Es gibt im Umfeld des Fußballvereins Lokomotive Leipzig nicht nur, aber allerhand Nazis. Das ist allen bekannt, aber keiner will dafür verantwortlich sein. Auch nicht für einen “Trauermarsch” der “Fanszene Lok” am 13. Mai 2011: Bei der anschließenden Partie gegen Carl Zeiss Jena II waren die gegen Neonazis bestehenden Stadionverbote kurzerhand für unwirksam erklärt worden (GAMMA berichtete). Die Beteiligten beschuldigen sich nun gegenseitig.
1. Die Behörden
Zum Trauermarsch hatte die Grünen-Fraktion im sächsischen Landtag eine Kleine Anfrage gestellt. Laut Antwort der Landesregierung sei der Marsch durch eine “Privatperson im Zusammenwirken mit dem Fanprojekt ‘Lok Leipzig’” angemeldet” und vor Ort von derselben Person geleitet worden. Und weiter:
Nach Erkenntnissen der Staatsregierung besuchten alle Teilnehmer des Trauermarsches das [anschließende] Fußballspiel. Auf Anfrage des Fanprojektes hob der 1. FC Lokomotive für dieses Spiel Haus- und Stadionverbote auf.
Die Angaben gehen auf die Leipziger Polizei zurück, und von der Richtigkeit zeugt Innenminister Markus Ulbigs (CDU) Unterschrift.*
2. Das Fanprojekt
Der Fanprojektleiter Udo Ueberschär dementierte die amtliche Darstellung in einem Interview mit der Leipziger Internet-Zeitung. Er persönlich sei weder Anmelder noch Veranstaltungsleiter gewesen:
Eine Anmeldung unter dem Fanprojekt, wie in der Beratung avisiert, lehnte ich ab, da damit zu rechnen war, dass möglicherweise Personen teilnehmen könnten, die wir nicht kennen bzw. nicht zu unserem Klientel zählen. Daher wollten wir keine Haftung und Verantwortung übernehmen.
Ueberschär betonte, er und das Fanprojekt würde sich prinzipiell “nie für die Lockerung von Stadionverboten aussprechen”. Vorsorglich nimmt er auch den Verein in Schutz: “Steffen Kubald, Sicherheitsbeauftragter von Lok, sorgte am Einlass persönlich dafür, dass nicht alle Trauergäste das Spiel besuchen konnten.” – Hat es womöglich also gar keine Lockerungen gegeben?
3. Der Verein
Die Lockerungen gab es allerdings, bestätigte der 1. FC Lokomotive Leipzig gegenüber chronik.LE. Bei einer Sicherheitsberatung vor dem Spiel sei “der Wunsch an den Verein heran getragen worden”, auch Stadionverbotler reinzulassen. Wer diesen “Wunsch” äußerte, hat der Verein nicht gesagt, dafür aber, dass
…den Behörden wohl bewusst gewesen sein muss, dass an diesem Marsch auch Personen teilnehmen würden, die beim 1. FC Lokomotive Leipzig Haus- bzw. Stadionverbot haben.
Entsprechend sollte die “Nichtdurchsetzung” der Stadion- und Hausverbote “deeskalativ” wirken. Das wiederum – siehe Punkt 1 – entspricht dem Interesse der Behörden.
Drei Verantwortliche, zwei Lügner, ein Trauermarsch und null Stadionverbote
Die weiteren Inhalte der Absprachen, die insbesondere bei der Sicherheitsberatung zwischen allen drei Parteien getroffen worden sind, ist nicht bekannt – aber fest steht, dass man sich dort auf eine Aussetzung der Stadionverbote geeinigt hat. Obwohl niemand zugibt, damit eine Fehlentscheidung getroffen zu haben, bleibt unklar, wer die Verantwortung trägt und wer lügt.
Und dabei bleibt es vielleicht auch: Alle drei Parteien eint das Interesse, einen bereits beschlossenen Trägerwechsel im Fanprojekt zu verhindern. Dieses war u.a. wegen seiner Rolle für die örtliche Naziszene und ihre Schnittmenge mit dem Fan-Umfeld des FC Lok in die Kritik geraten.
BeobachterInnen berichteten unterdessen, dass es sich beim Versammlungsleiter – und daher mutmaßlichen Anmelder – des Trauermarsches um den Neonazi Benjamin Brinsa handelte. Er gehört zur rechten Ultragruppierung “Scenario Lok” und wurde für seine gewalttätigen Umtriebe und politischen Ambitionen selbst mit Stadionverbot belegt.
Ob Brinsa wirklich Anmelder war, kann leider auch nicht mit Sicherheit geklärt werden: Diese Information halten nämlich die Polizei und das städtische Ordnungsamt unter Verschluss. Genau wie die Antwort auf eine weitere interessante Frage: ob Brinsa bei der Sicherheitsberatung über die Aufhebung der Stadionverbote mitentscheiden durfte.
Eigensicht von Fans (l.) und Marketing des Vereins: irgendwas zwischen Gegensatz, Kontinuität und Ironie.
* Anmerkung: Die Redaktion beteiligt sich nicht an Spekulationen, erlaubt sich aber den Hinweis, dass Innenminister Ulbig in Sachen Neonazismus und Antifaschismus weder für Transparenz, noch für Ehrlichkeit bekannt ist.