Szene streitet über Anschlag auf S-Bahn

Erstveröffentlicht: 
25.05.2011

Von "legitim" bis "dumm"

Nach einem folgenreichen Brandanschlag auf einen Berliner S-Bahn-Knotenpunkt diskutiert die autonome Szene über die Folgen. Die Parteien sprechen von einer "Kampfansage". VON KONRAD LITSCHKO

 

 

BERLIN taz | "Glückwunsch", kommentiert ein Schreiber auf einem linken Internetportal. "Minimaler Aufwand, maximale Aufmerksamkeit." Ein anderer kritisiert: "Die Einzigen, denen damit geschadet wird, sind die Bürger der Stadt." Ein dritter schließlich: "Äußerst kontraproduktiv […]. Sollten wir nicht lieber Menschen überzeugen anstatt Vorwände für Repression zu geben?" Nach einem Brandanschlag auf die Berliner S-Bahn diskutiert die linke Szene über die Folgen der Tat.

 

Nachdem am frühen Montagmorgen Unbekannte am S-Bahnhof Ostkreuz eine Kabelbrücke in Brand gesetzt hatten, war auch am Dienstag der Bahnverkehr weiter stark eingeschränkt. S-Bahnen fielen aus oder fuhren im Pendelverkehr, Fahrgäste drängten sich in Ersatzbussen. Am Montag hatte der Anschlag vor allem im Osten der Stadt für Chaos gesorgt.

 

In einem Bekennerschreiben heißt es: "Nach all den Katastrophen haben wir die Schnauze voll. Über den sofortigen Ausstieg aus der Atomtechnologie gibt es nichts mehr zu verhandeln." Die Bahn sei Transporteur von "Atomtechnik und Atommüll". Kritisiert werden auch deutsche Waffenexporte und der Umgang mit Flüchtlingen. Die Polizei hält das Schreiben für authentisch.

 

"Die Anti-Atom-Bewegung hat damit nichts zu tun"

"Die Anti-Atom-Bewegung kommt aus der Mitte der Gesellschaft, mit dem Anschlag hat sie nichts zu tun", kritisiert Thorben Becker, Sprecher des BUND. Die Bewegung setze klar auf friedlichen Protest, daher schwäche der Anschlag ihre "Rolle und Überzeugungskraft" nicht. Für Samstag planen Anti-Atom-Initiativen bundesweit Demonstrationen.

 

Als "schwer vermittelbar" kritisiert ein Aktivist von Castor Schottern den Anschlag. "Hier wurde nicht die Struktur des politischen Gegners getroffen, sondern die Masse der normalen Bevölkerung." Luca Köppen, Vertreter des autonomen Anti-Atom-Plenums Berlin, widerspricht: "Bei den Verbrechen, die die Atomindustrie begeht, sind auch drastischere Mittel legitim." Köppen verweist auf Strahlenopfer im Umfeld von Atomanlagen oder beim Uranabbau. "Oft war es radikaler Protest, der etwas verändert hat, etwa den Bau von Atomkraftanlagen verhinderte."

Die Berliner Parteien verurteilen den Anschlag kollektiv. "Feige und dumm" sei dieser, so die mitregierende Linkspartei. Die politische Motivation sei "vorgeschoben" und "absurd". Die CDU wertet die Attacke als "Kampfansage der militanten Linken an ganz Berlin". Dieser "Intoleranz und Gewalt" müsse "endlich Einhalt geboten werden".

 

"Kein ruhiges Hinterland für Profiteure der Atommafia"

Schon im November 2010 hatten sich Autonome zu einem Anschlag auf eine Kabeltrasse der S-Bahn im Bezirk Neukölln bekannt. Damals hieß es, den "Profiteuren der Atommafia kein ruhiges Hinterland" zu lassen. Man werde "weiter ins Mark der Unternehmen eindringen". In den letzten Wochen brannten in Berlin auch Firmenfahrzeuge der Bahn, ebenso von Vattenfall und Siemens. In Bekennerschreiben wurden die Unternehmen als "Kriegslogistiker und Atomprofiteure" bezeichnet.

 

Die Polizei zählt gut 1.000 gewaltbereite Autonome in Berlin. Diese zeigten sich zuletzt wieder offensiver. Nach der Räumung eines linken Hausprojekts im Februar zogen sie in einem Randalestreifzug durch die Stadt. Im April bekannten sich "autonome gruppen" zu einem Brandanschlag auf eine Polizeiwache in Friedrichshain. Für Freitag ist bereits neuer Protest angekündigt. Anlässlich des im französischen Deauville tagenden G-8-Gipfels soll diesmal nicht in der "Sicherheitszone", sondern "international und dezentral" in europäischen Großstädten demonstriert werden. Konzept für Berlin sind laut Aufruf "dezentrale Aktionen": "Organisiert euch in Bezugsgruppen und greift ein/an!" In Hamburg sind für Donnerstag "kreative Aktionen gegen Kapital und G 8" angekündigt.