Die rasch anschwellende Protestwelle gegen ein umfassendes Sparprogramm in Wisconsin könnte auf andere US-Bundesstaaten übergreifen.
Am vergangenen Samstag fand in Madison, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Wisconsin, die größte Demonstration seit dem Ende des Vietnamkriegs statt. An die 80.000 Menschen versammelten sich vor dem Capitol in Madison, um gegen ein rabiates Sparprogramm zu protestieren, das der neu gewählte republikanische Gouverneur Scott Walker ohne jegliche Kompromissbereitschaft durchsetzen will.
Die Proteste gegen dieses Sparpaket dauern bereits seit mehreren Tagen an und sie gewinnen zusehends an Breite und Gewicht. Inzwischen finden auch Demonstrationen in anderen US-Bundesstaaten statt, in denen ähnliche Kürzungsprogramme aufgelegt werden sollen.
"One World – One Pain"
Dabei ziehen sowohl die Demonstranten in Madison, wie auch prominente Aktivisten und Medien immer öfter Parallelen zwischen den Protesten in Wisconsin und dem erfolgreichen Aufstand in Ägypten. Protestteilnehmer tragen Plakate mit sich, die Gouverneur Walker mit dem gestürzten ägyptischen Staatschef Mubarak gleichsetzen, oder die alle US-Bürger auffordern, aufrecht "wie die Ägypter zu gehen".
Paul Ryan, ein Kongressabgeordneter aus Wisconsin, erklärte gegenüber MSNBC, es komme ihm so vor, als ob nun "Kairo sich nach Madison bewegt" habe. Eine ähnliche Parallele zog auch der Bürgerrechtler Jesse Jackson, der den "ägyptischen Geist" der Proteste in Madison lobte. Interessanterweise finden auch innerhalb der ägyptischen Befreiungsbewegungen Solidaritätsbekundungen für die Demonstranten in Wisconsin statt. "Egypt supports Wisconsin. One World - One Pain", heiß es auf Plakaten ägyptischer Demonstranten, die den Worten auch Taten folgen ließen: Ein Pizzabringdienst auf dem Unicampus in Madison hat Pizzabestellungen für die Demonstranten unter anderem auch aus Ägypten erhalten. Mehr als 300 Pizzen haben die Pizzabäcker aus Madison inzwischen an die Protestteilnehmer verteilt.
Beeindruckend - und ähnlich unerwartet wie in Ägypten - ist bei dieser Protestwelle vor allem die Dynamik, mit der sie sich entwickelt. Beim ersten Protesttag, am Montag, dem 14. Februar, nahmen gerade mal 2.000 Demonstranten teil. Am Mittwoch drangen gut 13.000 Protestteilnehmer in das Capitol ein, um dort ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen. Donnerstags fanden sich schon 25.000 bis 30.000 Demonstranten im und vor dem Capitol zusammen.
Getragen werden die Proteste vor allem von den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, die im Rahmen des Kürzungspaketes ihrer Tarifrechte beraubt werden sollen. Doch inzwischen unterstützt eine breite Koalition von Gruppen, Persönlichkeiten und Organisationen die Proteste, die zu einem Brennpunkt werden könnten, der die daniederliegende US-amerikanischen Linke reanimieren könnte. Inzwischen sind sogar die Demokraten in Wisconsin auf Konfrontationskurs zu Gouverneur Walker gegangen, indem sie schlicht der Abstimmung über das Gesetzesvorhaben fernblieben. Die Republikaner, die eine Mehrheit von 19 zu 14 im Senat von Wisconsin halten, brauchen mindestens einen anwesenden Demokraten, um beschlussfähig zu sein.
Inzwischen ordnete Walker sogar Polizeikräfte an, die flüchtigen Senatoren aufzuspüren. Einer der Demokraten, die sich an einem unbekannten Ort aufhalten, erklärte, sie seien bereit, notfalls auch "wochenlang" unterzutauchen, bis Walker kompromissbereit sei. Zudem hat auch Präsident Obama in den Auseinandersetzungen Position bezogen und das Gesetzvorhaben Walkers als einen "Angriff auf die Gewerkschaften" bezeichnet.
Haushaltskrise und "Unionbusting"
Das von Republikanern in Wisconsin ausgearbeitete Sparprogramm sieht massive Einsparungen im öffentlichen Dienst des US-Bundesstaates vor. Den circa 170.000 Beschäftigten droht eine stärkere Beteiligung an den Beiträgen zur Renten- und Gesundheitsversicherung, die zu einer enormen finanziellen Mehrbelastung führen würde.
