Da nach wie vor das Thema Sicherungsverwahrung in den Medien präsent ist, unter anderem bedingt durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011, mit welchem die wesentlichen Bestimmungen zur SV für verfassungswidrig erklärt wurden, möchte ich an dieser Stelle zuerst über einen „Kriterienkatalog für die Neuausrichtung des Vollzugs der SV“ (1.) berichten, danach über eine Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll vom 18./19. Juli 2011 zur Sicherungsverwahrung (2.), um abschließend auf einen Hungerstreik mehrerer Verwahrter in der JVA Celle (3.) hinzuweisen.
1.) „Kriterienkatalog“
In der Konferenz der LänderjustizministerInnen und der Bundesministerin für Justiz im Anschluss an das oben erwähnte Urteil, nahmen diese den schon am 30.11.2010 vorgelegten Kriterienkatalog billigend zur Kenntnis, wie mir auf Anfrage die Senatsverwaltung für Justiz (Hamburg) kürzlich bestätigte. Auf immerhin 41 Seiten legt eine Arbeitsgruppe „aus Vollzugspraktikerinnen und Vollzugspraktikern und Vertreterinnen und Vertretern“ der Landesjustizverwaltungen (mit Ausnahme Bremens), eine Bestandsaufnahme der aktuellen Vollzugsbedingungen in der SV und hieraus abzuleitenden Veränderungen dar. Der Katalog arbeitet dabei 15 Punkte ab, beginnend bei der baulichen Trennung der SV vom übrigen Strafvollzug, über die Gestaltung der Unterbringung, Zellengröße, über Außenkontakte, Ausführungen, bis hin zur Selbstverpflegung.
Also ganz eng orientiert an den Lebensbedingungen in den Trakten der Sicherungsverwahrten.
Gefordert wird eine ganz strikte bauliche Trennung der Haftbereiche der SV von jenen der Strafhaft, gerade weil die SV „eine reine Präventionsmaßnahme“ (sei) und keinen Strafzwecken diene (S. 7). Vorgeschlagen wird eine „differenzierte Unterbringung“ in „Aufnahme, Wohngruppenvollzug, altersgerechtes Wohnen und Entlassungsvorbereitung“ (S. 9). Zellen sollten künftig „Zimmer“ (S. 10) heißen und mindestens 15 qm groß sein. Der persönliche Besitz in den „Zimmern“ sollte großzügiger gehandhabt werden, wobei der mit „der Durchsuchung von Gegenständen verbundene Personalaufwand“ hinzunehmen sei, um dem „Besserstellungsgebot für Sicherungsverwahrte (...) gerecht“ zu werden.
Was die bislang bestehende Arbeitspflicht in der Sicherungsverwahrung betrifft, erscheint es nach Ansicht der Arbeitsgruppe „vertretbar, (diese) für Untergebrachte aufzuheben“ (S. 22).
Soweit Verwahrte dennoch arbeiten, sollte deren Lohn gegenüber den Strafgefangenen verdoppelt werden (S. 22). Hinsichtlich des Taschengeldes für nicht-arbeitende Verwahrte könnte man sich an dem „Barbetrag für Bewohner von Alten- und Pflegeheimen orientieren“ (S. 22).
Ausschließlich während der Nachtzeit (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) sollten die „Zimmer“ verschlossen werden, in der übrigen Zeit darüber hinaus jederzeit der Gefängnishof zugänglich sein (S. 23-24).
Statt der bislang durchschnittlich 5 Stunden Besuch pro Monat wird eine „...Mindestdauer (von) 10 Stunden nicht unterschritten werden...“ (S. 26) vorgeschlagen.
Hinsichtlich der Ausführungen (hierbei wird ein Verwahrter unter Bewachung von Wärtern für einige Stunden in die Freiheit gelassen) wurde festgestellt, dass von 520 Verwahrten (Stichtag: 31.08.2009) 126 Ausführungen erhielten, alle anderen nicht.
Dies solle deutlich geändert werden; künftig sollte so gut wie jeder Verwahrte „mehrfach jährlich“ (S. 28) Ausführungen erhalten, auch um so der „Gefahr der Hospitalisierung“ zu begegnen.
Lebensmitteleinkauf könnte wöchentlich (statt wie bislang meist nur zwei Mal pro Monat) gestattet werden (S. 32).
Bis Mai 2013 müssen sich Länder und Bund auf ein neues Konzept geeinigt haben, es darf damit gerechnet werden, dass einige der erwähnten Punkte umgesetzt werden, auch wenn manches unfreiwillig hilflos oder zynisch anmuten mag, zumindest aus der Sicht der Verwahrten. Darüber hinaus wird hier letztlich ein Vollzugsalltag gefordert, wie er eigentlich längst für den Strafvollzug Alltag sein sollte, jedoch nie eingelöst und nie verwirklicht wurde.
