Nach dem Marsch auf Madrid, sind die Empörten nun auf dem Marsch auf Brüssel. Während die Empörten beim Protest gegen den Papst-Besuch in Madrid zusammengeprügelt werden, hat der Marsch von Madrid nach Brüssel das Baskenland erreicht und die Grenze nach Frankreich überschritten. Am 17. September wollen sie in Paris sein und sich dort sich mit anderen Gruppen vereinen, die aus Deutschland, Italien, Griechenland kommen sollen. Dann soll gemeinsam den Marsch auf Brüssel fortgesetzt werden um in großer Zahl am 8. Oktober vor dem Europaparlament zu demonstrieren. Erstaunlich ist in Spanien der Umgang mit einem katholischen Fundamentalisten, der einen Giftgas-Anschlag auf die Papst-Gegner geplant hatte.
"Es geht um die Globalisierung der Proteste", schallt es über den "Ensanche Enparantza". So heißt der zentrale Platz in der baskischen Stadt Irun. Und dessen Bild hat sich völlig verändert. Erschöpfte Marschierer haben hier die Rucksäcke abgeworfen. Unter neugierigen Blicken von Passanten bauen Sie unter Bäumen Zelte direkt neben dem Gebäude der Nationalpolizei auf, deren Überwachungskameras das bunte Treiben filmen. Der Musikpavillon im Zentrum wird eingenommen, um wund gelaufene Füße zu verarzten und er wird sofort mit Spruchbändern verziert. "Volksmarsch nach Brüssel" ist darauf zu lesen. "Wir gehen langsam, denn wir wollen weit kommen."
Die "Indignados" (Empörte), wie sie genannt werden, meinen damit nicht nur die 1500 Kilometer, die sie zu Fuß von Madrid nach Brüssel zurücklegen wollen. Sie wollen nur ganz Europa mit ihrem Protestvirus infizieren. Am Dienstag erreichten sie das Gebiet, wo die Grenze zu Frankreich das Baskenland unter zwei Staaten aufteilt. Am Mittwoch haben sie feierlich dort die Grenze übertreten, wo sich einst auf der Europabrücke Hitler und Franco die Hand reichten. Nun marschieren sie im Land von Stéphane Hessel, des Kämpfers gegen den Faschismus und Überlebender seiner Konzentrationslagers, der mit der Streitschrift "Empört Euch" die Proteste befördert hat.
Seit dem 15. Mai lehnt sich die "Bewegung 15-M", die eine Woche vor den Regional- und Kommunalwahlen mit massiven Demonstrationen in vielen Städten entstand, gegen die "Zweiparteiendiktatur" in Spanien auf. Sie fordert politische und soziale Veränderungen und tragen ihre Forderungen nun eigenhändig über die Grenzen hinaus. Denn überall würden die Kosten für die Wirtschafts- und Finanzkrise auf die einfache Bevölkerung abgewälzt. Während Banken Milliarden erhalten, fliegen Familien aus ihren Wohnungen, weil sie von Arbeitslosigkeit geplagt, ihre Hypotheken nicht bezahlen könnten. Dazu kommen, wie überall, die tiefen Einschnitte ins Sozialsystem, Renten- und Lohnkürzungen, etc., beklagen die Empörten.
Vom Empfang im Baskenland sind sie überwältigt. Sie hatten die Unterstützung nicht erwartet. Denn die Bewegung ist hier, wegen anderen Bedingungen, kaum spürbar. "Wir haben viel gelernt", sagt Jaidro Lopéz. Er stellt nachdenklich fest, schon im eigenen Land auf eine andere Kultur und Sprache gestoßen zu sein, die man respektieren müsse. Das erklärt der 35-jährige, der erstmals in den grünen Bergen ist. In Irun wurde den Marschierern als Ehrenbezeugung der "Aurresku" getanzt, und wie bei festlichen Anlässen üblich, erklang auch die "Txalaparta" (einem Perkussionsinstrument aus Holzbalken) und erstaunte Marschierer.
Der Liedermacher Paco Marin, der aus der Rioja stammt, sang ihnen Lieder aus dem Bürgerkrieg und die vielen Republikaner, Anarchisten, Kommunisten, katalanische und baskische Nationalisten noch in den Massengräbern liegen und nicht rehabilitiert wurden. "Die, die hier im Baskenland Bildu verbieten wollten, haben sich vom Faschismus und seinen Verbrechen nicht distanziert", erklärte er mit Blick auf die postfaschistische Volkspartei (PP). In guter Erinnerung sind auch die Äußerungen des Ex-Innenministers Jaime Mayor Oreja. Der Europaparlamentarier wollte in einem Interview den Franquismus nicht verurteilen, "weil er einen breiten Sektor der Spanier repräsentierte" und viele Familien die Diktatur "natürlich und normal erlebt haben". Doch auch für "Pseudo-Sozialisten", deren aufrechte Vorfahren in den Massengräbern lägen, hatte das Mitglied der CGT nur Spott übrig, die schließlich den Verbots-Antrag gestellt haben und damit fast die gesamte baskische Linke verboten hätte, fast die stärkste Formation im Baskenland. Er zeigte damit lebendig auf, was die Zweiparteiendiktatur hier bedeutet.
