Gerichte bemängeln fehlende Nachweise

Erstveröffentlicht: 
30.08.2011

Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts prüft das städtische Rechtsamt mögliche Folgen für Freiburg.

Der entscheidende Satz im Urteil des Bundessozialgerichts, mit dem es ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) zuungunsten einer Freiburger Mieterin aufgehoben hat, steht auf Seite elf: "Dass es Wohnungen zu diesen abstrakt angemessenen Quadratmeter-Nettokaltmieten im örtlichen Vergleichsraum Freiburg in einer bestimmten Häufigkeit gab, ist vom LSG nicht festgestellt worden." Weshalb dieses nun Versäumtes nachholen muss.


Das Urteil des BSG, dessen schriftliche Begründung nun vorliegt, meint Roland Rosenow von der Kanzlei "Sozialrecht in Freiburg", könnte Folgen haben für mindestens 14 000 Empfängerinnen und Empfänger von Hartz IV und Grundsicherung in der Stadt. Zum einen mit Blick darauf, was ihnen das Jobcenter Freiburg juristisch an Kosten der Unterkunft zu zahlen hat, zum anderen mit Blick auf die vom Gemeinderat politisch gezogenen Mietobergrenzen. "Jetzt sind wir endlich so weit", stellt Roland Rosenow fest, "darüber zu reden, welche Alternativen es denn gäbe."

Denn mit seinem Urteil habe das BSG dem Freiburger Konzept der Mietobergrenzen gleichsam eine Abfuhr erteilt. Dieses Konzept nämlich macht eine fiktive Wohnung zum Maßstab, ohne nachzuweisen, dass es sie tatsächlich in ausreichender Zahl gibt. Deshalb hatte eine Freiburgerin Widerspruch dagegen erhoben, dass ihr mit Verweis auf die "angemessenen" Mietobergrenzen nicht die vollen Kosten der Unterkunft gezahlt wurden. Das Sozialgericht Freiburg lehnte diesen Widerspruch dann ebenso ab wie das LSG in Stuttgart – beide Urteile hat nun wiederum das höchste deutsche Sozialgericht aufgehoben.

 

Als erste Folge hat Matthias Müller, stellvertretender Leiter des Amtes für Soziales und Senioren, das BSG-Urteil ans städtische Rechtsamt zur Prüfung weitergeleitet und erwartet noch diese Woche eine Stellungnahme. "An die sich daraus ergebenden Konsequenzen werden wir uns halten." Nach Matthias Müllers persönlicher und vorläufiger Einschätzung "zwingt das Urteil die Stadt nicht, systematisch einen anderen Weg einzuschlagen". Nun die Mietobergrenzen zu erhöhen, sei nicht zwangsläufig eine rechtliche Folge des Urteils, dem es vor allem um die Nachweisbarkeit von angemessenem Wohnraum gehe.

Sozialgericht Freiburg gibt Hartz-IV-Empfängerin Recht

Was das für ihn heißt, macht der stellvertretende Sozialamtschef an einem Beispiel deutlich: "Wenn wir jemanden auffordern, in eine billigere Wohnung umzuziehen, müssen wir eben nachweisen, dass diese Wohnung auf dem Markt auch zur Verfügung steht." Im Fall, den das BSG zu entscheiden hatte, war dieser Nachweis nicht erbracht worden. Genau das verlangt das höchste deutsche Sozialgericht nun. Und womöglich müssten künftig entsprechende Wohnungen nachgewiesen werden – etwa durch eine Dokumentation von Zeitungsinseraten und offenen Beständen der Stadtbau. Unabhängig davon könne der Gemeinderat jederzeit die Mietobergrenzen anheben. Ein solches politisches Signal "könnte zu weniger Konflikten und zur Entlastung der Widerspruchsstellen führen".

Fast zeitgleich mit der schriftlichen Begründung des BSG-Urteils hat das Sozialgericht Freiburg jetzt in einem anderen Fall einer Hartz-IV-Empfängerin auf deren Klage hin "die tatsächlichen Unterkunftskosten" zugesprochen. Diese müsse das Jobcenter Freiburg wie während der vergangenen Jahre an die Frau und drei bei ihr wohnende Kinder zahlen – und zwar "unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kaltmiete", nicht etwa, indem es "die angemessene Kaltmiete für einen 4-Personen-Haushalt" zugrunde lege.

Zur Begründung verweist die Richterin am Sozialgericht unter anderem darauf, dass die Mieterin sich über Jahre um eine angemessene Wohnung in Freiburg bemüht habe – mit dem Ergebnis, "dass auf dem Wohnungsmarkt keine günstigere Wohnung zur Verfügung stand".