RE/Ruhr: Anti-Atom-Aktivist verurteilt

Antiatomsonne

Am 01.02. fand vor dem Recklinghäuser Amtsgericht der zweite und vorerst letzte Prozesstag in der Gerichtsposse um einen angeblichen Verstoß gegen das Versammlungsrecht in Datteln statt. Am 17.03.2010 hatte die Polizei eine Versammlung von 3 Personen vor der Dattelner Stadthalle, in der zu diesem Zeitpunkt eine richtungsweisende Abstimmunge bzgl. des Baus eines E.ON-Kohlekraftwerks stattfand, beanstandet. In der Gerichtsverhandlung ging es dann entlang der Grenze zur Komödie um die Frage, ob nun alle 3 Personen wegen des Kraftwerks in Datteln oder wegen des an diesem Tag veröffentlichten Beschlusses zur Wiederaufnahme der Erkundung des Salzstocks in Gorleben zur Atommüllendlagerung demonstrieren wollten.

 

In ersterem Falle wäre die Versammlung anmeldepflichtig gewesen, weil der Stadtratstermin länger bekannt war, in letzterem als Spontanversammlung auch ohne Anmeldung erlaubt, weil die Nachricht über die Gorleben-Erkundung erst zeitnah bekannt geworden war. Während zwei der Angeklagten beteuerten, wegen Gorleben vor Ort gewesen zu sein, gab die dritte Person an, vorgehabt zu haben, die Ratssitzung zu beobachten und evtl. mit einem mitgebrachten Transparent gegen das Kohlekraftwerk zu protestieren.

Als die 3 dann vor der Stadthalle standen und ihre Transparente entrollten, war sofort Polizei zur Stelle, die die Protestierenden abfotografierte. Ein Polizist sprach den nun Angeklagten gezielt an: "Sind sie Herr XY?". Vor Gericht bestritt der Polizist diese Vorgehensweise, in seiner Einlassung war zunächst nur von einem entspannten Gespräch die Rede, in dem er den Angeklagten auf die Anmeldepflichtigkeit der Versammlung und seine Verpflichtung, nun ein Strafverfahren einzuleiten, hingewiesen haben will. Daraufhin konfrontierten ihn der Angeklagte und seine Anwältin mit der Frage, ob gezielt nach dem nun Angeklagten gesucht worden sei. Dies bestritt der Polizist. Auch, dass er den Angeklagten wie oben erwähnt angesprochen haben soll, bestritt er, musste aber nach ein paar weiteren Fragen einräumen, dass er zumindest den Namen des Angeklagten kannte. Weitere Nachfragen, ob es Vorermittlungen gegen den Betroffenen gegeben habe, verneinte der insgesamt unglaubwürdig und nun leicht nervös auftretende Polizist erneut, bis Richter und Staatsanwältin eingriffen und die Fragen als für den aktuellen Prozess irrelevant unterbunden.
Aber genau hier wird es spannend: In den Akten zum Prozess taucht eine umfangreiche Sammlung über den Angeklagten auf, Fotografien, angemeldete sowie besuchte demonstrative Aktivitäten, Pressemitteilungen der Gruppe, in der er sich gegen die Energiepolitik engagiert. Sie umfasst 150 Seiten. An dieser Stelle wäre es möglich gewesen, die politische Motivation des aktuellen Verfahrens zu thematisieren. Dass dies den Richter wenig interessiert, mag noch verständlich sein in einem städtischen Amtsgericht. Dass die Staatsanwältin so vehement die Fragen der Angeklagtenseite als irrelevant abtut, sollte aber stutzig machen. Bei der Befragung des Angeklagen zu Beginn der Verhandlung hatte sie sich ihrerseits aber auffällig stark für "Nebensächlichkeiten" interessiert. Da ging es um die Organisationsstrukturen seiner Gruppe. Auf die Frage, ob der Angeklagte der Vorsitzende der Gruppe "Menschen gegen Atomanlagen" sei, erklärte dieser: "Wir sind nicht hierarchisch organisiert. Es wird immer im Konsens entschieden und immer von den Leuten, die gerade vor Ort sind." Die Gruppe hatte in den vergangenen Jahren immer wieder in der Öffentlichkeit auf Atommülltransporte durch das im Kreis Recklinghausen gelegene Waltrop hingewiesen, die nach Russland verschifft werden, um dort unter freiem Himmel zu lagern und auch an den Bahngleisen gegen die Transporte demonstriert.

