In deutschen Gefängnissen geschieht mitunter auch Sonderbares, was im ersten Moment zum Lachen reizt, oder ungläubig den Kopf schütteln lässt; aber fast immer weist die auch noch so skurril anmutenste Situation auf tiefer gehende und vor allem bedrückende Zustände hin. Von diesen soll heute die Rede sein.
Weichspüler im Nasenspray
In der nordrhein-westfälischen Haftanstalt in Remscheid stieg 2010 der Verbrauch von Nasensprays offenbar rasant an. Wie die Süddeutsche Zeitung (28.02.2011) berichtete, schlug dann bei einer Zellenkontrolle ein Spürhund an und so untersuchten die Beamten die Nasensprays näher. Was fanden sie? Handelsüblichen Weichspüler. Die Inhaftierten waren der Überzeugung, der Weichspüler würde, wie sie sagten „so richtig rein hauen“, sprich sie betäuben, bzw. in einen rauschähnlichen Zustand versetzen.
Hintergrund für diese Vermutung mögen Berichte über Reinigungsmittel sein, welche u.a. GBL (eine in der Medizin als Narkotikum verwendete Form von Buttersäure) enthalten; wie toxikologische Untersuchungen dann ergaben, fanden sich zumindest winzigste Spuren von GBL in jenem Weichspüler, allerdings nicht in einer Dosis, welche einen Rausch hervorrufen könne, wird in dem SZ-Artikel ein Toxikologe zitiert. Dessen ungeachtet verbot das Justizministerium die weitere Ausgabe dieses Weichspülers an Gefangene.
Je nach Untersuchung der Quelle wird von einem Anteil an Drogensüchtigen im Strafvollzug von 50% - 80% ausgegangen, wobei die letztgenannte Zahl dann auch so genannte „GelegenheitskonsumentInnen“ einschließt.
Menschen einzusperren ist, kurz gesagt, unnatürlich; eingesperrt in kleinen Zellen, mitunter 23 Stunden pro Tag, das über Jahre. Allein gelassen mit ihren Sorgen, wie auch ihren in aller Regel vielfältigen Problemen, ist die Versuchung für sehr viele groß, sich durch berauschend wirkende Substanzen zumindest kurzfristig der Situation (vermeintlich) zu entziehen. Da Alkohol hinter Gittern streng verboten ist, wird alles konsumiert, was in irgendeiner Weise einen Rauschzustand verspricht. Illegale Drogen sind enorm teuer, aber all zeit erhältlich – und wenn dann das Gerücht umgeht, der kostenlose Weichspüler enthält GBL, ist es nur zu verständlich, dass auch auf die Gefahr hin einer Falschmeldung aufzusitzen, sich Gefangene diesen in die Nase sprühen (durch die Nasenschleimhaut soll dann das GBL umgehend in den Blutkreislauf gelangen und ins Gehirn).
Insofern ist es nicht wirklich amüsant, wenn wir davon hören, dass Gefangene sich Weichspüler zu führen, sondern es ist ein anschauliches Beispiel dafür, was verzweifelte Menschen bereit sind zu tun.
Frauenkleider im Männerknast
Einem Bericht der HAZ (Hannoversche Allgemeine Zeitung) vom 02.03.2011 konnte entnommen werden, dass die JVA Hannover einem männlichen Insassen verboten hatte, in seiner Zelle Frauenkleider zu tragen, da er hierdurch andere Gefangene zu Übergriffen „provozieren“ könne. Der Betroffene, der aussagte eine transsexuelle Neigung zu spüren, zog vor Gericht. Verlor er noch in der 1. Instanz, so gab ihm am Ende das Oberlandesgericht Celle recht. Schon aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folge der Anspruch auch für einen Mann, so er dies wolle, Frauenkleider zu tragen. Nunmehr muss das Landgericht, das zuvor die Entscheidung der JVA gebilligt hatte, neu über den Fall befinden.
Nicht allzu oft, aber doch hin und wieder, begegnet man in den Gefängnissen transsexuellen Menschen. Diese werden, gerade im Männervollzug, der doch von den stereotypen Männlichkeitsklischees geprägt ist, vielfach schikaniert und bedrängt; wobei sich hier in den vergangenen 10 – 15 Jahren sicherlich auch manches verbessert haben dürfte. Inge, eine Gefangene, die noch bis vor einigen Jahren in der JVA Mannheim im Männergefängnis saß, wurde bespuckt, geschlagen und beschimpft – aber unermüdlich kämpfte sie für ihre Anerkennung als Frau. Nach diversen Gerichtsprozessen, auch Ermittlungsverfahren gegen Vollzugsbeamte, denen sie Übergriffe auf sich vorwarf, erfolgte schlussendlich eine Verlegung in den Frauenvollzug nach Schwäbisch-Gmünd und die geschlechtsangleichende Operation.
Ministerieller Stehempfang in der JVA Bruchsal
Gelegentlich besuchen Justizminister und andere Vertreter aus Politik und Justiz Gefängnisse, insbesondere wenn es gilt einen Neubau o.ä. zu eröffnen. So auch am 22.11.2010 der Herr Professor Dr. Goll (FDP), seines Zeichens Justizminister in Baden-Württemberg; mit zahlreichen Gästen aus lokaler Politik, Justiz und justiznahen Institutionen, eröffnete er in der JVA Bruchsal eine Behandlungsabteilung für Gewalttäter. Anlässlich dieser Veranstaltung folgte in der Turnhalle des Gefängnisses ein opulenter Stehempfang, von welchem die Gefangenen, informiert von der in der Gefängnisküche tätigen Mitinsassen, die nämlich für die „hohen Gäste“ das Buffet zu richten hatten, noch Wochen danach empört erzählten. Während sie selbst, also die Inhaftierten, an diesem Tag den üblichen trockenen Reis und Chili con Carne vorgesetzt bekamen, kredenzte man Goll und Konsorten Wein, Meeresfrüchte, frische Erdbeeren und allerlei andere Leckereien.
