HD | Simon Bromma | Grenze zwischen Verdacht und Verrat

Erstveröffentlicht: 
07.02.2011
Spitzel. Der Einsatz verdeckter Ermittler im Heidelberger Studentenmilieu wirft weiter viele Fragen auf. Von Katharina Sorg

 

Auf den Schreibtisch des Innenministers Heribert Rech (CDU) dürften dieser Tage auffällig viele Anfragen zum Thema Spionage flattern. Gleich zwei Fälle beschäftigen zurzeit die Landespolitiker. Der britische Spitzel Mark Kennedy soll jahrelang die linke Szene Europas ausspioniert haben, und das auch in Diensten des Bundeskriminalamts. Dabei soll der Brite auf ausdrückliche Bitte auch in drei Bundesländern aktiv gewesen sein, unter anderem in Baden-Württemberg. Inzwischen hat das Innenministerium seinen Einsatz vor und während des Nato-Gipfels in Baden-Baden 2009 bestätigt. Fragen dürfte es dazu dennoch geben.

Erst recht im zweiten Fall, der kurz vor Weihnachten in Heidelberg begann. Auf einem Konzert entdeckt eine Frau einen gewissen Simon, den sie als Polizisten kannte. Derselbe Mann war in linken Hochschulgruppen hingegen als Student bekannt: Die Tarnung des 24-jährigen verdeckten Ermittlers flog auf. Seither fordern Grüne, SPD und die Betroffenen Antworten von Innenminister und dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg, das den Einsatz angeordnet hatte. Die zentralen Fragen sind: Welches konkrete Ziel wurde verfolgt und welche möglichen Straftaten hatte man dabei im Blick? Was passiert nun mit den erhobenen Daten?

Der Einsatz von Simon B. sei nicht willkürlich gewesen und damit rechtens, hieß es aus dem Innenministerium in einer ersten Stellungnahme vom 18. Januar. Die Rechtsgrundlage für den Einsatz bildet dabei die sogenannte „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung". Diese erlaubt nach dem Polizeigesetz den Einsatz von verdeckten Ermittlern. Nach Auskunft des Innenministeriums liegen bei den beobachteten Personen Anhaltspunkte dafür vor, dass sie künftig Straftaten begehen. Generelles Ziel der Heidelberger Aktion scheint dabei die örtliche Antifaszene gewesen zu sein. Die Kritik von Opposition und Betroffenen entzündet sich aber an der Tatsache, dass sich Simon B. in den neun Monaten seiner Spitzeltätigkeit in Gruppen aufhielt, die nicht unbedingt als radikal beschrieben werden können. Drei kristallisieren sich dabei heraus. Intensiven Kontakt hatte er insbesonders mit der Hochschulgruppe die Linke.SDS (SDS), der Klima-Aktionsgruppe Heidelberg und der Kritischen Initiative, die sich vor allem mit der Bildungspolitik beschäftigt. Zur Ortsgruppe des BUND und der Grünen Jugend sowie der Antifaschistischen Initiative Heidelberg bestanden lose Kontakte. „Wir hatten in den Monaten viel zum Castortransport gemacht", sagt Florian Krollmann von der Klima-Aktionsgruppe. Simon B. habe an einigen Treffen der Gruppe teilgenommen. Die betroffenen Heidelberger Kreise würden nun sehr genau beobachten, was bei der Aufklärung passiere. Krollmann nannte es einen Skandal, dass der Ermittler monatelang Gruppen mit fast bürgerlichem Milieu bespitzelt hätte.

Auch Mathias Richter von der Kritischen Initiative würde gerne wissen, auf welche „Straftaten mit erheblicher Bedeutung" es denn Hinweise gegeben hätte. „Wenn so etwas tatsächlich in unserem Umkreis geplant werden würde, na, dann würden wir das auch gerne wissen", sagt Richter. Aktiv am Bildungsstreik und Anti-Castor-Demonstrationen hatten sie mitgewirkt, radikal seien sie deshalb noch lange nicht. Jeden Donnerstag treffen sich die Mitglieder der Kritischen Initiative im zentralen Fachschaftsbüro der Universität, auch Simon B. nahm regelmäßig an diesen Treffen teil. Oft sei man gemeinsam noch in Bars unterwegs gewesen, die Frau, die den Ermittler schließlich enttarnte, kannte Leute aus der Initiative. „Wir haben ihn dann direkt zur Rede gestellt", sagt Richter. Simon B. habe zugegeben, Informationen über die Mitglieder weitergegeben zu haben.

