Lubmin-Castor 2010: Luftiger Protest

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Im Sommer 2010 musste der mit Brennstäben aus dem Reaktor des ehemaligen Forschungsschiffs „Otto Hahn“ beladen Castortransport nach Cadarache wenige hundert Meter nach seinem Start aus der GKSS in Geestacht vor einer Protestaktion umdrehen. Eine unabhängige deutsch-französische Gruppe demonstrierte in luftiger Höhe über der Straße. Die Blockade passte nicht ins Bild, der Termin sollte eigentlich geheim gehalten werden. Trotzdem fanden die Aktivisten Datum und Route des Transportes heraus und blockierten ihn. Der Castor nahm schließlich eine Ausweichroute und fuhr davon. Bis nach Cadarache zur angeblichen Wiederaufbereitung, zu einer Anlage des französischen Nuklear-Giant Areva. Eine Anlage, die sich übrigens mitten in einem Erdbebengebiet befindet. Die Aktion und die kleinen Demonstrationen um diesen Transport sorgten für erste Aufmerksamkeit um diese absurde, ja völlig sinnlose Verschiebung von Atommüll quer durch Europa.

 

Protest aus der Luft gab es ebenfalls beim dieses mal viel mehr von der Öffentlichkeit beachteten Rücktransport am 16. Dezember 2010, als die heiße Fracht mit Hilfe eines großen Polizeiaufgebotes zum Zwischenlager Nord nach Lubmin gebracht wurde. Robin-Wood-AktivstInnen hingen bei eisiger Kälte in den Bäumen an der Bahnstrecke zwischen Greifswald und Lubmin.

 

Die anrückende Presse wurde gegen 10 Uhr morgens in Höhe Stilow Siedlung durch zwei AktivistInnen mit einem gelben Antiatom-Transparent, sowie auf der gegenüber liegenden Seite der Bahnanlage durch den freundlichen Singsang einer auf einem Ast über der Bahnstrecke baumelnden Aktivistin empfangen. Die DemonstrantInnen schienen entspannt und zufrieden über ihre Aktion zu sein. Kurz davor sah allerdings die Situation noch ganz anders aus, denn die Polizei unternahm alles, um die demonstrative Protestkundgebung in den Bäumen zu unterbinden. Bei ihrer Ankunft stürzten sich Polizeibeamten den Bahndamm hinunter auf die DemonstrantInnen, die gerade in Begriff waren, hoch zu klettern und Transparente auszubreiten. Die Versammlung wurde ohne jegliche Vorwarnung gesprengt und die sich auf dem Boden befindlichen Personen in Gewahrsam genommen. „Heldenhaft“, nach unserem Verständnis aber eher kopflos kletterte ein Polizist einer der AktivistInnen ungesichert hinterher und griff nach ihren Füßen. Was er damit bezwecken wollte war klar, ihm schien jedoch nicht klar das er sich und die Kletterin dabei ernsthaft gefährdete. Die Kletterin war gesichert, aber die Handlung des Polizisten hätte sie durch Astbruch trotzdem zum Absturz bringen können. Eine bei etwa 4m Höhe sehr gefährliche Aktion. Oder er hätte, gerade bei den eisigen Temperaturen von unter minus 10 Grad nicht unwahrscheinlich, ein Hängetrauma verursachen können. Nach einigen Minuten las der Beamte dann endlich los – auf Anraten seiner KollegInnen, die die Gefahr der Situation erkannten. Die Aktivistin konnte nun in Ruhe weiter klettern und gelangte in Eichhörnchen-Manier bis zu den sich direkt an der Bahnlinie befindlichen Bäumen. In Sichtweite befanden sich nun die weiteren KletterInnen.
Auch wenn die KletterInnen sich nicht direkt im Fahrtweg des Castortransportes befanden, wurde die Versammlung mit den Worten „Eichhörnchen, wir lösen die Versammlung auf“ aufgelöst. Die Polizei wusste wohl mit wem sie es zu tun hatte. Die Auflösung erfolgte allerdings unrechtmäßig, weil zu spät, die Hälfte der AktivistInnen befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Gewahrsam der Polizei! Beamte einer Spezialklettereinheit aus Berlin wurden anschließend mit der Räumung beauftragt. Die Beamten zeigten sich dabei ausnahmsweise professionell und freundlich. Die komplexe Seilkonstruktion der zuletzt in ihrem Baum verbliebenen Aktivistin bereitete den Beamten besondere Schwierigkeiten, da sich Karabiner und Schlingen bei der Räumung ineinander verhakten. Gegen Mittag wurde die letzte Aktivistin auf dem Boden in Empfang genommen. Im Polizeifunk waren reichlich Meldungen zu hören. Ein paar Kilometer weiter hatten sich 300 Menschen auf den Schienen niedergelassen. Kurze Zeit später kam eine weitere spannende Meldung dazu. Weitere AktivistInnen von Robin Wood hatten Beton der Marke Süchendorf unter der Schiene gefunden... Diese Ankettaktion beschäftigte die Polizei bis zum späten Abend. (Link zum Bericht über die Aktion)