Im Rahmen eines deswegen angestrengten Petitionsverfahrens verwahrte sich das Justizministerium gegen den Vorwurf hier habe eine Geldverschwendung stattgefunden. Der Anstalt seien exakt „Kosten in Höhe von 124,38 Euro“ entstanden, nämlich für „belegte Brote“. Was sich so nach Picknick anhört, waren frische Baguettes und ein ansehnliches Buffet. Den Wein, so das Ministerium, habe der Verein „Opferschutz e.V.“ bezahlt. Und die Meeresfrüchte, das seien doch bloß „tief gefrorene Garnelen aus Restbeständen einer anderen Veranstaltung der freien Straffälligenhilfe“ gewesen.
Bei Gefangenen, denen einerseits die schon geringen Löhne gekürzt werden, während im selben Atemzug der Anstaltskaufmann seine Preise in immer höhere Höhen schraubt (http://de.indymedia.org/2010/05/280395.shtml zur Geschäftspolitik der Firma Massak Logistik GmbH), hinterlässt jedoch solch ein üppig bestückter Empfang in der Sporthalle (nur nebenbei: die Freizeitveranstaltungen der Gefangenen an jenem Abend fielen deswegen ersatzlos aus) einen unappetitlichen Beigeschmack.
Knast ein fideles Hotel
Gerade BILD und andere Boulevardmedien bemühen sich darum die Gefängnisse als eine etwas abgespeckte Variante eines Hotel Garni darzustellen. Hier mag ein aktueller Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes (Az. 1 BvR 409/09, abrufbar über http://www.bundesverfassungsgericht.de) neue Einsichten vermitteln.
Geklagt hatte ein ehemaliger Insasse der Vollzugsanstalten Köln und Hagen, der gerne Schmerzensgeld dafür hätte, dass er 2007 fast 6 Monate in Zellen untergebracht war, in welchen die Toiletten nur durch einen Sichtschutz abgetrennt waren. Er musste die ca. 8 qm (inklusive WC!) kleinen Zellen stets mit einem Mitgefangenen teilen, saß also meist 23 Stunden am Tag in diesem kleinen Raum, dem Gestank, Körperausdünstungen und den üblen Gerüchen der Toilette ausgesetzt. Im August 2008 lehnte es das Landgericht Köln ab, dem mittellosen Kläger Prozesskostenbeihilfe für einen Amtshaftungsprozess zu gewähren, da die beabsichtigte Zivilklage keinerlei Aussicht auf Erfolg habe. Dem folgte das Bundesverfassungsgericht in seinem vor kurzem veröffentlichten Beschluss nicht, sondern rüffelte die Kölner Richter vernehmlich.
Das Landgericht sei von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes abgewichen und habe darüber hinaus schwerwiegende Rechtsfragen gleich selbst im PKH-Verfahren entschieden, was aber nicht zulässig sei, sondern nur in einem normalen Zivilprozess geschehen dürfe.
In einer Nebenbemerkung ließen die Verfassungsrichter zudem erkennen, dass im Falle von chronischer Überbelegung einer Anstalt, die Gefängnisse sogar gehalten sein könnten, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist, Inhaftierte zu entlassen.
Nun darf diese neue Entscheidung jedoch nicht überbewertet werden, denn das Gericht betonte nur das, was es schon seit gut 10 Jahren in Sachen menschenunwürdiger Unterbringung immer mal wieder kund tut – nur die Länderjustizverwaltungen sitzen das Problem aus. Dort wird kühl kalkuliert: Was kostet es, wenn ein paar Gefangenen, die irgendwann einmal erfolgreich vor Gericht ein Schmerzensgeld einklagen, im Vergleich zu Gefängnisneubauten? Letzteres ist ungleich teurer. Auf die Idee (wie nun auch vom Bundesverfassungsgericht angeregt) Gefangene zu entlassen, kommt in der Justizverwaltung sowieso keiner, die BILD-Schlagzeilen möchte sich wohl keiner einhandeln.
Und Gefangene, die sich gegen menschenunwürdige Unterbringung wehren, müssen zudem damit rechnen, sich die jeweilige Anstalt und deren MitarbeiterInnen in großen Teilen zum Feind zu machen. Mal mehr, mal weniger subtile Beeinflussungen durch das Personal werden immer wieder berichtet. Da wird dann schon mal gefragt, ob sich Herr / Frau X denn nicht wünsche frühzeitiger aus der Haft entlassen zu werden, dass das aber schwierig werden könne, wenn er / sie hier den Vollzugsbetrieb mit im Grunde doch völlig aussichts- und substanzlosen Klagen wegen angeblich menschenunwürdiger Haftbedingungen störe.
Fazit
Gefängnisse, das wusste schon Dostijewski („Aus einem Totenhaus“) sind besondere Orte, mit besonderen Gesetzen, besonderer Tracht und besonderen Gebräuchen – aber dort ist auch Leben. In all seinen Facetten...
Thomas Meyer – Falk
z. Zt. JVA-Z. 3113
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