Attacke auf Gewerkschaften: Amerikanische Schock-Strategie

Erstveröffentlicht: 
27.02.2011

In der Hauptstadt Madison haben seit Wochen Zehntausende gegen das Budgetgesetz demonstriert. Dieses würde Staatsbediensteten ihre gewerkschaftlichen Rechte nehmen. Gouverneur Scott Walker behauptet, er wolle nur die Finanzprobleme des Staats lösen.

 

Vielleicht ist Madison im US-Bundesstaat Wisconsin ja gar nicht Kairo, sondern Bagdad im Jahr 2003, als Bush den Irak Beamten unterstellte, die ihrer Loyalität und nicht ihrer Kompetenz wegen ausgewählt wurden. Die Ergebnisse waren spektakulär – im schlechten Sinn. Statt sich auf die Probleme zu konzentrieren, wollten Bushs Mannen dem Land ihre konservative Ideologie überstülpen. Während noch Plünderer durch die Straßen zogen, sagte der US-Statthalter Paul Bremer, eine seiner obersten Prioritäten sei es, „staatseigene Unternehmen zu privatisieren“ und „die Leute von der Idee zu entwöhnen, dass der Staat für alles aufkommt“.

Die Geschichte der privatisierungsversessenen Übergangsverwaltung war das Herzstück von Naomi Kleins Buch „Die Schock-Strategie“. Darin zeigte sie das Muster auf: Seit den 1970er Jahren hätten rechte Ideologen Krisen genutzt, um eine Agenda durchzudrücken, die die jeweilige Krise nicht löste, sondern eine rauere, ungleichere, weniger demokratische Gesellschaft schuf. In Wisconsin kommt im Jahr 2011 die Schock-Strategie voll zum Zug.

 

In der Hauptstadt Madison haben seit Wochen Zehntausende gegen das Budgetgesetz demonstriert. Dieses würde Staatsbediensteten ihre gewerkschaftlichen Rechte nehmen. Gouverneur Scott Walker behauptet, er wolle nur die Finanzprobleme des Staats lösen. Aber sein Angriff hat nichts mit dem Haushalt zu tun. Tatsächlich sind die Gewerkschaften bereit, finanzielle Zugeständnisse zu machen. Dieses Angebot lehnte der Gouverneur aber ab.

 

Madison steht vor einer Machtergreifung: Die Haushaltskrise soll genutzt werden, um das letzte große Gegengewicht zu der politischen Macht der Konzerne und der Reichen zu zerstören. Dabei geht es nicht nur um die Zerschlagung der Gewerkschaften. Tief im Gesetzestext ist Außerordentliches versteckt. So könnten vom Gouverneur auserwählte Beamte nicht nur kräftig kürzen, sie könnten auch nach Belieben Staatseigentum verschleudern.

 

Wisconsin besitzt einige Kraftwerke, die staatliche Einrichtungen heizen, kühlen und mit Strom versorgen. Das Gesetz würde es dem Gouverneur ermöglichen, diese Anlagen aus Jux und Tollerei zu privatisieren. Und ohne Ausschreibung könnte er sie verkaufen, an wen er will. Das Beste: Laut den Buchstaben des Gesetzes würde jeder Verkauf dem Allgemeinwohl dienen.

 

Wenn das für Sie nach Klüngel klingt – Sie erinnern sich an die vermissten Milliarden im Irak? –, sind Sie nicht allein. So viele misstrauen der Sache, dass der Koch-Konzern – im Besitz der milliardenschweren Brüder, die bei Walkers Anti-Gewerkschafts-Kampagne eine wichtige Rolle spielen – sich veranlasst fühlte zu erklären, man werde kein Kraftwerk kaufen. Sind Sie jetzt beruhigt?

 

Die gute Nachricht aus Wisconsin ist, dass die Welle der Wut dort den Ausverkauf verlangsamt hat. Falls Walker vorhatte, das Gesetz abnicken zu lassen, bevor jemand was merkt, dann ist dieser Plan dahin. Aber erwarten Sie nicht, dass die Partei ihre Ziele ändert. Gewerkschaften zerschlagen und Privatisierungen bleiben die Prioritäten der Republikaner. Die Partei wird weiter versuchen, ihre Agenda am Volk vorbeizuschmuggeln – im Namen eines ausgeglichenen Haushalts.

 

Paul Krugman ist Ökonomie-Professor in Princeton und Träger des Wirtschaftsnobelpreises.