berlin: entsichern kongress

entsichern kongress 29./30.01.2011

Die Europäische Union: analysieren, kritisieren, demontieren 29.-30.01.2011 in Berlin
Workshops, Diskussionen, Podiumsveranstaltung und Filme zur staatskritischen Perspektive auf die Europäische Union: Analyse von Seilschaften, Verträgen, Institutionen und Auswirkungen ihrer Politik angesichts von Finanzkrisen, Rechtsruck, zivil-militärischen „Sicherheitsarchitekturen“ und erstarkendem „Heimatschutz“

 

SFE (Schule für Erwachsenenbildung) im Mehringhof
http://www.mehringhof.de/anfahrt.html

 

Aufruf, Hintergrund, Schlafplätze etc.:
http://outofcontrol.blogsport.de/kongress

 

Ein beträchtlicher Teil aller legislativen politischen Entscheidungen wird mittlerweile über den Umweg der Europäischen Union getroffen. Zu erwartender Widerstand in den 27 Mitgliedsstaaten wird durch dieses “Policy Laundering” ausgebremst, während weiterhin die zahlungskräftigeren Regierungen den Kurs dominieren. Gleichzeitig erweitern sich die Kompetenzen der EU durch eigene Strukturen, die entweder grenzüberschreitende Aktivitäten koordinieren oder Projekte unter eigener Regie vorantreiben. Besonders spürbar ist diese Politik im Bereich europäischer “Homeland Defence” und ihrer Versicherheitlichung, Militarisierung und Gendarmeriesierung sozialer Phänomene.

 

Die Entwicklung der EU geht jedoch nicht mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit, etwa auf Seiten der Sozialen Bewegungen, einher. Auch die radikale Linke, sonst nie um eine Staatskritik verlegen, bleibt sprachlos.

 

Eine Erklärung hierfür wäre, dass die EU als politisches Projekt in ihrer Vielfalt und dem ständigen Wandel schwer zu analysieren und zu fassen ist. Der Zusammenhang etwa zwischen Gesetzesänderungen im eigenen Land und einer dafür ursächlichen Richtlinie aus Brüssel ist kaum oder erst spät präsent – zu spät, um dagegen auf die Barrikaden zu gehen. Möglich ebenso, dass dem transnationalen Charakter der EU eine zu wenig über Staatsgrenzen hinaus vernetzte Linke gegenübersteht. Dabei stellt sich auch die Frage nach Ort und Adressat von Widerstand. Wo kann beispielsweise gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung Druck ausgeübt werden, wenn nicht in Brüssel oder vor nationalen Gerichten?

 

Wir wollen eine fundierte EU-Kritik vorbringen und der Frage nachgehen, wie sich die Europäische Union in den letzten Jahren entwickelt hat und welche konkreten Auswirkungen, beispielsweise mit dem Lissabon-Vertrag, erfahrbar werden. Deshalb organisieren wir im Januar in Berlin den Kongress “Die Europäische Union: Analysieren, kritisieren, demontieren.”

 

Unser besonderes Interesse gilt den Konsequenzen für die radikale Linke. Wir wollen einerseits eine fundierte theoretische Auseinandersetzung mit der EU und ihren Institutionen führen, und andererseits die konkreten Auswirkungen ihrer Politik exemplarisch aufzeigen.

 

Der Kongress versteht sich als Gegenveranstaltung zum “Europäischen Polizeikongress”, der Mitte Februar wieder in Berlin stattfinden soll. Dort wollen sich zum 14. Mal europäische Polizeien mit Geheimdiensten, Militärs, Vertretern der „Sicherheits“- und Rüstungsindustrie und Wissenschaftlern treffen. Die Werbeveranstaltung für die polizeitechnische Antwort auf soziale Probleme wird finanziert von Unternehmen, die dafür mit Redezeit und Merchandising für ihre Produkte belohnt werden.

 

Inhaltlich wollen wir mit dem Kongress die EU von zwei Seiten aus beleuchten:

  • Zum einen befassen wir uns auf theoretischer Ebene mit der Europäischen Union. Wer sind ihre Akteure, wo liegen Ansatzpunkte für eine Staatskritik? Welche Bedeutung hat die Politik der EU für die Mitgliedsstaaten und die anderen Länder Europas? Dabei wollen wir sozio-ökonomische Aspekte ebenso berücksichtigten wie politische und juristische.
  • Die zweite Seite illustriert exemplarisch einige Auswirkungen der EU-Politiken im Bereich von “Homeland Defence”. Ob grenzüberschreitende Zusammenarbeit von “Sicherheitsbehörden”, Migrationskontrolle, EU-weiter polizeilicher Informationsaustausch mittels vernetzter Datenbanken, Forschung zur technischen Handhabung abweichenden Verhaltens mit digitaler Aufrüstung, Drohnen oder Satelliten: Beispiele für die allgegenwärtige Sicherheitsarchitektur gibt es genug.

