre alt, als sie am 23. Oktober 1998 im kurdischen Südosten der Türkei starb. Bis heute ist der Leichnam der Münchnerin nicht gefunden. Nun aber gibt es neue Details, neue Zeugen - und mit einem Mal scheint sie nicht mehr so fern, die Beantwortung der Frage: Wie starb Andrea Wolf? Und wer sind ihre Mörder?
Die linke Aktivistin Andrea Wolf hatte sich Ende 1996 abgesetzt aus Deutschland, um bei der Kurdischen Arbeiterpartei PKK zu kämpfen. An jenem Oktobertag wurde ihr Trupp von der Armee eingekesselt. Bislang gab es nur Aussagen von überlebenden PKK-Rebellen: Andrea Wolf sei mit anderen PKK-Kämpfern den Soldaten lebend in die Hände gefallen und dann gefoltert und getötet worden.
Das wäre ein Kriegsverbrechen. Die Türkei bestreitet das. Weil der Leichnam nie gefunden wurde, zweifelt das Land sogar ihren Tod an. Da die schlampigen Ermittlungen der Justiz klar darauf abzielten, den Fall zu vertuschen, wurde die Türkei 2010 verurteilt vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Trotz der Ohrfeige aus Straßburg blieb die Türkei weiter untätig. Das könnte sich nun ändern.
Wie der türkische Menschenrechtsverein IHD der Süddeutschen Zeitung bestätigte, hat sich erstmals ein Zeuge gemeldet, der die Tötung Andrea Wolfs als Angehöriger der anderen Seite miterlebt hat: Der Zeuge begleitete als sogenannter Dorfschützer - eine Art Bauernmiliz - die türkische Einheit bei dem Angriff. Der Kompanieführer, so der Zeuge, habe Andrea Wolf angebrüllt: "Du bist Ungläubige, du bist Deutsche, du bist Frau und du bist Terroristin." Dann habe er mit einem Stock so lange auf sie eingeschlagen, bis er ihren Schädel brach. Hernach hätten die Soldaten die Leiche geschändet. Dank der Aussage konnte der IHD im Juni erstmals den Ort des Massakers identifizieren.
Ein "Bild des Grauens"
Von einem "Bild des Grauens" spricht der IHD-Vorsitzende von Van, Sami Görendag, der vor Ort war. Auf seinen Fotos sieht man zerfetzte Kleidungsstücke und das einfache Grab, in dem wohl Bauern aus der Nähe die Toten bestattet hatten. Und noch etwas verriet der einstige Dorfschützer: den Namen des mutmaßlichen Mörders. Ein "Leutnant Sabri" habe die Tat begangen.
Der IHD will in der Türkei erneut Anzeige erstatten. Ein Verfahren verlangen auch in Deutschland die Freunde von Andrea Wolf. Angelika Lex, die Rechtsanwältin der Mutter, forderte die zuständige Staatsanwaltschaft in Frankfurt auf, ein neues Amtshilfeersuchen an die Türkei zu stellen, um den Druck auf die Behörden zu erhöhen. Bislang ohne Erfolg. Demonstratives "Desinteresse" sei ihr in Frankfurt entgegengeschlagen, sagt Lex. In zwei Wochen will eine Menschenrechtsdelegation aus Deutschland in die Türkei reisen und, wenn möglich, den Aufstieg zu dem Massengrab wagen.
Der neue Zeuge hat sich versteckt. Er lässt ausrichten, er rede nur mit dem IHD oder mit europäischen Gerichten, auf keinen Fall mit türkischen Staatsanwälten. Der Mann habe Angst, sagt IHD-Mann Sami Görendag. Nach der Entdeckung des Massengrabes durch den IHD im Juni hätten sämtliche an der Operation beteiligten Dorfschützer Anrufe bekommen: Sie sollten stillhalten, schärfte ihnen der Anrufer ein, sonst würden sie es "bitter bezahlen".