»Simon von der Polizei«

Erstveröffentlicht: 
27.01.2011

Die Enttarnung eines verdeckten Ermittlers in der Heidelberger linken Szene ist peinlich für die baden-württembergischen Behörden. Die Opposition und betroffene Gruppen fordern mittlerweile eine restlose Aufklärung des Falls.

 

Stressresistent, einfühlsam und durchsetzungs­fähig sollen sie sein, die verdeckten Ermittler, die sich mit einer falschen Identität in kriminellen oder terroristischen Milieus bewegen und Straftaten verhindern sollen. Ein sehr gutes Gedächtnis, Wahrnehmungs- und Konzentrationsvermögen nennt der Diplom-Psychologe Manfred Kraus in einem Artikel in der »Schriftenreihe des Fachbereichs Öffentliche Sicherheit« als notwendige Voraussetzungen für Polizeispitzel.

 

Im Fall des im Dezember enttarnten Polizeibeamten Simon Bromma, der seit Ende 2009 im Auftrag des baden-württembergischen Landeskriminalamts (LKA) als »Simon Brenner« in der linken Szene Heidelbergs im Einsatz war, stellte der Großteil der Berichterstattung bisher das Zwischenmenschliche in den Mittelpunkt: schockierte Studierende, enttäuschte Freunde, menschliche Dramen. Seit das Innenministerium des Bundeslands in der vergangenen Woche eine offizielle Stellungnahme abgab, gewinnt der Fall an politischer Bedeutung. Das könnte sich für das LKA und die Landesregierung zu einem Problem entwickeln.

 

Simon Bromma bewegte sich weder in einem terroristischen noch in einem kriminellen Milieu, sofern man Delikte wie illegales Plakatieren oder die Aufzucht von Cannabis in einer WG nicht als schwere Kriminalität betrachtet. Vielmehr richtete sich der Einsatz gegen »konkrete Zielpersonen aus der antifaschistischen/anarchistischen Szene und einzelne Kontaktpersonen dieser Zielper­sonen«, wie es in der Stellungnahme des Innenministeriums heißt. Der langhaarige »Simon Brenner« schrieb sich an der Universität für die Fächer Ethnologie und Soziologie ein, engagierte sich in der studentischen Gruppe der »Linken« und in der »Kritischen Initiative Heidelberg«, half beim Organisieren von Protesten gegen Studiengebühren und Atomkraft, brachte Weggefährten mit seinem Auto zum 1. Mai nach Berlin, um dort einen Naziaufmarsch zu blockieren, und nahm am »No Border Camp« in Brüssel teil.

 

»Er war überall dabei, wirklich überall. Und er hatte immer Zeit, war in allen Gruppen«, sagt Matthias Richter, ein Student, der der Kritischen Initiative angehört. »Simon Brenner« machte sich langsam einen Namen in politischen Kreisen, hatte aber ausschließlich Zugang zu offenen Gruppen. Mitgliedern der Antifa war er bis Mitte Dezember höchstens vom Sehen bekannt, enge Kontakte zu Autonomen gab es nicht.

 

Der Einsatz des verdeckten Ermittlers endete am Abend des 12. Dezember in der verrauchten Eckkneipe »Orange« in der Heidelberger Altstadt. Nach Presseberichten hatte eine junge Frau den Mann einen Abend zuvor identifiziert: Im Sommer hatten sie sich über gemeinsame Bekannte auf einem französischen Campingplatz kennengelernt. Dort hatte Bromma den Urlaub mit seiner Freundin verbracht und war der Frau aus Heidelberg als »Simon von der Polizei« vorgestellt worden. Diese wandte sich an »Brenners« Freunde. Als etwa ein Dutzend vermeintlicher Mitstreiter den Ermittler zur Rede stellten, gab er zu: »Ja, ich bin Bulle.« Dann erzählte er von seiner Arbeit: »Ich habe über alle Dateien angelegt und regelmäßig berichtet.« Zielobjekt seines Einsatzes sei die Antifaschistische Initiative Heidelberg gewesen.

 

Ob diese Angaben richtig sind, versucht derzeit die Landtagsfraktion der Grünen zu klären. Auf eine kleine Anfrage im Parlament antwortete das Innenministerium in der vergangenen Woche: Ja, es habe einen Einsatz eines verdeckten Ermittlers gegeben. Einzelheiten könnten nicht weitergegeben werden. Der Einsatz sei von der Polizeidirektion Heidelberg zur »Gefahrenabwehr beziehungsweise zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung« angeordnet worden. Es sei nicht um die Antifa Heidelberg als Organisation gegangen.