Für Irritationen sorgte auch die Aktenlage zur Versammlung selbst: Nachdem der Polizist die Versammlung für illegal erklärt und die Teilnehmer fotographieren lassen hatte, wollte er die Personalien der Versammlungsteilnehmer aufnehmen. Schnell wurde sich darauf geeinigt, den Formakt der Versammlungsanmeldung einfach nachzuholen. Dafür versprach der Polizist, von der Aufnahme der Personalien abzusehen, was er auch vor Gericht nicht bestritt. So schnell wurde also aus der Pflicht zur Straftatsverfolgung, die die Aufnahme der Personalien erzwungen hätte, ein pragmatischer Umgang mit der Versammlungsfreiheit - aber nur vordergründig. Auf dem Anmeldebogen (haben Polizisten sowas immer dabei?) stand als Thema der Veranstaltung: "Stop E.ON". Ein Motto, das laut Angeklagtem der Polizist und nicht er vorgeschlagen hatte, das allerdings dennoch von ihm unterschrieben war. Seine Begründung: "Für mich war das nur ein Formakt. Außerdem ist E.ON ja auch an Gorleben beteiligt". Zu Beginn der Einlassung des aufnehmenden Beamten gab dieser bereitwillig zu, dass ihm ja klar war, dass die Versammlungsteilnehmer wegen des Dattelner Kohlekraftwerkes vor Ort gewesen waren. Aus genau diesem Grunde sei er auch zum Ort der Sitzung abgestellt worden, mit Spontandemonstrationen sei zu rechnen gewesen. Auf die Nachfrage der Verteidigung, ob er und nicht der Angeklagte das Thema "Stop E.ON", immerhin war ihm ja klar, worum es ging, vorgeschlagen hatte, wich der Beamte aus: "Daran kann ich mich nicht mehr erinnern". Kurz danach will er aber doch mit Sicherheit ausschließen, dass er das Thema vorgeschlagen hatte - als ihm klar wurde, dass die Verurteilung genau mit der Frage steht und fällt, ob sich die Versammlung nun gegen die Erkundung des Salzstocks Gorleben oder gegen den Kraftwerksbau in Datteln gerichtet habe.

Nun ging es der Staatsanwältin um den Nachweis, dass zwei der Versammlungsteilnehmer gelogen hätten, wenn es ihnen um Gorleben und nicht um Datteln gegangen sei. Sie verlas eine Pressemitteilung der Gruppe "Menschen gegen Atomanlagen", die einen Tag nach den Vorfällen vor der Dattelner Stadthalle erschienen war. Dort war die Rede von polizeilicher Repression gegen, tatsächlich, eine Kundgebung gegen die Entscheidung zum Dattelner Kraftwerksbau. Die plausible Antwort der Verteidigung: Um polizeiliche Repression zu skandalisieren, wollte man mit einem aktuellen Themenbezug aufwarten, nämlich die in der Stadthalle gefällte Entscheidung zum Kraftwerksbau. Immerhin wäre die Lokalpresse am Thema Gorleben nicht interessiert und habe sich in der Vergangenheit auch nicht bereit gezeigt, dazu Artikel zu verfassen. Außerdem seien die Themen ja verwandt. Mit Erfolg: Auf die Pressemitteilung der Gruppe berichtete auch die Lokalpresse. Dann setzte die Staatsanwältin nach und zog einen "Trumpf" aus dem Ärmel. In einem Antrag an die Lokalpresse hatte sie von den Zeitungen erfragt, ob diese eventuell straftatsrelevante Informationen bezüglich des aktuellen Verfahrens hätten. Man ist geneigt zu glauben, dass jeder noch so schlechte Journalist die eigenen Quellen nicht freiwillig der Strafverfolgung preisgibt, nicht zuletzt weil es um eine Vertrauensbasis geht und die kritische Öffentlichkeit in einer Demokratie die Aufgabe hat, staatlichem Handeln auf die Finger zu schauen, statt sich zu seinem verlängerten Arm zu degradieren. Der Lokaljournalist Markus Weßling, Waltroper Zeitung, meldete sich daraufhin bei der Staatsanwaltschaft und gab eine fast gleichlautende Pressemitteilung weiter. Das Gericht lernte zwar nichts Neues, die Staatsanwaltschaft konnte aber so nocheinmal ihren unbedingten Willen zur Verfolgung des Aktivisten untermauern, offenbar bereit, auch bei Bagatelldelikten erweiterte Maßnahmen dieser Art einzuleiten, wenn es nur um politische Aktivitäten geht.