Diese Informationen führten anscheinend auch zu direkten Aktionen der Polizei. In einer ersten Stellungnahme der SDS-Hochschulgruppe ist von einer Hausdurchsuchung bei einem männlichen Mitglied der Gruppe die Rede, die aufgrund der Angaben von Simon B. erfolgt sei. Der habe im Nachhinein selbst eingeräumt, die Aktion sei völlig überzogen gewesen. Andere Gruppen bestätigen die Geschichte, beim SDS will man sich derzeit nicht mehr zu dem Vorfall äußern. Was mit den Daten nun passiert, das möchten aber alle Gruppen gerne wissen. Der SDS fordert eine vollständige Aufklärung und die Löschung der Daten, schließlich habe man doch länger mit Simon B. in Kontakt gestanden „Wir sind auch privat oft mit ihm unterwegs gewesen, zur Maidemo nach Berlin sind wir alle in seinem Auto mitgefahren", sagt Axel Malsch von der SDS.

Die Folgen einer solchen Bespitzelung seien nicht absehbar, würde nicht alles offengelegt werden, sagt Theresia Bauer von den Grünen „Das ist in Heidelberg ein Thema und die betroffenen Leute fragen sich, was nun mit ihren Daten passiert", sagt die Landtagsabgeordnete. So sei Simon B. beispielsweise auch im Bus des Kreisverbands der Grünen mit zu einer Demonstration nach Biblis gefahren.

Inzwischen ist klar, dass weder die Verantwortlichen der Universität noch das Wissenschaftsministerium von dem ihnen untergeschmuggelten falschen Studenten wussten. In einer Stellungnahme des Rektors der Universität Heidelberg, Bernhard Eitel, heißt es, Simon B. sei nach Vorlage von Personalausweis und Abiturzeugnis immatrikuliert worden.

Die bisherigen Antworten des Innenministeriums sind den Landtagsfraktionen von Grünen und SPD aber noch zu schwammig. Zu viel sei unbeantwortet geblieben, sagt Bauer. Nämlich gerade die Frage, auf welche möglichen Straftaten es Hinweise gegeben hätte, und eben, was mit den Daten geschehe. Die Fraktionen wollen nun Antworten - und das mit einem klaren Ziel: dem Innenausschuss am 16. Februar. Dort will dann auch die SPD den Innenminister zu beiden Einsätzen von verdeckten Ermittlern zur Rede stellen.

Weitere Brisanz erhält der Fall, da die linken Kreise nun nach der Devise: „Wie du mir, so ich dir" handeln. Im Internet finden sich inzwischen die realen Daten des Spitzels, der auch mit wirklichem Namen Simon heißt. Wer möchte, gelangt relativ problemlos an seine Privatadresse, erfährt Konto- und Handynummer sowie die E-Mail-Adresse. Auch alle Vereinsmitgliedschaften und zahlreiche Bilder werden aufgeführt. Zusätzlich heikel dürfte sein, dass auch Name und Beruf von Vater und Bruder genannt werden. Es ist die komplette Enttarnung. Beim LKA will man sich dazu nicht äußern. Nur so viel: die notwendigen Maßnahmen würden getroffen werden. „Man muss sich schon Sorgen um seinen Schutz machen", sagt Johannes Stober, Landtagsabgeordneter der SPD. Unter den Veröffentlichungen finden sich dann auch Kommentare wie „Verrat ist kein Spiel. Simon B. wird die Konsequenzen seines Handelns tragen müssen."

In Heidelberg erwägen einige Studenten nun eine Klage. Die linke Szene in Heidelberg vermutet mindestens zwei weitere Spitzel in ihren Reihen.