[S] Geldstrafe für Schießtrainings in Gaddafis Land

Erstveröffentlicht: 
10.05.2011

Urteil. Ein 44-jähriger Polizeihauptmeister aus Böblingen muss 6000 Euro zahlen. Der Fall geht wohl vors Landgericht. Von Rüdiger Bäßler

 

Am Ende, in ihrer Urteilsbegründung, fand die Richterin des Böblinger Amtsgerichts jene deutlichen Worte, die der 44-jährige Angeklagte und eine ganze Phalanx von Zeugen während des gesamten Prozesses hatten vermissen lassen. „Es ist doch klar, was hier abging”, sagte die Vorsitzende. Was der Polizeihauptmeister während der Verhandlung vorgebracht habe, entstamme dem „Bereich der Fabeln und Märchen”.

Der Polizeibeamte, Schießtrainer bei der Bereitschaftspolizei Böblingen, ist damit für schuldig befunden worden, in den Jahren 2006 und 2007 viermal nach Libyen gereist und, zusammen mit weiteren deutschen Beamten, Polizisten des Machthabers Muammar al-Gaddafi für Spezialeinsätze ausgebildet zu haben. Die sichergestellten Trainingspläne sahen das Abseilen von Hubschraubern, das Erstürmen von Passagierflugzeugen und Bussen oder das richtige Verhalten im Häuserkampf vor.

Weil das geschah, während der Mann offiziell krankgeschrieben war, handelt es sich um Betrug am Land Baden-Württemberg. Zudem lagerte der Polizist in seinem Dienstspind 407 Schuss Munition. Eine Geldstrafe in Höhe von 6000 Euro muss der Polizeihauptmeister zahlen, der nach Anfangsjahren bei einer Antiterroreinheit der Nationalen Volksarmee ins deutsche Sondereinsatzkommando übertrat. Auch muss er die Gerichtskosten tragen.

Die Zeugen, die im Prozess aufgeboten worden waren, trugen zur Aufklärung wenig oder gar nichts bei. Zwei weitere Beamte aus Baden-Württemberg arbeiteten ebenfalls im Dienst der inzwischen insolventen ostfriesischen Sicherheitsfirma BDB Protection, die in ganz Deutschland aktive oder ehemalige Spezialbeamte für die Erfüllung ihres Vertrags mit dem Gaddafi-Regime anwarb. Einer dieser Beamten aus dem Land ist 2010 ebenfalls verurteilt worden, er strengte ein Revisionsverfahren vor dem Landgericht Stuttgart an. Ein anderer Beamter aus Stuttgart quittierte nach Beginn der Ermittlungen 2008 freiwillig den Dienst, das Verfahren gegen ihn wurde daraufhin fallengelassen.

Gestern trat dieser 37-Jährige, der dem SEK Baden-Württemberg angehörte, als Zeuge auf. Er habe Magengeschwüre seit den Vorkommnissen, klagte der Exbeamte. Er wisse nicht mehr, ob er den Angeklagten in Libyen oder sonst wo einmal gesehen habe. „Ich kann mich nicht mal mehr an meine Kollegen aus dem Kommando richtig erinnern.” Die Aussage stand im Einklang mit vielem, was dem Gericht im Verlauf des Verfahrens erzählt wurde. Ein anderer mitbeschuldigter Beamter aus Essen (Nordrhein-Westfalen) machte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, weil gegen ihn selbst ein Verfahren läuft. 120 Gaddafi-Soldaten seien allein in seinem Kurs ausgebildet worden, er habe sich unmöglich alle Namen und Gesichter merken können, gab der Polizeibeamte zu Protokoll. Der 44-jährige Böblinger beharrt auf der touristischen Absicht seiner Libyenreisen. Sein Verteidiger kündigte an, er werde in die nächste Instanz gehen.

 

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Kommentar: Im Dienst des Tyrannen

 

Libyen-Affäre. Der Böblinger Polizist ist verurteilt. Vieles deutet darauf hin, dass er Täter und Bauernopfer zugleich ist. Von Rüdiger Bäßler

 

Deutsche Polizeibeamte bedienen sich im Kampf um ihre Pensionsansprüche vor Gerichten einer Verteidigungsstrategie, die man von kriminellen Kartellen kennt: Sie verschanzen sich hinter Mauern des Schweigens. Es sind Männer, die für sich in Anspruch nehmen, zu den Besten ihres Fachs zu gehören. Es ist widerlich zu hören, wie sie lächerliche Ausflüchte gebrauchen oder ihre Erinnerungsfähigkeit ganz verleugnen. Sie sind eine Schande für die ganze Polizei.

Das ist nicht alles. Der Böblinger Prozess macht ein weiteres Mal klar, dass der riesige Schulungsumfang libyscher Polizisten nicht ohne Wissen und damit nicht ohne Billigung deutscher Regierungsstellen vonstattengegangen sein kann. Die stillen Ermöglicher aber bleiben im Dunkeln. Was soll man angesichts dessen davon halten, dass die baden-württembergische Justiz Jahre gezögert hat, bis sie gegen die verdächtigen Beamten massiv wurde? Hier liegt die politische Komponente der Affäre.

Als deutsche Beamte nach Libyen reisten, war Gaddafi ein Schurke, mit dem man wieder reden konnte. Jetzt schießen seine gut geschulten Schergen aufs eigene Volk. Das ist die moralische Seite des Falls. Der neue SPD-Innenminister Reinhold Gall hat das früh erfasst. Er muss die Affäre von den Gerichten zurück in die Politik holen.