So forderte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer zuletzt auch eine saftige Geldstrafe von 800 Euro zzgl. der Gerichtskosten. Dort untermauerte sie nocheinmal ihr Verständnis von Demokratie und gab zur Begründung an: "Der Angeklagte ist seit Jahren Aktivist der Gruppe "Menschen gegen Atomanlagen"." Sei sah es als erwiesen an, dass die Zeugen und der Angeklagte gelogen hätten und es ihnen um den Kraftwerksbau in Datteln statt um Gorleben gegangen sei, weshalb die durchgeführte Versammlung illegal gewesen sei.
Die Verteidigung hingegen forderte Freispruch und Kostenübernahme. Sie wies auf die Glaubhaftigkeit der Umstände hin, die eine Spontaneität der Versammlung nahelegten. Außerdem sei auch das Motiv glaubwürdig, immerhin richte sich schon der Name der Gruppe gegen Atomanlagen, nicht gegen Kohlekraftwerke. Dem von der Staatsanwaltschaft als glaubwürdig bezeichneten Zeugen von der Polizei warf sie eine Täuschung über die Umstände vor und wiederholte die Auffassung, dass der Polizist das Thema vorgegeben und damit die Strafbarkeit der ganzen Geschichte erst durch sein Verhalten verursacht hatte. Wieder einmal wurden die Paragraphen zum Versammlungsrecht entgegen ihres eigentlichen Zwecks, Versammlungsfreiheit zu ermöglichen, angewandt zur Kriminalisierung von politischem Protest. Obendrein sei die Posse um eine absolut friedliche Versammlung von 3 Personen, bei der zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Ordnung bestanden habe, nicht nachvollziehbar. In seinem Schlusswort sprach der Angeklagte von einer "Tortour politischen Engagements", die er als demokratischer Bürger auf sich nehmen müsse.

Der Richter verurteilte den Angeklagten zu einer deutlich milderen Strafe von 300 Euro zzgl. der Gerichtskosten. In seiner Urteilsbegrüdung schloss er sich weitestgehend der Staatsanwaltschaft an. In einigen Auslassungen, die wiedereinmal tief blicken lassen, sagte er pauschal über demonstrative Aktionen: "Man weiß ja nie, was aus so einer Demo wird". Über die vorliegende Versammlung äußerte er: "Zum Glück ist nichts passiert". Empörung macht sich bei diesen Worten im Saal breit, der Richter ruft zur Ordnung und wirft einen Gerichtsbeobachter aus dem Saal.

Der vorliegende Fall von Repression macht erneut deutlich, dass Polizei und Justiz bereit sind, die Kriminalisierung der gegen die fragwürdige Energiepoltik gerichteten politischen Aktivitäten voranzutreiben, auch wenn ihr eigenes politisches Motiv der Verfolgung dadurch teilweise offenbar wird. Die erfolgreichen Aktivitäten, Blockaden und Schottern gegen den Castor-Transport nach Gorleben im Herbst 2010, bei dem sich die politische Stimmung in der BRD sehr deutlich zugunsten der Atom-GegnerInnen verschoben hatte und beinahe gekippt wäre, ziehen nun ein Echo der Verfolgungsbehörden nach sich. Sie wollen die AktivistInnen kriminalisieren, einschüchtern und mundtot machen und so das politische Projekt der Bundesregierung und die wirtschaftlichen Interessen der Energiekonzerne stützen. Das ist ein politisches Motiv. Sie machen sich dazu die Strukturen der Rechtsstaatlichkeit zur Nutze und höhlen ihn dadurch von innen aus. Davon sind nicht nur GegnerInnen der Atomenergie betroffen; wenn es um politisch motivierte Verfolgung geht, erleben alle Aktiven aus unterschiedlichsten sozialen Bewegungen immer wieder ähnliches, sei es aktuell im Falle der DNA-Entnahme eines im Kampf um die Rechte der MigrantInnen Aktiven in Göttingen, sei es in Antifa-Zusammenhängen im Ruhrgebiet.

Aber gegen die Repression kann man sich wehren. Es ist wichtig, in Fällen politischer Verfolgung Öffentlichkeit herzustellen und die politische Motivation der Prozesse zu unterstreichen. Es ist wichtig, die Betroffenen konkret zu unterstützen. Dazu gibt es Solidaritätsorganisationen wie die strömungsübergreifende Rote Hilfe, die Prozesskosten und Geldstrafen für Mitglieder und Nicht-Mitglieder übernimmt. Dazu setzen örtliche Gruppen auf die Unterstützung bei Solidaritätsveranstaltungen wie Konzerten, Parties oder einem gemeinsamen sonntäglichen Frühstück mit Klingelbox. Der Verurteilte überlegt nun mit seiner Anwältin in einem Berufungsverfahren vor ein höheres Gericht zu ziehen. Für die Prozess-, Straf- und Anwaltskosten wurde ein Spendenkonto eingerichtet. Spenden werden erbeten unter

Kontonummer: 45 42 48 40
Volksbank Waltrop
Bankleitzahl: 426 617 17
Stichwort „Demonstrationsrecht"
Eine Spendenquittung kann über info@mega-waltrop.de oder über info@dielinke-waltrop.de erbeten werden.

Unsere Solidarität gegen ihre Repression !