 

Weder die Grünen noch die betroffenen Gruppen sind mit dieser Erklärung zufrieden. »Der Einsatz eines verdeckten Ermittlers ist keine Spielwiese für politische oder polizeiliche Ausspähgelüste, sondern muss sich an enge Voraussetzungen halten, nämlich das Vorliegen konkreter Vorbereitungen auf schwerwiegende Straftaten. Nach allem, was bisher bekannt ist, kann davon keine Rede sein. Deshalb muss der Fall rückhaltlos aufgeklärt werden«, sagt Hans-Ulrich Sckerl, Landtagsabgeordneter und innen- und kommunalpolitischer Sprecher der Grünen im Landtag.

 

Ein weiterer parlamentarischer Antrag fordert eine Erklärung von LKA und Regierung, wie ein auf Jahre angelegter Einsatz wirksam dazu dienen könne, Straftaten von erheblicher Bedeutung zu verhindern. Die Kriminalstatistik dürfte den Behörden bei der Antwort kaum helfen. »Die linke Szene in Heidelberg ist im öffentlichen Bereich sehr rege, ohne dass sie im besonderen Maße durch Straftaten auffällt«, gibt Harald Kurzer zu, der Sprecher der Polizeidirektion der Stadt. Die Antifaschistische Initiative organisiert Stadtrundgänge, Trillerpfeifenproteste gegen Kranznieder­legungen zum »Heldengedenktag«, ein jährliches Straßenfest zum 1. Mai, das stets friedlich verläuft, und gelegentlich Veranstaltungen an der Universität. Für das Jahr 2009 zählte die Polizei 21 Delikte im Bereich »politisch motivierte Kriminalität links«. Manche der ausgespähten Gruppen werden noch nicht einmal in Berichten des überaus argwöhnischen Verfassungsschutzes erwähnt.

 

Deshalb sagt Michael Czaskozy, Sprecher der Antifaschistischen Initiative: »Die Polizei betätigt sich offensichtlich als politischer Akteur und handelt nach der Maxime: Linke sind potentiell gefährlich, also ist auch ein präventiver Einsatz gegen Linke legitim.« Ehemalige Weggefährten »Simon Brenners« bereiten derzeit eine Klage wegen der Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte vor. In diesem Zusammenhang soll auch juristisch geklärt werden, ob der Einsatz verfassungsgemäß war und das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdienst verletzt wurde.

 

Nach dem ersten Schock im Freundeskreis des enttarnten Spitzels hat sich die Stimmung in der linken Szene Heidelbergs wieder gebessert. »Die Gruppen gehen sehr freundschaftlich miteinander um und unterstützen sich«, sagt Czaskozy. Matthias Richter berichtet, dass es bei der »Kritischen Initiative« angesichts des Medienrummels etwas hektisch zugehe. In Zukunft wolle man neue Interessierte etwas vorsichtiger aufnehmen.

 

Auch Bromma dürfte sein Umfeld zukünftig genau beobachten. Nachdem der Spitzel enttarnt worden war, forschten linke Gruppen nach und veröffentlichten im Januar schließlich ihre Rechercheergebnisse, darunter nicht nur den richtigen Namen des Beamten und den Wohnort seiner Familie, sondern auch Fotos. Hacker verschafften sich zudem Zugang zu E-Mail-Accounts, Kontodaten und weiteren Informationen über den Polizisten.

 

Zu den Mindestvoraussetzungen eines verdeckten Ermittlers gehören Manfred Kraus zufolge auch »intellektuelle Basisfähigkeiten wie beispielsweise schlussfolgerndes Denken«. Vielleicht sollten die entsprechenden Stellen in Zukunft die Qualifikationen ihrer Beamten genauer prüfen, damit sich ein verdeckter Ermittler nicht noch einmal Fremden als »Simon von der Polizei« vorstellt. Bromma und seine Kollegen dürften sich ­jedenfalls glücklich schätzen, dass der Mann lediglich in der linken Szene Heidelbergs geschnüffelt hat und nicht im Milieu der organisierten Kriminalität.