Sicherungsverwahrte, man kann es nicht oft genug wiederholen, sitzen unschuldig in Haft. Denn die zugedachte Strafe für ihre Taten haben sie verbüßt. Man entzieht ihnen die Freiheit für etwas, das sie vielleicht tun könnten, was jedoch keineswegs gewiss ist (wie sich auch bei der weiter unten erwähnten Tagung in Bad Boll bewahrheitete).
Trotz aller erwähnten „Hafterleichterungen“ wird das „Zimmer“ weiterhin eine mit Manganstahl vergitterte Zelle bleiben.
Die Bewegungsfreiheit wird weiterhin minimal bleiben, von einem Flurende zum anderen (und vielleicht ein paar Schritte in den Anstaltshof). Gefängnis bleibt Gefängnis, unabhängig von dem wie man es nennt.
2.) Tagung in Bad Boll
Die evangelische Akademie in Bad Boll ist seit vielen Jahren dafür bekannt, sich auch mit dem Strafvollzug kritisch, im Rahmen von Tagungen, zu beschäftigen. Und so ging es am 18. und 19. Juli 2011 um das Thema „Sicherungsverwahrung und Führungsaufsicht – wie gehen wir mit gefährlichen Straftätern um?“ (hier ein Dank an Martin S., von ihm soll noch die Rede sein, er schickte mir einige der Manuskripte von Referenten der Tagung).
Dr. Michael Alex und Prof. Feltes überschrieben ihren Vortrag „SV – Die Gefahr wird überschätzt“ und wiesen detailliert nach, dass die „Gefahr“, die angeblich von den Verwahrten ausgehe, maßlos überschätzt wird. Auch kritisieren sie die psychiatrischen Gutachter, die in aller Regel dazu neigten, die Probanden „schlecht zu schreiben“, und anstatt den Blick auf die Ressourcen und positiven Veränderungen zu lenken, sich oftmals damit begnügten, bei alten Gutachten abzuschreiben und einmal gestellte Diagnosen nicht kritisch zu hinterfragen, so dass regelrechte „Gutachtenkarrieren“ auf Seiten der Verwahrten entstünden.
Ganz ähnlich, wenn auch nicht so pointiert, trug Dr. Obergfell-Fuchs (Leiter des Kriminologischen Dienstes der Justizvollzugsschule Baden-Württemberg) vor, der schon seine liebe Not hatte, den Begriff der „Gefährlichkeit“ zu definieren.
Kriminologen, so der Referent, verstünden unter Gefährlichkeit die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter in Zukunft weiter schwere Straftaten begehen werde. Was nach seiner Ansicht zu mindestens zwei weiteren Problemkreisen führe, nämlich, was man unter Wahrscheinlichkeit verstehe, bzw. was denn eine „hohe Wahrscheinlichkeit“ sei und was genau „schwere Straftaten“ wären.
Hinsichtlich Sexualtätern wies er anhand einschlägiger Untersuchungen nach, dass bezüglich einer Rückfallgefahr genau differenziert werden müsse, zu was für einer Gruppe von Sexualtätern jemand gehöre. Bei innerfamiliärem Missbrauch von Kindern liege nach einer Untersuchung von 2008 die Rückfallquote (hier: erneutes Sexualdelikt) bei 10,0 %, bei Vergewaltigern jedoch schon bei 15,2 % und bei außerfamiliärem Missbrauch sogar bei 22,2 %. Vergewaltiger würden zudem, im Vergleich zu Tätern innerfamiliären sex. Missbrauchs vermehrt zu sonstigen Aggressionsdelikten neigen (Rückfallquote: 36,7 % bei Vergewaltigern jedoch nur 8 % bei der letztgenannten Tätergruppe).
Gegen Ende seines Aufsatzes weist Obergfell-Fuchs auf den „Baxstrom-Fall“ hin: Seinerzeit, nämlich 1966, mussten in den USA aus rein formal-juristischen Gründen 966 angeblich psychisch kranke und vor allem als (sehr) gefährlich eingestufte Straftäter aus der Haft entlassen werden.
Nach insgesamt 4 Jahren wurde festgestellt, dass lediglich 2,5 % wegen schwerer Gewalttaten, d.h. „Taten, weswegen ihr Risiko als besonders hoch eingeschätzt worden war“, so Obergfell-Fuchs, erneut straffällig geworden waren.
Exkurs – Martin S.
