Repression und die Situation der linken Bewegung in Belarus

Freiheit für die politischgefangenen Anarchisten

Seit Anfang September letzten Jahres ist die linke Bewegung in Weißrussland (Belarus) starker Repression und Druck seitens der diktatur-ähnlichen Regierung ausgesetzt. Aktivist_Innen aus verschiedenen Städten wurden verhört, zu Aussagen genötigt, bedroht, ihre Häuser wurden durchsucht und Dutzende Menschen inhaftiert.

 

Repression nach Chimki-Aktionen schwappt über bis nach Belarus

Im Sommer 2010 gab es in Russland starke Proteste gegen den Bau einer Autobahn durch den Wald von dem kleinen Städtchen Chimki. Nach einer spontanen Demonstration mit ca. 300-400 Menschen in dem Örtchen und einem daraus hervorgegangenen Angriff auf dessen Rathaus mit Pyrotechnik usw. kam es zu einer riesigen Repressionswelle in der linken Bewegung vor Ort. Mehrere Aktivisten wurden seitdem festgenommen, darunter Maksim Solopov und Alexej Gaskarov  (vor Kurzem wurde auch Maksims Bruder Denis in der Ukraine verhaftet), andere Aktivist_Innen mussten teils folterähnliche Verhöre bei der Polizei über sich ergehen lassen; einige sind untergetaucht.

Im Rahmen von internationalen Solidaritätsaktionen wurden in der Nacht vom 30. auf den 31. August 2010 zwei Molotowcoctails auf die russische Botschaft in der Hauptstadt Minsk geworfen. Dabei hat ein Molli das Auto eines Diplomaten beschädigt, kein Mensch wurde verletzt. Die Aktion sorgte in den belarussischen und russischen Medien für große Aufmerksamkeit. Da die diplomatische Beziehung zwischen Belarus und Russland angeschlagen ist, schloss Russland verschwörungstheoretische Ansätze, wie belarussische Kräfte seien selbst an dem Angriff beteiligt gewesen, nicht aus. Da kam ein Bekennerschreiben am 2. September auf Indymedia den weißrussischen Behörden nur recht: eine vorher keinem bekannte Gruppe „Freunde der Freiheit“ übernahm die Verantwortung für den Angriff.

Die Repression nimmt ihren Lauf

Am Tag darauf wurden 7 Aktivist_Innen verhaftet. Spezialeinheiten stürmten morgens früh ihre Wohnungen und durchsuchten diese, nahmen alle Anwesenden fest und brachten sie zum Verhör auf die Wache, welche erst am nächsten Tag ausfindig gemacht werden konnte. Fünf Tage später wurden drei weitere Menschen festgenommen, später folgten sechs weitere Festnahmen.

Den Festgenommenen wurden viele konstruierte Vorwürfe an den Hals geworfen. So wurden sie größtenteils 72 Stunden ohne Anklage in Haft gehalten, dann freigelassen (so das belarussische Gesetz) und direkt wieder wegen anderen Vorwürfen festgenommen. Diese reichten von Telnahme an illegalen Demonstrationen über vermeintliche Brandstiftung bis zum Drogenbesitz.
Der Kontakt zu Anwält_Innen wurde vehement erschwert, Beweise für die Vorwürfe wurden nicht vorgelegt.

Seit dem 3. September waren ca. 20 Menschen in Haft, obwohl sie sogar teilweise Alibis hatten. Die Dauer des Knastaufenthaltes lag zwischen ein paar Tagen bis zu einigen Wochen. Es sind immer noch mehrere Aktivist_Innen im Gefängnis. Vier von ihnen sind angeklagt, so drohen z.B. Nikolai Dedok und Alexander Frantskevich bis zu 6 Jahre Haft, da ihnen nach einem belarussischen Strafartikel „Hooliganismus“ vorgeworfen wird.