Ein Lehrerehepaar rechnete vor, dass es nach Umsetzung des angestrebten Sparprogramms mit Mehrhausgaben von 1.200 US-Dollar zu rechnen hätte - monatlich! Von diesen Maßnahmen sollen - vorerst - Polizisten verschont bleiben. Doch Walkers entscheidender Schlag gegen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst scheint auf den ersten Blick überflüssig, da hierdurch unmittelbar keine finanziellen Einsparungen erreicht werden. Die Republikaner wollen den Lohnabhängigen im öffentlichen Dienst ihr Tarifrecht nehmen. Kollektive Lohnverhandlungen sollen laut den Gesetzesvorhaben extrem erschwert werden, zudem dürften künftig die Gewerkschaften nicht mehr die Mitgliedsbeiträge vom Lohn direkt abziehen.
Das Gesetz gilt als ein Testlauf, der für republikanische Gouverneure in anderen Bundesstaaten als Vorlage für ähnliche Gesetzesvorhaben dienen könnte. Den Republikanern gehe es darum, den Arbeitern im öffentlichen Dienst das anzutun, was im privaten Sektor längst durchgesetzt wurde: "Die Zerstörung der Gewerkschaften und die Nötigung der Arbeiter, gegeneinander um die Küchenabfälle zu kämpfen", kommentierte Marketwatch.
Begründet wird dieser radikale Kahlschlag bei Arbeiterrechten und Sozialleistungen mit einem Haushaltsnotstand, mit dem sich Wisconsin konfrontiert sieht. In diesem Jahr droht dem US-Bundesstaat ein Haushaltsdefizit von 137 Millionen US-Dollar, das binnen der nächsten zwei Jahre auf 3,6 Milliarden US-Dollar anwachsen würde, sollten keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Die von Walker angestrebten Kürzungen im Öffentlichen Dienst sollen zu Einsparungen von rund 300 Millionen US-Dollar innerhalb der kommenden zwei Jahre führen. Zu dieser angespannten Haushaltslage trug die Rezession in den USA bei, die in Wisconsin zu sinkenden Steuereinnahmen in Höhe von 7 % zwischen 2008 und 2009 führte. Zudem stieg die Arbeitslosigkeit in dem US-Bundesstaat um 4 %, so dass die Sozialausgaben entsprechend anwuchsen. Krisenbedingt sinkende Steuereinnahmen und steigende Ausgaben trugen unzweifelhaft zu der Haushaltskrise bei.
Verstärkt wurde dieses Haushaltsdefizit aber noch durch die Steuersenkungen, die Gouverneur Walker gleich nach Amtsantritt Anfang 2011 durchsetzte, und die zu jährlichen Mindereinnahmen von rund 117 Millionen US-Dollar führen werden. Diese Steuersenkungen kamen zumeist lokalen Unternehmern und der Gesundheitsindustrie in Wisconsin zugute. Ohne diese erst vor Kurzem erlassenen Steuergeschenke für Unternehmer und Vermögende würde sich die Haushaltslage in dem US-Bundesstaat bei weitem nicht so dramatisch gestalten.
Der von Walker postulierte Haushaltsnotstand ist somit von diesem zum großen Teil selbst verschuldet worden. Überdies wurde in Wisconsin seit 2003 eine ganze Reihe von Steuersenkungen verabschiedet, die zu kumulierten Steuerausfällen von 3,6 Milliarden US-Dollar führten, und die in 2013 jährliche Mindereinnahmen von 800 Millionen US-Dollar mit sich bringen werden.
Die amerikanische Schuldenkrise
In einer ähnlich schweren Finanzlage wie Wisconsin befinden sich aber noch viele andere US-Bundesstaaten. Im Endeffekt ist die Schuldenkrise der Vereinigten Staaten von Amerika noch schwerwiegender als die in der Europäischen Union. Rund zehn US-Bundesstaaten weisen Haushaltsdefizite von mehr als 20 Prozent des Gesamthaushalts auf, wobei insbesondere Kalifornien, Nevada, Illinois und Texas von einem Bundesstaatsbankrott bedroht sind.
Der prozentuale Anteil der Haushaltslöcher an den Gesamteinnahmen des Haushalts beträgt etwa in Nevada stolze 45,2 %, in Illinois sind des 44,9 %, in Texas 31,5 % und in Kalifornien 29,3 %. Die Mehrheit der amerikanischen Bundesstaaten ist mit Defiziten von mehr als 10 % ihrer Gesamteinnahmen konfrontiert. Insgesamt fehlen den allen Teilstaaten der USA im Haushaltsjahr 2012 rund 125 Milliarden US-Dollar.
