Wieder wurde ein verdeckter Ermittler in Großbritannien geoutet, auch die Bundesregierung betreibt die Ausweitung der Spitzelei
Am Wochenende ist mit sechs Jahren Verspätung bereits der sechste britische Undercover-Polizist bekannt geworden. Dem britischen Sender BBC war ein älterer Audiomitschnitt zugespielt worden, auf dem der Polizist zu hören ist. Dabei half die technische Unerfahrenheit des unter dem Tarnnamen "Simon Wellings" operierenden Spitzels: Sein Mobiltelefon hatte in der Hosentasche unbemerkt bei einem Campaigner der von ihm observierten Gruppe "Globalize Resistance" angerufen, der das Gespräch kurzerhand aufnahm.
Der Spitzel befand sich offensichtlich in Gesellschaft anderer Polizisten, denen gegenüber er Bilder von Aktivisten kommentierte. Dabei ging er auch unter die Gürtellinie und verriet Details zu Aussehen und sexueller Orientierung. Eine seiner Zielpersonen bezeichnete er als "unverhohlene Lesbe". "Wie von beinahe allen zuvor aufgeflogenen britischen Polizeispitzeln bekannt, war auch "Wellings" international aktiv, darunter in Sevilla und New York (Mit falschen Papieren gegen "Euro-Anarchisten"). Er avancierte zum Fotograf der Gruppe und sammelte während seiner Tätigkeit zwischen 2001 bis 2005 Hunderte von Bildern.
Auch der wohl bekannteste, langjährige Spitzel Mark Kennedy war in den USA eingesetzt und besorgte dort Informationen über die Protestvorbereitung für den G8-Gipfel 2008 in Japan. Am Samstag hatte sich Kennedy nach längerer Medienabstinenz wieder in der Tageszeitung "Guardian" zu Wort gemeldet und ein langes Interview gegeben. Laut Insider-Informationen soll die Berichterstattung im "Guardian" einen Dokumentarfilm anbahnen, der demnach bald über die Kennedys‘ siebenjährige Spitzeldienste entstehen soll.
Wie schon in den früheren Interviews in der Wochenendbeilage der "Daily Mail", für die Kennedy angeblich eine sechsstellige Summe erhält, drückt der Ex-Polizist gehörig auf die Tränendrüse: Er habe niemand vom Demonstrieren abhalten wollen, und sowieso seien die von ihm Infiltrierten ganz in Ordnung gewesen. Zudem sei er im Grunde eine "ehrliche Person" und habe nur gelogen, weil es seine Aufgabe gewesen sei. Dabei dokumentiert er seine fast schizophrene, mindestens aber gespaltene Persönlichkeit: Er habe die Lügen nur erzählen müssen, um seine falsche Identität als "Mark Stone" aufzubauen. Immerhin erkennt sich Kennedy selbst als "ein wenig paranoid".
Immer noch liegen zahlreiche Details von Einsätzen der britischen Schnüffler im Dunkeln (Wer bezahlte die Spitzel?). Während etwa der Chef des Bundeskriminalamts (BKA) Jörg Ziercke, behauptet, ausländische Spitzel nur an Landespolizeien vermittelt zu haben und ansonsten nicht involviert gewesen, wurden die Undercover-Polizisten und ihre mitreisenden Führungspersonen beim G8-Gipfel in Heiligendamm von Verbindungsbeamten des BKA betreut.
In einer jüngst beantworteten Kleinen Anfrage von Barbara Borchardt (Die Linke) erneuerte die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns den Hinweis, dass Polizeibeamte ausländischer Staaten "uneingeschränkt den Rechtsnormen der deutschen Gesetze" unterliegen und daher "genauso wie deutsche verdeckte Ermittler und Vertrauenspersonen, in Deutschland keine Straftaten begehen" dürften. Dennoch ist etwa der Polizist Mark Kennedy nahe Rostock strafrechtlich aktenkundig geworden und hat unter seinem Pseudonym in Berlin eine Brandstiftung begangen. Laut Ziercke wurde die "Aktion" während einer Demonstration zusammen mit Kennedys' britischen Polizeiführern eingefädelt.
