Letzte Chance für die Genkartoffel von BASF

Erstveröffentlicht: 
09.05.2011

Mit der Genkartoffel Amflora will BASF ein hochattraktives Geschäftsfeld erschließen. Seit einem Jahrzehnt kämpft der Konzern um die Wunderknolle. Jetzt wurde sie ausgesät – auf einem Hochsicherheitsacker in Sachsen-Anhalt.

 

14 Grad im Boden, 22 in der Luft, und wenn der Wetterbericht recht behält, wird es am Mittwoch regnen. "Besser kann man es sich für eine Kartoffelpflanzung gar nicht wünschen", sagt Thomas-Axel Stenske und kriegt das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht. Er steht am Rand eines braunen Ackers, ein schmaler Mann mit schweren Schuhen an den Füßen und blauem Hemd am Leib. Wärme, Regen, guter Boden - für eine normale Kartoffel würde das reichen.

 

Für die Kartoffel namens Amflora aber, die eine Landmaschine vor Stenskes Nase gerade in knöchelhohen Erdwällen versenkt, muss es ein wenig mehr sein. Das Feld ist mit einem hohen Drahtzaun abgeriegelt, an der nördlichen Spitze hockt ein Wachmann in einem Hochsitz. Von da oben hat er den Überblick über die krummen Felder von Üplingen in der Magdeburger Börde, einem Niemandsland im Herzen Sachsen-Anhalts. Tag und Nacht wird die Kartoffel nun überwacht. Denn es gibt Menschen, die diese Kartoffel wie Stenske lieben. Und es gibt welche, die sie hassen.

 

"Wir passen sehr gut auf die Kartoffel auf", sagt Stenske. Es hängt verdammt viel an dieser Knolle - für Stenske und für den Chemieriesen, in dessen Auftrag er heute hier ist. Stenske ist Vertriebsmanager bei BASF, Spezialgebiet: Kartoffeln. Seit Monaten ist er immer wieder hier in Üplingen gewesen, um sich zu vergewissern, dass alles gut vorbereitet ist für die Auspflanzung der Kartoffel. Denn es ist keine gewöhnliche Knolle, die Stenske da endlich am Samstag unter die Erde bringen konnte. 13 Jahre hat BASF mit der EU um die Erlaubnis zur Aussaat im deutschen Boden gerungen.

 

Denn das Erbgut der Amflora ist gentechnisch so verändert, dass sie viel mehr Stärke produziert als normale Kartoffeln. Zum Essen ist sie nicht gedacht, sondern für die Industrie. "Stärkeverarbeiter können damit Papier reißfester, Beton haltbarer und Garn stabiler machen", sagt Stenske. Amflora ist die einzige gentechnisch veränderte Pflanze, die hierzulande zu kommerziellen Zwecken angebaut werden darf. Und dies soll erst der Anfang sein, der Durchbruch, auf den sie bei BASF schon so lange hoffen.

 

Zwei Hektar Erde wurden am Samstag mit der Genkartoffel bestellt. Wenn jetzt alles gutgeht, sollen hier in den nächsten zehn Jahren mehrere Zehntausend Hektar mit Amflora und ähnlichen gentechnisch veränderten Kartoffeln stehen. "Wir wollen mit dieser Kartoffel zeigen, was für ein tolles Produkt wir haben", sagt Stenske. "Und wir hoffen, dass es mit Folgezulassungen künftig schneller gehen wird."

 

Seit Jahren arbeitet die BASF-Tochter Plant Science fiebrig darauf hin. 1998 hat BASF die Sparte mit einem Investitionsvolumen von 1,2 Mrd. Euro in die Welt gestoßen, aus der Ahnung heraus, dass dieses Thema riesig werden würde. Weitere 150 Mio. Euro werden jährlich in die Forschungs- und Entwicklungseinheiten investiert, die mittlerweile in Dutzenden Standorten stehen, häufig angedockt an führende Universitäten.

 

"Wissen hilft, die Vorurteile abzubauen"

 

Aus der einstigen Ahnung ist längst Gewissheit geworden, der Markt für grüne Gentechnik ist milliardenschwer, Saatguthersteller gieren nach dank Gentechnik ertragreicheren Pflanzen, die sie an Landwirte verkaufen können. Der Druck auf Plant Science ist hoch. BASF hat die Forschung an gentechnisch veränderten Nutzpflanzen als strategisch besonders wichtig ernannt und zum langfristigen Wachstum verdonnert. Nach all den Jahren des Forschens und Tüftelns ist es nun höchste Zeit, marktreife Produkte zu liefern. Nicht nur in Nord- und Südamerika, wo das schon recht gut klappt, sondern auch in Europa.

 

"Global gesehen ist Pflanzenbiotechnologie eine Erfolgsstory", sagt Peter Eckes, Geschäftsführer von BASF Plant Science. "Im letzten Jahr wurden bereits auf 148 Millionen Hektar gentechnisch verbesserte Pflanzen angebaut. Aber wir wollen auch in Europa erfolgreich sein."

 

Europa aber, Deutschland insbesondere, ist schwer zu knacken. Verbraucher lehnen genveränderte Lebensmittel ab, Landwirte schmieden Allianzen, um gentechnikfreie Regionen durchzusetzen. Und Politiker tun sich schwer damit, sich auf Gesetze zu einigen, die es beiden Seiten recht machen.

