Neustadt: Zwischen Antifa-Szene und Neonazis liegen politisch Welten, räumlich manchmal nur ein paar Stühle. An einem Neustadter Gymnasium sitzen zwei Jugendliche im selben Sozialkundekurs, die vom jeweils anderen Lager öffentlich gebrandmarkt wurden. Schule und Eltern suchen einen Ausweg.
VON SEBASTIAN BÖCKMANN
„Uns ist der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Es ist ein Albtraum.“ Das sagen die Eltern des jungen Mannes – Mittelschicht, gebildet, im öffentlichen Leben stehend. Was sie in der eigenen Familie erlebt haben, ist kein fernes Problem einer gesellschaftlichen Randgruppe. „Neonazi in der Nachbarschaft“ mag man nicht lesen, wenn das Flugblatt im Briefkasten der Nachbarn das Konterfei des eigenen Sohnes, Adresse und Telefonnummer der Familie trägt. Das „Outing“, anonymes Anprangern mit möglichst vielen persönlichen Daten und Bildern, meist verbunden mit der Aufforderung, den Betreffenden doch mal anzurufen oder zu besuchen, ist ein beliebter „Sport“ unter Anhängern beider Lager. Dabei wird auch gerne ein Quantum Verleumdung hineingepackt. Erst im November 2010 ist ein Haßlocher, Mitglied des Jugendgemeinderats, Opfer einer solchen Hetzkampagne der rechten Szene geworden (wir berichteten).
„Der Verfassungsschutz beobachtet gegenseitige ,Outing-Aktionen‘ der rechts- und linksextremistischen Szene bereits seit geraumer Zeit und dies mit Sorge“, heißt es beim Innenministerium in Mainz. Denn solche Aktionen haben sich schon aufgeschaukelt und sind in Straf- und Gewalttaten eskaliert.
Die Mitschülerin des jungen Mannes hat nach eigenen Angaben „etliche Drohungen über das Internet“ erhalten, als sie Anfang März im Internet als Antifa-Mitglied verleumdet wurde. „Irgendwann hat es mir gereicht und ich habe alle Konten gelöscht“, sagt die junge Frau, denn ein Teil der Informationen stammt üblicherweise aus sozialen Netzwerken. Anzeige hat sie nicht erstattet – „ich wollte auf Rat meiner Freunde den Ball flach halten“.
Die Hoffnung, sie könnte die Interneteinträge löschen lassen, habe sich schnell zerschlagen. „Der Server steht in Kanada“, sagt die junge Frau, die über Umweltthemen an die Politik und auch an die Antifa-Szene gekommen ist. Daher habe sie darauf gehofft, dass die Einträge allmählich in Vergessenheit gerieten. Ein kleiner Trost: Ein Teil der Recherche der rechten Anprangerer war schlampig, die Telefonnummer die eines entfernten Verwandten.
Für die Urheberschaft übernimmt der junge Mann die Verantwortung. Er hat sich bei seiner Mitschülerin entschuldigt, sie hat dies akzeptiert, denn „ich will keinem Aussteiger im Wege stehen“. „Das war Voraussetzung dafür, dass wir dem Schüler eine Chance geben“, sagt der Lehrer, der es als pädagogischen Auftrag versteht, die Reintegration des jungen Mannes zu versuchen. Schulleitung, Kollegen und die unmittelbaren Mitschüler trügen dies mit.
„Er hat aber nur diese eine Chance“, sagt der Lehrer – ansonsten drohe der Schulausschluss.
Er habe viele Reaktionen seiner Kameraden bekommen, „dass sie hinter mir stehen und ,kein Angriff bleibt unbeantwortet‘ und so. Ich habe sie aufgefordert, gar nichts zu machen und dann nicht mehr geantwortet. Ich habe null Kontakt“, versichert der Schüler.
Er sei über einen Neuzugang in seiner früheren Clique als 15-Jähriger in Kontakt mit der rechten Szene gekommen. Anfangs sei es nur um Fußball gegangen, die Kameradschaft habe ihm gefallen. Auf Demos habe er nicht mitgewollt – „damit habe ich mich anfangs nicht identifiziert, und ich hatte auch Angst“.
Im Mai vor einem Jahr sei er dann doch mitgegangen zu einer Trauerkundgebung für Bombenopfer im Zweiten Weltkrieg – und dabei ist er prompt von der Antifa fotografiert worden. Nach seinem Outing hätten ihn auch drei Leute auf dem Schulweg abgepasst, „das waren deutlich Linksextreme“, sagt er, und Abneigung klingt durch.
"Wir sind uns politisch überhaupt nicht grün“, sagt die Schülerin, „aber ich hatte ihn eher CDU-mäßig eingeschätzt.“ Natürlich habe es in der Familie Diskussionen und unterschiedliche Meinungen gegeben, und auch die Fußballbegeisterung ihres Sohnes sei ihr aufgefallen, aber von rechtsextremen Tendenzen habe sie überhaupt nichts bemerkt, betont die Mutter. „Dafür gab es auch im Unterricht keine Indizien“, sagt der Lehrer. „Es wird jetzt keinen Unterricht nach Lehrplan geben. Er wird gezwungen werden, Farbe zu bekennen.“ Denn noch habe ihm der Schüler nicht alle Fragen zufriedenstellend beantwortet.