Eine Anfang Februar lancierte Kampagne kritisiert das Nothilfe-Regime für abgewiesene Asylsuchende hart. Es sei menschenunwürdig und verletze die Grundrechte der Betroffenen. Das Recht auf Hilfe in der Not ist längst zu einem migrationspolitischen Instrument verkommen.
Von Ray Smith
„Die Nothilfe ist keine Hilfe,“ sagt Ahmed (Name geändert) Der junge Palästinenser muss es wissen. Sein Asylgesuch wurde abgelehnt und er landete in der Nothilfe. In Basel, wo Ahmed seit mehreren Jahren lebt, erhalten NothilfebezügerInnen 12 Franken pro Tag. Schlafen können sie in der Notschlafstelle, welche tagsüber geschlossen bleibt. Ahmed musste sich wöchentlich bei der Fremdenpolizei melden. „Jedes Mal fürchtete ich, verhaftet zu werden und wieder in Ausschaffungshaft zu landen,“ sagt er. Seit rund einem Jahr meldet er sich nicht mehr: „Wenn du die ganze Zeit Angst hast, reicht es dir irgendwann. Also verzichtest du auf das Geld, um in Ruhe gelassen zu werden.“ Für Ahmed ist klar: Die Nothilfe ist ein Instrument der Behörden um ihn unter Druck zu setzen und ihn „kaputt zu machen.“
Gegenwärtig beziehen in der Schweiz rund 5800 Personen Nothilfe. Diese ist nicht etwa eine nette Gefälligkeit des Staates, sondern ein verfassungsmässig garantiertes Recht. Ein Bundesgerichtsurteil von 2005 besagt zudem, dass der Nothilfebezug nicht an unzumutbare oder schikanöse Bedingungen geknüpft sein darf. Die für die Ausrichtung der Nothilfe zuständigen Kantone haben sich in den vergangenen Jahren jedoch einen regelrechten Verschärfungs-Wettbewerb geliefert. Ein neuer Bericht [PDF] der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) unterstreicht, dass die Kantone versuchen, „NothilfebezügerInnen mit möglichst abschreckenden Massnahmen, die nicht selten die Grundrechte der Betroffenen tangieren, zur freiwilligen Ausreise zu bewegen.“ Beispiele für solche Massnahmen sind etwa willkürliche Verhaftungen, Präsenzkontrollen oder der Zwang zum wöchentlichen Wechsel der Unterkunft.
Für Susanne Bolz von der SFH ist klar: „Das Recht auf Unterstützung in Notlagen wurde für migrationspolitische Massnahmen zweckentfremdet.“ Die Politisierung dieses Grundrechts und die gezielte Prekarisierung der Betroffenen haben die SFH, Amnesty International, Solidarité sans Frontières und die Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht dazu bewogen, eine nationale Sensibilisierungskampagne zu starten und die Realität der Nothilfe aufzuzeigen. Auf ihrer kollektiven Plattform fordern die Organisationen jedoch bloss eine „grundsätzliche Überprüfung des Nothilfesystems“ und nicht etwa eine Abkehr davon.
Bisschen mager, denn die Kampagne geht mit dem Regime hart ins Gericht. So sagt etwa Susanne Bolz, das gesamte Nothilfesystem sei „höchst problematisch, da Personen per Gesetz prekarisiert und in ein System gedrängt werden, welches ihre Menschenwürde und ihre Grundrechte in vielen Fällen nicht wahrt.“ Als „schlicht gescheitert“ beurteilt indes Moreno Casasola, Generalsekretär von Solidarité sans frontières (Sosf) das Nothilfe-Regime und betont: „Für Sosf kann die einzige Lösung nunmehr sein, dass man in einem sofortigen ersten Schritt den Sozialhilfestopp aufhebt.“ Dann solle man weiterschauen, so Casasola.
Im neusten Film des autonomen Medienkollektivs 'a-films' erklärt derweil ein Nothilfebezüger, wie er mit 8.60 Fr. pro Tag überlebt. Er kauft sich damit meist billiges Toastbrot, Fruchtsaft, Milch und etwas Früchte. „Wenn ich etwa Seife oder eine Zahnbürste kaufen muss, bleibt weniger für Essen übrig,“ sagt Ken (Name geändert). Seinen täglichen Migros-Gutschein könne er nicht einfach irgendwie ausgeben: „Du musst einen Plan haben und dir gewisse Dinge vorenthalten.“ Ken lebte jahrelang in Notunterkünften im Kanton Zürich, zuletzt im „Bunker“ von Uster, einer (unterirdischen) Zivilschutzanlage. „Wenn du hier jahrelang lebst, schadet dir das psychisch und physisch,“ sagt Ken. Für Sosf's Casasola ist daher klar: „Das Nothilfe-Regime macht, was es ist: krank. Und Krankheiten müssen bekämpft werden.“
Ray Smith ist freischaffender Journalist.