Neben einer Menge Input gibt es auch ausreichend Raum für Diskussionen und Vernetzung. Eine Podiumsdiskussion und ein Abschlussplenum stehen ebenfalls auf dem Programm.

 

Der Kongress findet vom 29. – 30. Januar 2011 statt. Wir stellen unsere Veranstaltung damit in den Gesamtkontext des Widerstands gegen den 14. Polizeikongress, der nach dem Wunsch vieler letztes Mal an der Mobilisierung Beteiligter breiter, inhaltlicher und grenzüberschreitender werden soll.

 

Zeit, die Europäische Union zu demontieren: Theoretisch und praktisch.

 

entsichern-Kongress vom 29. – 30.01.2011 in Berlin
SFE (Schule für Erwachsenenbildung) im Mehringhof


Programm/Zeitplan

Samstag 29.1.2011

Ab 10.00 Uhr Frühstück

 

10.30-12.00 Uhr

 

Änderungen der Innen- und Justizpolitik durch den Vertrag von Lissabon und das Stockholmer Programm
Das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon brachte bedeutende Änderungen für die Innen- und Justizpolitik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten: Der Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen wurde „vergemeinschaftet“ und gehört nun zu den „normalen“ Politikbereichen der EU. Einerseits sind nunmehr Mehrheitsentscheidungen möglich, andererseits hat das Europäische Parlament ein Mitentscheidungsrecht. Die Veränderungen gehen einher mit der Aufwertung von EU-Agenturen und der Gründung neuer Institutionen, darunter Europol, Frontex, der zivil-militärische Auswärtige Dienst oder das Geheimdienstzentrum SitCen. In der Einführung wird das gegenwärtige rechtliche und politische Gefüge der EU erklärt und ihre Entwicklung in Szenarien skizziert.

Adeline Otto

12-14.30 Uhr

Workshop 1

Staatsprojekt Europa
Der Staat bildet noch immer die fundamentale Voraussetzung für die Stabilisierung der grundsätzlich widersprüchlichen und krisenhaften kapitalistischen Produktionsweise. Dabei ist dieser jedoch längst nicht mehr auf den Nationalstaat beschränkt. Gesellschaftliche und politische Akteure beziehen sich heute auf einen wesentlich breiter gefächerten Raum, dessen verschiedene Dimensionen von der globalen und supranationalen über die nationale, regionale und lokale bis hinunter zur Stadtteilebene reichen. Ebenso wie die Ökonomie hat auch die Ordnung des politischen Raums eine Differenzierung und Flexibilisierung erfahren, die durch sich überschneidende und überlagernde räumliche Dimensionen gekennzeichnet ist. In dieser „postnationalen“ bzw. „multiskalaren“ Konstellation kommt der europäischen Ebene von Staatlichkeit ein zunehmendes Gewicht in der Regulation der gesellschaftlichen Widersprüche zu.

Jörg Kronauer und Sebastian Wolff

Workshop 2

Erscheinungsformen Vernetzter Sicherheit: Gendarmerien und Katastrophenhilfe
In verschiedenen Initiativen bemüht sich die Europäische Union um die fortschreitende Militarisierung klassischer Bereiche „Innerer Sicherheit“. Zivile Komponenten werden in die mit dem Lissabon Vertrag erstarkende Außen- und Militärpolitik eingebettet. Die Mitgliedsstaaten bauen Polizeiverbände auf, die auch unter militärischem Kommando operieren können. Formal zwar in Polizei- und Gendarmerieformationen getrennt, begegnen sich die Strukturen in gemeinsamen Trainings oder Militärmissionen. Gleichzeitig werden zivil-militärische Strukturen auch in der europäischen Katastrophenhilfe geschaffen. Die Herrschaft in der Katastrophe wird mit Satelliten und Drohnen, verschlüsselten Lagebildern und einer monopolisierten Krisenkommunikation in geheimdienstlichen „Situation Centers“ gesichert. Aufstandsbekämpfung und „Katastrophenhilfe“ werden das zukünftige Konfliktgeschehen sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU prägen.

Christoph Marischka, Matthias Monroy

14.30-15:30 Uhr
 
Pause

15.30-18.00 Uhr

Workshop 1

Überwachung von oben: Satelliten und Drohnen als Instrumente europäischer „Sicherheitspolitik“
Die Akteure einer neuen „Sicherheitsarchitektur“ der EU kämpfen an vielen selbst gewählten Fronten: Vor Somalia gegen die vermeintliche Piraterie, im Mittelmeer gegen illegalisierte Migration und innerhalb der eigenen Grenzen gegen „Terrorismus“ und politischen Aufruhr.