Begeistert waren sie auch von den vielen unterschiedlichen Menschen, die sich am Abend zum Plenum versammelten, um zu debattieren und den Empörten Kraft mit auf den langen Weg zu geben. In Kastilien, wo sich Jaidro einer Platzbesetzung in Toledo und später dann dem Marsch auf Madrid angeschlossen hat, seien die Leute distanzierter. Man müsse einzeln mit ihnen ins Gespräch kommen. Man merke im Baskenland deutlich, dass es ein Kultur der Versammlungen und der politischen Debatte gäbe. Doch überall komme man als Marschierer direkt mit den Leuten in Kontakt und so könnten Grenzen überschritten werden.
Deshalb soll das Erfolgsrezept aus Spanien nun auf Europa umgelegt werden. Bis zum 23. Juli waren Marschkolonnen aus dem ganzen Land in die Hauptstadt gezogen, wo am 25. Juli in Madrid mehr als 40.000 Menschen unter einem Motto demonstrierten: "Es ist keine Krise – Es ist das System". Dabei ist spontan die Idee für den Marsch auf Brüssel entstanden. "In einem Radio-Interview hatte ich eher Scherzhaft gesagt: Und jetzt auf nach Brüssel", erklärt Jaidro. Am nächsten Tag stellte er erstaunt fest, dass eine Arbeitsgruppe schon plante. Am 26. Juli machte sich eine Gruppe von etwa 30 Marschierern aller Altersgruppen auf den Weg.
Inzwischen hat sich die Zahl der 30 Teilnehmer, die in Madrid gestartet waren, mehr als verdoppelt, die aus mehr als ein Dutzend Ländern kommen. Sie wollen auf dem Weg weitere Menschen dazu anstoßen, für reale Veränderungen einzutreten. In Paris soll die Gruppe dann am 17. September massiv anwachsen und sich anderen Marschierern vereinen, die aus Deutschland, Italien, Griechenland kommen sollen, um gemeinsam der Marsch auf Brüssel fortzusetzen. Dort soll vor dem Europaparlament in großer Zahl am 8. Oktober zu demonstriert werden. Denn am 15. wollen sie wieder in Spanien sein. Dann sollen ein Generalstreik und viele Demonstrationen das Land lahm legen.
Während die Marschierer nun in Frankreich sind, werden ihre Freunde in Madrid von der Polizei verprügelt. Gut 150 Organisationen, darunter auch basiskirchliche Gruppen, hatten zu einer Demonstration anlässlich des Besuchs von Papst Benedikt XVI. in der spanischen Hauptstadt aufgerufen. Bevor der Papst am Donnerstag in Madrid zum Weltjugendtag eintraf, folgten mehr als 20.000 Menschen am Mittwochabend ihrem Aufruf. "Keinen Cent meiner Steuern für den Papst - für einen laizistischen Staat", lautete das Motto. Vor allem richtete man sich dagegen, dass in einem konfessionslosen Land der katholische Weltjugendtag mit Millionen subventioniert wird. Geschätzt wird, dass die Hälfte der Kosten von mindestens 50 Millionen der Steuerzahler trägt, obwohl in der Krise überall gekürzt wird.
Die Stimmung war aufgeheizt. Immer wieder kam es im Verlauf der kurzen Route zu verbalen Gefechten mit Pilgern, die sich der Demonstration in den Weg stellten. Dass der Papst bei der Ankunft in Madrid ein "respektvolles Zusammenleben" gepredigt hat, war es bei seinen Anhängern eher zu vermissen. So hatte der Sprecher der spanischen Bischofskonferenz, Juan Antonio Martínez Camino, die Demonstranten schon vor Tagen als "Parasiten" bezeichnet.
. Offenbar ängstigt man sich im Vatikan sogar davor, dass die Kritik der Empörten auf die jungen Gläubigen überspring. Dem versuchte der Papst die Spitze zu brechen. So erklärte er in Madrid: "Die Wirtschaft kann nicht als selbstregulierte Wirtschaft funktionieren", sagte er und forderte, dass der Mensch und nicht der Profit im Mittelpunkt stehen müsse.