 

Vergangenes Jahr war Ex-BASF-Chef Jürgen Hambrecht schon beinahe dabei, Erpressungsmethoden anzuwenden. Immer wieder hat er die Gentechnikskepsis in Deutschland angeprangert. Und manches Mal angedeutet, notfalls die Gentechnikforschung dorthin zu verlagern, wo sie akzeptiert ist. Vergangenen Freitag hat nun Kurt Bock das Ruder bei BASF übernommen und in Sachen Gentechnik schon mal ähnliche Töne wie sein Vorgänger angeschlagen. Bock beharrt darauf, mit Gentechnik weiterzumachen, weil er davon überzeugt sei. "Doch auf Dauer ist es schwierig, Forschung zu betreiben, wenn es keine gesellschaftliche Anerkennung gibt", sagt er.

 

Gesellschaftliche Anerkennung. Ein bisschen davon soll auch hier auf dem Acker von Üplingen hergestellt werden. Neben dem Amflora-Acker steht ein Rapsfeld sehr hoch und sehr gelb. Hier in Üplingen mutet das schnell verdächtig an. Bei keiner Pflanze die hier auf der Fläche von 500 Hektar wächst, kann man sicher sein, ob die Natur sie so hat gedeihen lassen oder doch ein Kunstgriff des Genlabors. Biotechfarm nennt sich das Areal oder auch Schaugarten Üplingen. Seit fünf Jahren organisiert die Gesellschaft hier Feldversuche für Wissenschaft, Züchter oder Industrie. Gerade für heikle Angelegenheiten wie Gentechnikversuche herrschen hier ideale Bedingungen: Die Biotechfarm bietet Diskretion, Schutz und Aufklärung.

 

"Die Menschen wissen zu wenig über die grüne Gentechnik. Aber Wissen hilft, die Vorurteile abzubauen", sagt Eckes von Plant Science. "In Üplingen können wir zeigen, dass dort nützliche Pflanzen wachsen."

 

Diesmal muss es klappen

 

Noch sieht man außer dem Raps nur ein paar eingezäunte Parzellen mit zarten Pflänzchen. Aber in ein paar Wochen, wenn alles kräftig gewachsen ist, werden wie in den vergangenen Jahren Busladungen voll Menschen kommen und dürreresistenten Mais bewundern, Weizen, der kein Schädlingsbekämpfungsmittel braucht, oder eben Deutschlands erste Genkartoffel Amflora. Die Mitarbeiter liefern zur Besichtigung viel Interessantes aus der Welt der Pflanzengentechnik und Argumente, warum die so nützlich ist. Anschließend gibt es Kaffee und Kuchen im angeschlossenem Rittergut. "Hier ist noch nie jemand rausgegangen, der nicht gesagt hätte: Na und, wo ist das Problem?", sagt Kerstin Schmidt, Geschäftsführerin der Biotechfarm.

 

"Das Problem ist", sagt Dirk Zimmermann von Greenpeace,"dass man die Nebeneffekte aus der Transformation der Gene gar nicht überblicken, geschweige denn kontrollieren kann." Vor allem Langzeitfolgen seien noch nicht hinreichend untersucht. Andere Kritiker monieren die Verflechtung zwischen den Forschungseinrichtungen und den Zulassungsbehörden. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz ruft gerade zur einer Petition auf, die den Stopp aller weiteren gentechnikveränderten Pflanzen für Europa fordert.

 

Wasser auf die Mühlen der Gentechnikgegner hat BASF vor nicht allzu langer Zeit selbst gegossen. Amflora wurde das erste Mal schon vor einem Jahr auf normalen Feldern in Mecklenburg-Vorpommern und in Schweden ausgepflanzt. Für Plant Science war das ein großer Tag, die Kantine am Standort Limburgerhof servierte Kartoffelsuppe, und abends wurde mit Bier angestoßen. Aber dann kam alles anders als gehofft. Immer wieder drangen Gentechnikgegner auf die Amflora-Felder und zerstörten Teile der Ernte. Aber das größte Missgeschick hat sich BASF selbst zuzuschreiben. Auf dem Feld in Schweden ist neben Amflora eine noch nicht zugelassene Sorte, Amdea, aufgetaucht.

 

"Unter 650.000 Amflora-Kartoffeln waren 47, die da nicht hingehörten", sagt Stenske. Verschwindend wenig, aber für Gegner ein entscheidender Beweis. "BASF hat damit bewiesen, dass sie das nicht im Griff haben", sagt Zimmermann. "Das hätte nicht passieren dürfen", räumt auch Stenske ein. "Als Folge haben wir unsere Prozesse so ausgerichtet, dass ein solches Versehen nach menschlichem Ermessen in der Zukunft ausgeschlossen ist."

 

Es muss diesmal reibungslos gehen auf dem Acker von Üplingen. Nicht nur Feinden will man es hier zeigen, sondern auch Freunden. Große Unternehmen der Branche konkurrieren nicht etwa mit BASF, sie kooperieren "Wir arbeiten mit den führenden Saatguthersteller der Welt zusammen", sagt Eckes. Trade-Technologie-Partnerschaft nennt sich das Modell. BASF forscht bis zu marktreife, die Saatguthersteller kaufen das Know-how ein, vermarkten die Produkte dann später selbst. Bayer ist dabei, genauso der US-Saatgut- und Pflanzenschutzriese Monsanto.

 

Am Samstagnachmittag sind 450 Kilo Amflora ausgepflanzt, die Kartoffellegemaschine steht still, der dicke Raps wiegt sich im Wind, der Wachmann ist auf seinem Posten. Keiner ist gekommen, um die Ruhe zu stören. "Wenn das hier so weitergeht", sagt Stenske, "können wir im August ernten."