Erdbeobachtungssatelliten und Drohnen gehören zu den neuen, hochkomplexen Werkzeugen für dieses nationalstaatlich wie global grenzenlose sogenannte „Krisenmanagement“, das zurzeit entwickelt und erprobt wird. Die jüngst intensivierte, vor allem „zivile“ europäische Sicherheitsforschung, aber auch die Militarisierung der Weltraumpolitik sind zwei Bereiche, in denen dafür Milliarden von Euro investiert werden. Anhand dieser Beispiele wollen wir einigen grundlegenden Fragen zu den Implikationen europäischer „Sicherheitspolitik“ nachgehen.

Malte Lühmann, Volker Eick

Workshop 2

Der Blick in die Zukunft: „Früherkennung“ und „Radikalisierung“
„Extremismus“ heißt auf EU-Ebene „Radikalisierung“: Empfehlungen, Handbücher, ein Comic und eine Datensammlung sollen die Kontrolle von abweichendem Verhalten befördern. Im Focus stehen „Extreme Rechte/Linke, Islamismus, Nationalismus, Globalisierungskritiker usw.“. Wie im Diskurs um „Extremismus“ werden ganze Communities unter Generalverdacht gestellt. Wieder mit im Boot: das Innenministerium NRW.
Zu den euphemistisch als „Prävention“ bezeichneten Maßnahmen gesellt sich ein Trend, mittels Software in Personen- und Sachdaten zu suchen („Data Mining“). Die permanente Rasterfahndung in Polizeidatenbanken will nichts geringeres als Straftaten vorhersehen und interpretiert gefundene Verknüpfungen als „Risiken“. Im Workshop stellen wir die „Früherkennungs“-Konzepte und Sozialtechniken von EU-Polizeien vor und diskutieren Interventionsmöglichkeiten.

Albrecht Maurer, Matthias Monroy

18-19.00 Uhr

Pause

19.00 Uhr

Risse in der Festung Europa
Strategien grenzüberschreitenden Widerstands: Erfahrungen, Analysen und Perspektiven verschiedener Spektren und AkteurInnen

Podiumsdiskussion

Es scheint schlecht bestellt um den Widerstand gegen die Europäische Union, die nach dem Vertrag von Lissabon einen beträchtlichen Zuwachs an Kompetenzen erfahren hat. Die zunehmende Kontrolle und Sanktionierung wird gerade im Bereich polizeilicher und justizieller Zusammenarbeit und ihren Agenturen Frontex, Europol oder Eurojust, aber auch der Regelementierung des Internet deutlich. Es gibt wenig grenzüberschreitende Netzwerke und Strukturen, die sich der fortschreitenden Militarisierung sozialer Konflikte in den Weg stellen. Eine radikale Ablehnung des quasi-staatlichen, neo-liberalen Projekts muss sich indes zu schwierigen Fragen positionieren: Wie Kritik artikulieren, ohne nationale Muster zu bedienen? Wie stehen wir zur populären Forderung nach einer „anderen”, demokratischeren EU, wie sie von liberalen Strömungen vorgetragen wird? Wie grenzüberschreitend vernetzen, ohne den Bezug zu widerständiger Praxis zu verlieren? Wieso gibt es keine wahrnehmbare Bewegung gegen die maßlose Überwachung und Kontrolle der EU? Wo bleibt die radikale Linke, die sich ansonsten gern in radikaler Staatskritik übt? Wohin Protest und Widerstand adressieren?

Alle sozialen Bewegungen müssen angesichts der fortschreitenden Machtfülle der EU Antworten hierzu finden. Dabei haben linke, anarchistische und linksradikale Strukturen durchaus einen Vorsprung in grenzüberschreitender Organisierung und Mobilisierung: Zur Kritik der EU-Migrationspolitik kommen AktivistInnen seit Jahrzehnten europaweit in No Border-Camps zusammen, Kampagnen und Aktionen bleiben nicht nur symbolisch. Auch rund um Gipfelproteste gegen G8, G20, WTO, NATO und EU sind Netzwerke und Freundschaften entstanden, die zu neuen Protesten scheinbar mühelos aktiviert werden können. Gute Voraussetzungen für eine widerständige, grenzüberschreitende Organisierung gegen die europäische Sicherheitsarchitektur.

In der Podiumsdiskussion analysieren wir verschiedene Perspektiven grenzüberschreitender Bewegungen. Nach einer Bestandsaufnahme von erfolglosen und vielversprechenden Politiken gegen die EU wollen wir ausloten, wie wir unseren radikalen Dissens praktisch werden lassen.