Diese durch die Weltwirtschaftskrise und eine neoliberale Steuersenkungspolitik zugunsten von Unternehmen sowie Vermögenden verursachten Haushaltslöcher führen nun zu den radikalen Kürzungsprogrammen und Sparpaketen, unter denen vor allem sozial Schwache und die Lohnabhängigen der USA zu leiden haben werden. Insofern sind die Auseinandersetzungen in Wisconsin tatsächlich nur ein Vorgeplänkel auf die Kahlschlagspolitik, die bald bundesweit zwischen New York und Los Angeles zur Anwendung gelangen wird. Diese Haushalskürzungen werden auch die Illusion einer allmählichen wirtschaftlichen Erholung in den Vereinigten Staaten zerstören, da hierdurch ein enormer Einbruch der Binnennachfrage ausgelöst werden dürfte.
Obamas Kahlschlagsprogramm
Die Vorgänge in Wisconsin spiegeln nur den Verlauf der Steuer- und Haushaltspolitik auf Bundesebene wieder. Im vergangenen Dezember beugte sich Präsident Obama dem Druck der Republikaner und kündigte an, die von seinem Amtsvorgänger George W. Bush erlassenen Steuervergünstigungen für wohlhabende US-Bürger mit jährlichen Einkommen über 250 000 US-Dollar - die ende 2010 auslaufen sollten - bis 2012 zu verlängern. Im Gegenzug erklärten sich die Republikaner bereit, einer Verlängerung der Arbeitslosenhilfe um 13 Monate zuzustimmen und die Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer von 6,2 auf 4,2 Prozent zu bis Anfang 2012 zu senken. Durch diese Maßnahmen wird der ohnehin rasant wachsende Schuldenberg des amerikanischen Staates um weitere 700 bis 900 Milliarden US-Dollar anschwellen.
Nur wenige Wochen später ging die US-Administration daran, der Bevölkerung der USA die Rechnung für diese Steuergeschenke zu präsentieren. Der am 14. Februar von Obama verkündete Haushaltsplan peilt Einsparungen in Höhe von 1,1 Billionen - also 1 100 Milliarden - Dollar in den kommenden zehn Jahren an, die zu zwei Dritteln durch Ausgabenkürzungen erreicht werden sollen (US-Regierung will sparen, aber erst ab 2012. Das amerikanische Haushaltsdefizit von 1,65 Billionen Dollar in diesem Haushaltsjahr soll so auf 1,1 Billionen im Fiskaljahr 2012 gedrückt werden.
"Der Ausgabenstopp bedeutet, dass wir schwierige Entscheidungen treffen und Kürzungen vornehmen müssen bei Dingen, die mir sehr am Herzen liegen. Zum Beispiel bei Aktionsprogrammen für Kommunen in Vierteln mit geringem Einkommen", erklärte der US-Präsident bei der Vorstellung dieses Sparprogramms. Auf der Streichliste der US-Regierung stehen auch so essentielle Sozialprogramme wie Heizungsbeihilfen für Bedürftige oder Bildungsprogramme in sozialen Brennpunkten. Zudem wird auch der Etat für Infrastruktur- und Umweltprojekte zusammengestrichen.
Doch selbst dieses Sparprogramm geht den oppositionellen Republikanern, die im Repräsentantenhaus die Mehrheit halten, nicht weit genug. Diese stimmten am vergangenen Wochenende für ein umfassendes Kürzungsprogramm, das schon bis Ende September Haushaltskürzungen in Höhe von 61 Milliarden Dollar vorsieht. Da die Demokraten über eine knappe Mehrheit im Senat verfügen, ist ein "Kompromiss" zu erwarten, bei dem etliche der Forderungen der Republikaner nach noch stärkeren Haushaltskürzungen berücksichtigt werden.
Bereits jetzt verhandelt ein aus Republikanern und Demokraten zusammengesetzter und als "Gang of Six" bezeichneter Ausschuss hinter den Kulissen über die konkrete Ausgestaltung der kommenden Haushaltssanierung. Sollten tatsächlich auch auf Bundesebene weitgehende, rabiate Kürzungsprogramme durchgesetzt werden, könnte der damit einhergehende Nachfrageeinbruch in den USA auch einen weiteren globalen Krisenschub führen, da die Vereinigten Staaten immer noch vermittels ihrer - schuldenfinanzierten! - Handelsdefizite eine wichtige Rolle als globale Konjunkturstütze spielen.