So wird einerseits versucht, den Empörten inhaltlich entgegen zu kommen, die man aber als Gefahr auch für die Kirche sieht und deshalb massiv bekämpft. So war es sicher kein Zufall, dass der Kundgebungsplatz "Puerta del Sol" zunächst von Papst-Anhängern besetzt war. Denn der "Sol" hat eine besondere Bedeutung. Er ist das Wahrzeichen der Demokratiebewegung und der "Indignados" (Empörte) in Spanien. Hier hatte sich ihr erstes Protestcamp gebildet und ihn wochenlang friedlich besetzt. So trennte die Polizei zunächst die beiden Gruppen, die sich gegenseitig verbal beharkten. "Weniger Religion, mehr Bildung", riefen Demonstranten den Pilgern zu. Die ließen dafür "ihren Benedikt" hochleben, den die Demonstranten als "Nazi" beschimpften. Nachdem die Pilger verschwunden waren und die Demonstration den Kundgebungsplatz eingenommen hatte, gab gegen 23 Uhr ein Polizeiführer den Befehl zur Räumung. "Genug dem schwulen Treiben, Knüppel raus", zitiert die große Tageszeitung El País den Befehl. Spezialeinheiten hatten derweil die Zugänge abgeriegelt. Dann hagelte es Prügel. Acht Demonstranten wurden festgenommen, die angeblich als Reaktion auf die Räumung auch Flaschen geworfen haben sollen. Die Prügel gingen auch auf Journalisten nieder. Einer der Verletzten ist ein Fotograf aus Peru.
Die konservative Madrider Regierung hatte ohnehin versucht, die Demonstration verbieten zu lassen. Ana Botella, Frau von Ex-Ministerpräsident José María Aznar, sprach von einer "Provokation". Die PP-Politikerin, in Madrid für Umwelt und Mobilität verantwortlich, meinte, man dürfe "niemals" gegen etwas demonstrieren, "was schon organisiert ist". Die Gattin von Aznar, der sich in der Franco-Diktatur als Falangist offen gegen den Übergang zur Demokratie aussprach, zeigt, welche Probleme die PP mit demokratischen Grundrechten hat. Ohnehin hat sich die PP nie vom klerikal-faschistischen Franco-Regime distanziert.
Es erstaunt eher, dass auch die sozialistische spanische Regierung die Polizei verteidigt. Der Regierungssprecher Ramón Jáuregui hat unkonkret erklärt, die Polizei habe "korrekt" gehandelt, um "Probleme" auf dem Platz zu lösen. Die Regierung fällt durch Anbiederung an den Vatikan auf, obwohl der sieben Jahre einen regelrechten Feldzug gegen sie geführt hat. Anlässe waren die Einführung der Homo-Ehe, das Abtreibungsrechts und die schwachen Versuche, die faschistische Vergangenheit aufzuarbeiten, in welche die katholische Kirche tief verstrickt war. Die katholische Kirche hat auch federführend daran mitgewirkt, dass Regimegegnern auch die Kinder geraubt wurden.
Erstaunlich ist auch, dass versucht wird, den geplanten Anschlag eines Ultrakatholiken auf die Demonstration tief zu hängen. Nach bisherigen Erkenntnissen habe José Alvano Pérez Bautista dafür versucht, Giftgas herzustellen. Der Austauschstudent aus Mexiko, der in Madrid Chemie studiert, war auch als freiwilliger Helfer beim Weltjugendtag tätig und festgenommen worden. Er hatte in ultrakatholischen Internet-Foren mit Angriffen gedroht und Mitstreiter gesucht. Er habe Zugang zu Chemikalien und Kenntnissen gehabt und bei ihm seien entsprechende Aufzeichnungen gefunden worden. Doch das Ministerium für Staatsanwaltschaft sieht darin nur einen "schlechten Scherz". Sie glaubt dem 24-Jährigen Schwulenhasser, dass er nicht ernsthaft die Absicht gehabt habe, seine in Internetforen verbreiteten Drohungen in die Tat umzusetzen. Er wurde nach der Demonstration am Donnerstag nun wieder auf freien Fuß gesetzt, er muss sich zwei Mal täglich bei der Polizei melden und es wird Anklage gegen ihn erhoben.
© Ralf Streck, Irun den 17.08.2011
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Mit den Turbulenzen an den Finanzmärkten, in die immer stärker auch Frankreich hineingezogen wird (Der Anleihe-Kauf wird teuer für die EZB), ist auch ein kleines Büchlein beim Nachbarn zum Bestseller geworden. Im "Manifeste d'économistes atterrés" machen "bestürzte Wirtschaftswissenschaftler" die Macht der Finanzmärkte und den Neoliberalismus für die Entwicklungen an den Finanzmärkten verantwortlich. Sie weisen darauf hin, dass hier lediglich Glaubenssätze als scheinbare wissenschaftliche Erkenntnisse verkauft werden. Sie sprechen von einer "Unterordnung unter eine Diktatur" die zur "Beruhigung der Märkte" dienen soll und räumen mit 10 falschen "offenkundigen Tatsachen" auf. Sie fordern eine Kontrolle der Finanzmärkte, um eine sozial gerechte Entwicklung zu ermöglichen.