S 21 Aus versuchtem Totschlag wird ein Widerstand

Erstveröffentlicht: 
19.03.2011

Aus versuchtem Totschlag wird ein Widerstand


S 21. Juristen klagen über zu hohe Strafforderungen gegen Gegner des Projekts. Von Markus Heffner

 

In der Gemeinschaftskanzlei von Simone Eberle haben zwischenzeitlich schon etliche Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 juristischen Beistand gesucht, gegen die nach Ansicht der Fachanwältin in der Anklageschrift viel zu hoch gegriffen wurde. Unter ihren Akten ist auch ein „besonders krasser Fall”, wie sie findet, in dem nun vor kurzem das richterliche Urteil gesprochen wurde.

Es geht dabei um eine knapp 60-jährige Frau, die laut der Rechtsanwältin im vorigen Jahr bei einer der Großdemonstrationen vor dem Nordflügel eine Polizeikette durchbrechen wollte, um auf der Straße einen Lastwagen zu blockieren. Dabei habe sie einen Polizeibeamten, der bereits auf der Straße stand, geschubst, sagt Simone Eberle. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart, bei der die Polizei den Fall angezeigt hatte, war zunächst zu einer anderen Einschätzung gelangt: Sie hatte vor dem Amtsgericht einen Haftbefehl wegen „versuchten Totschlags” beantragt. Die Frau habe einen Beamten unvermittelt auf die Straße vor einen langsam fahrenden Lastwagen geschoben, sagt die Pressestaatsanwältin Claudia Krauth. Um Schlimmeres zu verhindern, habe der Fahrer eine Vollbremsung machen müssen.

Das Amtsgericht wies das Ansinnen der Strafverfolgungsbehörde allerdings zurück. Der Richter habe keinen dringenden Tatverdacht erkennen können, sagt die Sprecherin Monika Rudolph. Um den Haftbefehl dennoch zu erwirken, legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde vor dem Landgericht ein, die aber ebenfalls mit gleicher Begründung zurückgewiesen wurde. Für die Hauptverhandlung reduzierte die Staatsanwaltschaft die Anklage daraufhin auf Widerstand in einem besonders schweren Fall. Tatsächlich verurteilt wurde die Frau nun aber wegen eines einfachen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

Diese Diskrepanz zwischen dem Vorwurf einer versuchten Tötung und dem Urteil des Richters zeige, dass die Demonstranten kriminalisiert und eingeschüchtert werden sollen, sagt Simone Eberle, die mit 30 Anwälten und Richtern dem Arbeitskreis Juristen zu Stuttgart 21 angehört. Die Staatsanwaltschaft selbst wehrt sich gegen derartige Vorwürfe, so Claudia Krauth: Es werde beileibe nicht alles zu Anklage gebracht, was von der Polizei angezeigt wird.