Wir diskutieren mit:

  • Adeline Otto
  • Kriss Scholl
  • Detlef Hartmann
  • René Paulokat


Sonntag 30.1.2011

11-13:00 Uhr

Workshop 1

Europas Rechte greifen nach der Macht
Informationen über Aktivitäten, Strategien und Netzwerke der extremen Rechten in Europa. Innerhalb der EU und darüber hinaus sind verschiedene rechte Strömungen aktiv. Einige von Ihnen haben beträchtlichen Einfluss auf die politischen Entscheidungsprozesse in ihren Heimatländern. Darüber hinaus hat die extreme Rechte aber auch in den Institutionen und Gremien der EU eine Bedeutung. Welches sind die stärksten rechten Strömungen Europas und welche Bedeutung haben sie für uns? Wie weit reicht ihr Einfluss? Der Workshop will eine Zusammenfassung der Lage sowie eine Analyse selbiger bieten.

Carsten Hübner

Workshop 2

Two sides of a barricade
Ein Blick auf die internationalen Strategiewechsel von Verfolgungsbehörden bei Gipfelprotesten der letzten zehn Jahre zeigt ihre immer bessere Anpassung an neue Taktiken des Widerstands. Der Workshop versucht ausgehend von der Geschichte der Repression seit dem „Summer of Resistance“ 2001 eine Analyse der biopolitischen Dimension europäischer Konfliktbeherrschung. Dabei sollen auch Parallelen zu anderen Bereichen, wie die Repression gegen Fußballfans untersucht werden.

Ausgehend von der These, dass es den Polizeien immer besser gelingt, unerwartete Überraschungen vorhersehbar und vorausschauend unmöglich zu machen, wollen wir im Workshop ausloten, unter welchen Bedingungen kreativer Widerstand erfolgreich bleibt.

Angela Furmaniak, Kriss Scholl

13-14.00 Uhr

Pause

14-16.00Uhr

Workshop 1

Finanzmärkte, Kämpfe und die Neuordnung Europas?
„Krisenlabor Griechenland“, so lautet der Titel der von J. Malamatinas und mir verfassten Analyse der Schuldenkrise (AssoziationA, Januar 2011). Wir verstehen sie als umfassenden Angriff auf die Lebensverhältnisse in Europa und darüber hinaus mit dem Ziel der Herstellung eines historisch neuen kapitalistischen Kommandos über die lebendigen Quellen des Werts. Darüber möchte ich berichten und mit Euch die daraus folgenden Fragen des Widerstands erörtern.

Detlef Hartmann

Workshop 2

EU-Polizei-Datenbanken und eine Kampagne: „Wider die DNA-Sammelwut“
Seit sich die EU in Maastricht Geld und in Schengen Grenzen gegeben hat, weitet sie inflationär Mechanismen der Repression und Kontrolle aus. Unser Vortrag widmet sich einem wesentlichen Faktor für diese Entwicklung: Den Datenbanken im Polizeibereich von SIS bis zu den Analysedateien von Europol. Wir werden zunächst einen Überblick über die Architektur der einschlägigen EU-Datenverarbeitung geben. Genauer wollen wir dann auf einen zurzeit eher vernachlässigten Aspekt staatlicher Überwachung eingehen: DNA-Datenbanken der Polizei, die auf europäischer Ebene laut Planung am 26. August 2011 mit dem Ende des Prüm-Prozesses voll vernetzt sein sollen; zudem ist der Austausch von DNA-Profilen mit den USA in Planung.

Die Kampagne „Finger weg von meiner DNA – Wider die DNA-Sammelwut!“ plant für Frühjahr/Sommer 2011 Protestaktionen – sie sollen vorgestellt und diskutiert werden.

Markus Murmelstein, Susanne Schultz

16.30 Uhr

Abschlußdiskussion
Next Steps?

Ausstellung: Wut und Aufruhr in Griechenland
Eine historisch nie dagewesene Demontage jeglicher sozialen Netze und über Jahrhunderte erkämpfte Rechte hat als Antwort auf die Krise die gemeinsame Basis für den sozialen Frieden in Griechenland aufgekündigt. Während die Vokabeln fehlen, um die drastischen Auswirkungen für die Bevölkerungen zu beschreiben, produziert eine starke Bewegung auf der Straße Bilder der Wut und des Aufruhrs. Margarita Tsomou sammelt diese Bilder als Dokumente der Krise. Die Fotosammlung aus Archiven von FreundInnen, BloggerInnen und AktivistInnen zeigt Momente aus den Riots des Dezembers 2008 sowie aus den Generalstreiks und Demonstrationen des griechischen Krisenjahrs 2010.