Erfolg für einen Widerspruch

Erstveröffentlicht: 
20.04.2011

Das Bundessozialgericht stellt die in Freiburg gängige Praxis von "angemessenen" Mietobergrenzen in Frage und will Nachweise.

 

Das Bundessozialgericht (BSG) hat dem Freiburger Konzept der Mietobergrenzen sozusagen ein Armutszeugnis ausgestellt. Im Herbst 2007 nämlich beschloss der Gemeinderat, für Empfänger von Hartz IV und Grundsicherung sei eine Mietobergrenze von (heute) etwa 305 Euro Kaltmiete für einen Einpersonenhaushalt angemessen. Daran richteten sich seither die von der Stadt übers Jobcenter gezahlten Kosten für die Unterkunft aus – unabhängig davon, ob es solche Wohnungen in der Stadt in ausreichender Zahl überhaupt gibt. Das aber gehe so nicht, meint nun das BSG.

 

Deshalb hat es den Fall einer Freiburgerin an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Sie hatte Widerspruch dagegen erhoben, dass ihr mit Verweis auf die "angemessenen" Mietobergrenzen nicht die vollen Kosten der Unterkunft gezahlt wurden. Das Sozialgericht Freiburg lehnte diesen Widerspruch ebenso ab wie das Landessozialgericht (LSG) in Stuttgart. Nun aber hob das BSG diese beiden Urteile auf und bestätigt dem Freiburger Konzept (das eine fiktive Wohnung zum Maßstab macht, ohne nachzuweisen, dass es sie in ausreichender Zahl gibt), rechtswidrig zu sein, erklärt Roland Rosenow von der Kanzlei Sozialrecht in Freiburg. Denn: "Ein Konzept ist nicht plausibel und damit rechtswidrig, wenn nicht eine ausreichende Zahl von Wohnungen nachgewiesen wird."

 

Solche Nachweise hätten weder das Sozial- noch das Landessozialgericht verlangt. Weshalb das BSG dem Stuttgarter Gericht genau dies jetzt aufgetragen habe nachzuholen. Und weil es diese Wohnungen auf dem Freiburger Wohnungsmarkt eben gar nicht gebe, wie mehrere Untersuchungen ergeben hätten, ist sich Roland Rosenow sicher: "Es ist hochwahrscheinlich, dass es zu einer Anhebung der Angemessenheitsgrenzen kommen wird." Wer Widerspruch gegen die Bescheide vom Jobcenter einlege, könne daher durchaus damit rechnen, das aus der schmalen eigenen Tasche für die Miete (über die erhaltenen Kosten der Unterkunft) mehr gezahlte Geld zurückzubekommen. Roland Rosenow rechnet jedenfalls künftig mit mindestens sechsstelligen Mehrausgaben für die Stadt.

Zur Zeit sind nach Angaben Edith Lamersdorfs vom städtischen Presse- und Öffentlichkeitsreferat jährlich allein für 8674 Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften etwa 40 Millionen Euro an Kosten der Unterkunft von der Stadt aufzubringen. Davon erstattet der Bund knapp elf Millionen. Wie viele Menschen Grundsicherung und entsprechend Kosten der Unterkunft bekommen, war nicht zu erfahren. Der Runde Tisch gegen die Auswirkungen der Hartz-IV-Gesetze in Freiburg schätzt sie auf mehr als 3000. Nach Ansicht Roland Rosenows bestätigt folglich "das BSG einen rechtswidrigen Zustand für mindestens 14 000 Menschen".

Ganz anderer Meinung ist die Stadtverwaltung, wie Edith Lamersdorf auf Anfrage der BZ mitteilt: "Aus dem, was wir wissen, können wir diese Schlüsse nicht nachvollziehen und nicht herauslesen, dass die Verwaltungspraxis des Jobcenters rechtswidrig ist." Außerdem sei es fraglich, ob aus einer Einzelfallentscheidung Rückschlüsse auf alle anderen gezogen werden könnten. Ansonsten: "Wir werden mehr sagen, wenn wir die Urteilsbegründung haben."

Das bedeutet erfahrungsgemäß Warten, meint Roland Rosenow. "Wenn die Stadt Freiburg jetzt nichts macht, dann kann es durchaus zweieinhalb Jahre dauern, bis die, die Widerspruch gegen ihre Bescheide zu den Kosten der Unterkunft eingelegt haben, ihr Geld nach einer erneuten LSG-Entscheidung rückwirkend bekommen.