Das Bundessozialgericht stellt die in Freiburg gängige Praxis von "angemessenen" Mietobergrenzen in Frage und will Nachweise.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat dem Freiburger Konzept der Mietobergrenzen sozusagen ein Armutszeugnis ausgestellt. Im Herbst 2007 nämlich beschloss der Gemeinderat, für Empfänger von Hartz IV und Grundsicherung sei eine Mietobergrenze von (heute) etwa 305 Euro Kaltmiete für einen Einpersonenhaushalt angemessen. Daran richteten sich seither die von der Stadt übers Jobcenter gezahlten Kosten für die Unterkunft aus – unabhängig davon, ob es solche Wohnungen in der Stadt in ausreichender Zahl überhaupt gibt. Das aber gehe so nicht, meint nun das BSG.
Deshalb hat es den Fall einer Freiburgerin an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Sie hatte Widerspruch dagegen erhoben, dass ihr mit Verweis auf die "angemessenen" Mietobergrenzen nicht die vollen Kosten der Unterkunft gezahlt wurden. Das Sozialgericht Freiburg lehnte diesen Widerspruch ebenso ab wie das Landessozialgericht (LSG) in Stuttgart. Nun aber hob das BSG diese beiden Urteile auf und bestätigt dem Freiburger Konzept (das eine fiktive Wohnung zum Maßstab macht, ohne nachzuweisen, dass es sie in ausreichender Zahl gibt), rechtswidrig zu sein, erklärt Roland Rosenow von der Kanzlei Sozialrecht in Freiburg. Denn: "Ein Konzept ist nicht plausibel und damit rechtswidrig, wenn nicht eine ausreichende Zahl von Wohnungen nachgewiesen wird."
Solche Nachweise hätten weder das Sozial- noch das Landessozialgericht
verlangt. Weshalb das BSG dem Stuttgarter Gericht genau dies jetzt
aufgetragen habe nachzuholen. Und weil es diese Wohnungen auf dem
Freiburger Wohnungsmarkt eben gar nicht gebe, wie mehrere Untersuchungen
ergeben hätten, ist sich Roland Rosenow sicher: "Es ist
hochwahrscheinlich, dass es zu einer Anhebung der Angemessenheitsgrenzen
kommen wird." Wer Widerspruch gegen die Bescheide vom Jobcenter
einlege, könne daher durchaus damit rechnen, das aus der schmalen
eigenen Tasche für die Miete (über die erhaltenen Kosten der Unterkunft)
mehr gezahlte Geld zurückzubekommen. Roland Rosenow rechnet jedenfalls
künftig mit mindestens sechsstelligen Mehrausgaben für die Stadt.
Zur Zeit sind nach Angaben Edith Lamersdorfs vom städtischen Presse- und
Öffentlichkeitsreferat jährlich allein für 8674
Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften etwa 40 Millionen Euro an Kosten der
Unterkunft von der Stadt aufzubringen. Davon erstattet der Bund knapp
elf Millionen. Wie viele Menschen Grundsicherung und entsprechend Kosten
der Unterkunft bekommen, war nicht zu erfahren. Der Runde Tisch gegen
die Auswirkungen der Hartz-IV-Gesetze in Freiburg schätzt sie auf mehr
als 3000. Nach Ansicht Roland Rosenows bestätigt folglich "das BSG einen
rechtswidrigen Zustand für mindestens 14 000 Menschen".
Ganz anderer Meinung ist die Stadtverwaltung, wie Edith Lamersdorf auf
Anfrage der BZ mitteilt: "Aus dem, was wir wissen, können wir diese
Schlüsse nicht nachvollziehen und nicht herauslesen, dass die
Verwaltungspraxis des Jobcenters rechtswidrig ist." Außerdem sei es
fraglich, ob aus einer Einzelfallentscheidung Rückschlüsse auf alle
anderen gezogen werden könnten. Ansonsten: "Wir werden mehr sagen, wenn
wir die Urteilsbegründung haben."
Das bedeutet erfahrungsgemäß Warten, meint Roland Rosenow. "Wenn die
Stadt Freiburg jetzt nichts macht, dann kann es durchaus zweieinhalb
Jahre dauern, bis die, die Widerspruch gegen ihre Bescheide zu den
Kosten der Unterkunft eingelegt haben, ihr Geld nach einer erneuten
LSG-Entscheidung rückwirkend bekommen.