Die KletteraktivistInnen wurden der „Gefangenensammelstelle“ überliefert und mussten dort gemeinsam mit Greenpeace-KletteraktivistInnen bis zu 13 Stunden teilweise ohne irgendeine richterlichen Anordnung ausharren. Die richterliche Anhörung der wenigen AktivistInnen, die einem Richter vorgeführt wurden, erfolgte extrem verspätet (erste Anhörung erst um 16:30 Uhr!) und erwies sich als eine Farce. Die Richter hatten sich miteinander abgesprochen und zauberten abenteuerliche Beschlüsse heraus. Es war plötzlich die Rede von gefährlichem Eingriff im Schienenverkehr, obwohl die Kletteraktion nach der herrschenden Rechtssprechung nicht mal als Ordnungswidrigkeit bewertet werden kann (Link zum Freispruch aus Hannover für die RoWo-Aktion 2006). Die Beschwerdeverfahren gegen diese grob rechtswidrigen Beschlüsse laufen noch, wir erwarten, dass unserer Beschwerde stattgegeben wird und die Ingewahrsamnahme für rechtswidrig erklärt wird.

In der Zeitung war später die Rede von den „Härteren Fällen“, im Bezug auf die Ingewahrsamnahme der KletteraktivistInnen.

Die Gefangenen waren in dauerbeleuteten großen Käfigen in einer Lagerhalle für Autozubehör eingesperrt. Sie wurden nicht nur ganz normal von Beamten bewacht, sondern wie im Zoo wurden sie von Polizeibeamten jeglicher Einsatzgebiete begafft, jeder der grad Zeit hatte spazierte herein und konnte sich die „Beute“ ansehen. Zu Essen wurde nur Wurst und billige Schokolade angeboten. Vegetarier mussten sich mit trockenem Brot zufrieden geben. Auch dringend benötigte Medikamente kamen nur schwer durch, als Arzt konnte sich nur ein Polizeiarzt um die Menschen kümmern. Aus Protest gegen die Umstände ihrer Ingewahrsamnahme, und weil sie vergeblich auf ihre Anhörung durch einen Richter gewartet hatte und mit der „Geduld“ am Ende war, brach eine Robin-Wood-Aktivistin mit Spitznamen Eichhörnchen aus dem Frauenkäfig aus und kletterte an der Struktur der Halle bis zur Decke neun Meter höher empor. Kletteraktivisten von Greenpeace und Robin Wood in Gitterkäfige von 2m Höhe ohne Deckel nach oben einzusperren war blanker hohn, ja geradezu ein Angebot zum (nicht strafbaren) Ausbruch. Es sorgte für Unruhe in der Halle, die Polizei verlor die Kontrolle und begann unverzüglich, Menschen, die zuvor wegen der Sitzblockade auf der Schiene eingesperrt wurden, aus dem Gewahrsam zu entlassen. Die anderen Personen – die „härteren Fälle“ wurden aber nicht auf freien Fuß gesetzt. Die Kletternummer in der Halle führte dazu, dass das Eichhörnchen sich so zu sagen selbst aus dem Gewahrsam befreite. Die überforderten Konfliktmanager der Polizei hatten ihr dies versprochen, damit sie herunter kommt. Das Eichhörnchen vertrat zwar die Auffassung, alle Gefangenen seien unverzüglich zu entlassen, darauf ging die Polizei allerdings nicht ein.
Die Überforderung der Polizei, die nicht in der Lage war, sich an eigene Regeln und Gesetzte zu halten, wurde noch deutlicher als diese nicht in der Lage war zuvor sichergestellte Gegenstände aufzufinden und auszuhändigen. Schlimmer kam es noch mit der Entlassung der letzten Gefangenen, die erst gegen Mittenacht erfolgte, obwohl der Castor sein Ziel bereits gegen 22 Uhr erreicht hatte und der Gerichtsbeschluss eindeutig sagte, dass die Gefangenen unverzüglich nach Eintreffen des Castors zu entlassen seien. Die Betroffenen wollen Anzeige wegen Freiheitsberaubung erstatten.
Ob der nächste Lubmin-Castor am 16./17. Februar sein Ziel ohne Grundrechtsverletzung durch die Polizei erreicht? Eher unwahrscheinlich. Noch besser wäre es, würde der Castor erst gar nicht los fahren.