Der Berliner Innensenator Körting hat der Darstellung des BKA widersprochen, wonach das Land Berlin seine "ganz klare Zustimmung" zum Zündeln gegeben habe. "Ich möchte in Zukunft gerne wissen, welche ausländische Agenten hier in Berlin herumwuseln", gibt sich Körting distanziert.
Bespitzelung von Mitgliedern des Berliner Sozialforums
Der Innensenator vernebelt dabei, dass seine Polizei selbst eifrig linke Bewegungen infiltriert und dabei Transparenz und vor allem ein Auskunftsrecht für Betroffene auf der Strecke bleiben. Mindestens ab 2003 hatte etwa das Bundesamt für Verfassungsschutz das Berliner Sozialforum unterwandert und vier Informanten platziert und bezahlt (Schlappe für Berlins Schlapphüte). Die Berliner Verfassungsschutzbehörde führte einen eigenen V-Mann, der über 10 Jahre in "autonomen Kreisen" aktiv war.
Der Innensenator behauptete später, die Spitzelei hätte sich gegen Autonome gerichtet, die das Sozialforum angeblich "dominieren" wollten. Demgegenüber wurden aber auch mehrere Gewerkschaftsfunktionäre ausgespäht. Der Politologe Peter Grottian, Mitglied des Sozialforums, der die Infiltration damals in die Öffentlichkeit gebracht hatte, entschied sich gegen die Veröffentlichung von Namen und zog damit heftige Kritik auf sich, die unter anderem in einem anonymen Statement in der linksradikalen Szene-Zeitschrift "Interim" gipfelte.
20 Personen aus dem Kreis des Sozialforums haben daraufhin Anträge auf Auskunft sowie Akteneinsicht beim Landesamt für Verfassungsschutz gestellt. Laut einer Pressemitteilung wurden die Anträge nicht nur "schleppend bearbeitet", sondern kurzerhand abgelehnt: Die Auskünfte könnten Aufschlüsse über die Arbeitsweise und Quellen des Verfassungsschutzes ermöglichen. Die Behörde bot den Klägern an, Informationen, sofern sie nicht Autonome beträfen, zu löschen. Fünf Betroffene hatten sich allerdings lieber für Klagen beim Verwaltungsgericht entschieden, von denen die erste im Januar 2008 positiv beschieden wurde. Demnach reiche es nicht aus, eine Auskunft über gespeicherte und gesammelte Informationen pauschal zu verweigern. Nicht alle mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnenen Informationen würden grundsätzlich Geheimnisschutz genießen. Die Senatsverwaltung hat daraufhin Berufung beim Oberverwaltungsgericht eingelegt, die morgen in Berlin verhandelt wird.
Vor allem angesichts der Affären um den Austausch verdeckter Ermittler von Großbritannien und Deutschland, aber auch dem Einsatz des Spätzle-Spitzels Simon Bromma im September letzten Jahres in Belgien sind zahlreiche Fragen ungeklärt. Offen ist etwa, ob Bromma der Brüsseler Polizei die Vorlage für eine der größten "präventiven" Massenfestnahme Belgiens geliefert hatte.
Aber auch innerhalb Deutschlands geben sich die Verfolgungsbehörden selbst von öffentlicher Kritik oder Gerichtsurteilen unbeeindruckt. Der "Einsatz menschlicher Quellen" sei laut Bundesamt für den Verfassungsschutz "nach wie vor sei eines der effektivsten nachrichtendienstlichen Mittel zur Informationsbeschaffung", das jetzt mit einem neuen Programm "Verstärkte Aufklärung der gewaltbereiten Szene durch menschliche Quellen" in Schwung gebracht werden