Darüber hinaus wurden Dutzende Aktivist_Innen aus verschiedenen Städten (darunter Salihorsk, Homiel, Hronda, Brest und Minsk) zum Verhör geholt. Mehrere wurden danach nicht mehr nach Hause gelassen, vielen wurden Fotos von Konzerten gezeigt und von ihnen verlangt, die darauf abgebildeten Personen zu identifizieren. Ihnen wurde gedroht, falls sie nicht aussagen, würden sie zu Mittäter_Innen erklärt. Einigen wurde mit sexueller Gewalt durch andere Gefangene, Ärger am Arbeitsplatz der Eltern oder mit der Entlassung aus der Universität gedroht. Dabei ist es am 28. November sogar dazu gekommen, dass ein belarussischer Aktivist, der nach Russland geflohen ist, mitten auf der Fußgängerzone von zivilen, russischen Polizeibeamten gekidnapped wurde und innerhalb von 24 Stunden nach Belarus verschleppt worden ist. Es konnte eine Kollaboration zwischen den russischen und weißrussischen Geheimdiensten nachgewiesen werden.

Mögliche Gründe für die Repression

Die linke Bewegung in Belarus ist schon länger Repression ausgesetzt. So wurden Aktivist_Innen überwacht und bei Aktionen festgenommen. Jedoch erreichte die Repression bisher nie jenes Ausmaß, wie seit September 2010. Ein Grund dafür mögen die schlechten Beziehungen zu Russland gewesen sein, die seitens der Regierung einen Sündenbock und intensive Ermittlungen forderten. Präsident Lukashenko persönlich legte eine rasche Aufklärung der Sachverhalte auf.

Ein anderer Grund mag der Wahlkampf sein, der vor den Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember 2010 geführt worden ist. Lukashenko ist bereits seit ca. 17 Jahren Staatsoberhaupt in Belarus. Dass er wieder mit 80% der Stimmen „gewählt“ worden ist, löste am Abend der Wahlen großen Protest in der Hauptstadt aus. Die Demonstrant_Innen zogen vor das Regierungsgebäude und besetzten eine Minsker Hauptstraße. Dies wird als eine neue Qualität der Proteste gewertet. Dass der Protest wieder Festnahmen und Repression mit sich zog, ist nicht überraschend. (So wurden bereits 2006 Protestierende gegen das Lukashenko-Regime mit Schlagstöcken vertrieben und verhaftet, ähnlich geschehen 2008 nach den Parlamentswahlen) Bekannt sind Festnahmen und Gefängsnistrafen von 10 Tagen, prügelnde Bullen und Festnahmen von oppositionellen Journalisten.

Folgen für die Bewegung

Die Repression hat die aufkeimende linke Bewegung in Belarus immens geschwächt. Diese war besonders seit 2009 durch viele (direkte) Aktionen präsent und entwickelte eigene Strukturen. Doch die Festnahmen und Verhöre brachten viele Aktivist_Innen dazu, sich zurückzuziehen. Viele fühlten sich gelähmt und ohnmächtig gegenüber dem belarussischen Überwachungsstaat. Durch ungesicherte Computer sind viele wichtige Infos an den KGB (Geheimdienst von Belarus) gelangt. Dieser hat die Situation natürlich ausgenutzt, um an Informationen über die Bewegung zu kommen. Doch auch Rechtsradikale wurden festgenommen, was die These nur bestätigt – die Repression diente u.a. dazu, Informationen über „Regierungsfeinde“ zu sammeln.

Einige Aktivist_Innen haben den ersten Schock jedoch überwunden und kümmern sich jetzt um die Gefangenen. Dass dies in einem totalitären Staat wie Belarus keine einfache Sache darstellt, ist offensichtlich. Deswegen ist es umso wichtiger, die Genoss_Innen aus Belarus zu unterstützen. Es ist wichtig, Öffentlichkeit zu schaffen und Druck auf die Behören aus dem Ausland auszuüben. Außerdem wird Geld für Anwälte etc. gebraucht. Natürlich geben Soli-Aktionen den Betroffenen auch Mut, ihren Kampf fortzusetzen.

Veranstaltung mit ABC Minsk in Bochum

Wir freuen uns, morgen Aktivist_Innen aus Weißrussland in Bochum zu empfangen. Sie werden über ihre Situation und die Repression vor Ort berichten. Danach stehen sie gerne zur Diskussion zur Verfügung.

Die Veranstaltung beginnt um 19:30 und findet im Sozialen Zentrum statt.

Solidarität kennt keine Grenzen – Wut und Trauer zu Widerstand!

Antifaschistische Jugend Bochum