Über ihn schrieb ich schon an anderer Stelle (http://de.indymedia.org/2010/09/290997.shtml), nannte ihn jedoch Sebastian Müller, da er seinen Namen nicht in der Presse lesen möchte. Er wurde von der Akademie als ehemaliger Sicherungsverwahrter eingeladen; freie Kost und Logie, sowie eine Aufwandsentschädigung wurden ihm zugesichert. Er sollte ein Impulsreferat halten, um authentisch aus der Sicht eines immerhin 21 (!) Jahre in SV sitzenden Menschen berichten zu können, der zudem seit seiner Freilassung im Dezember 2010 rund-um-die-Uhr von der Polizei bewacht wird.
Kaum hatte er die Einladung erhalten und sich um eine Reiseerlaubnis bemüht (denn zu dem 2010 erteilten Auflagen zählt das Verbot, die Stadt Freiburg verlassen zu dürfen), teilte man ihm seitens der Akademie bedauernd mit, dass man ihn ausladen müsse, denn aus dem Kreise der Veranstalter der Tagung sei Protest laut geworden.
Die Badische Zeitung (13.07.2011, „Der ausgeladene Betroffene“) enthüllte einige Wochen später die Hintergründe: Die Polizei hatte (erfolgreich) interveniert. Man habe besseres zu tun, als Herrn S. nach Bad Boll zu begleiten. Der von der Polizei eingeschaltete Generalstaatsanwalt Pflieger (Stuttgart), zugleich Mitveranstalter, da in Personalunion Vorsitzender des „Verband Bewährungs- und Straffälligenhilfe Württemberg e.V.“ (http://verband-bsw.de, e-mail: verband-bsw@arcor.de) sorgte umgehend für die Ausladung von Herrn S., schließlich, so wird Pflieger in der Badischen Zeitung zitiert, wäre es zu „einem Auftritt am Rande des Show-Effekts“ gekommen, hätte man zugelassen, dass Herr S. mit den ihn bewachenden Polizisten anreise.
Der Akademie sei, so die Zeitung weiter, die Ausladung „peinlich“, schließlich habe man schon mit ehemaligen RAF-Gefangenen diskutiert und habe sich zum Ziel gesetzt, auch mit und nicht nur über die Betroffenen zu sprechen.
In einem Interview mit der Südwest Presse vom 19.07.2011 konnte Herr S. nochmal seine Sicht der Dinge darstellen, insbesondere auch die enorme psychische Belastung durch die permanente Polizeibewachung. Er werde mittlerweile als „Kinderschänder beschimpft“, beim Arztbesuch würden sich drei Polizisten in den Warteraum setzen, dass „jeder ihre Pistolen sehen“ könne.
S. war vor 26 Jahren vom Landgericht Stuttgart wegen Vergewaltigung zweier Anhalterinnen verurteilt worden.
3.) Hungerstreik in Celle
Mehrere Sicherungsverwahrte der JVA Celle hatten angekündigt, zum 01.08.2011 in einen Hungerstreik treten zu wollen, sollte man nicht umgehend ihre Lebensbedingungen verbessern. Mittlerweile sollen fünf der 20 Verwahrten tatsächlich in Hungerstreik getreten sein; laut taz (http://www.taz.de) vom 11.08.2011 sei der erste zwischenzeitlich ins Krankenhaus verlegt worden.
BILD (Regionalausgabe Hannover) titelte am 02.08.2011: „Sex-Gangster fordern Damenbesuch im Knast“ und schreiben, die Betroffenen wollten die Justiz – Zitat - „erpressen“ mit ihrem Hungerstreik. Ziele seien: Damenbesuche, Pay-TV und Alkohol.
Der niedersächsische Hardliner und Justizminister Busemann unkt gar von einer „konzertierten Aktion aller Sicherungsverwahrten in Niedersachsen oder gar in ganz Deutschland“ (HNZ 03.08.2011; hier mit Dank an den seit 1995 in Isolationshaft sitzenden Peter Wegener, JVA Sehnde, der mir solche Zeitungsartikel zusendet).
Nun mag man darüber diskutieren, ob es viel Sinn macht, solche Punkte überhaupt in einen Forderungskatalog aufzunehmen, denn der versierte politische Gegner nutzt so etwas sofort, um hier Stimmung gegen die Betroffenen zu machen; andererseits versinnbildlichen solche Teilforderungen auch die grundlegenden existenziellen Bedürfnisse, Sehnsüchte und Wünsche von Menschen.
Wünsche, die, würden sie nicht gerade von gefangenen Menschen geäußert, völlig banal und nachvollziehbar erschienen.
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal