Undokumentierte
Jugendliche in den USA kämpfen um das Aufenthaltsrecht
Bereits zum zweiten Mal in den letzten drei Jahren hatte der der US-Senat vor einer Woche den sogenannten DREAM-Act zur Legalisierung Jugendlicher in den USA abgelehnt. Das Repräsentantenhaus hatte wenige Tage vor der ablehnenden Entscheidung des Senats in einer historischen Wahl für die Verabschiedung des DREAM Act gestimmt. Der Behandlung in beiden Kammern des US-Kongresses waren seit mehreren Monaten widerständige Aktionen undokumentierter Jugendlicher vorausgegangen, die seit mittlerweile zehn Jahren für die Legalisierung ihres Aufenthalts in den USA kämpfen.
Der Gesetzesentwurf „Development Relief and Education for Alien Minors-Act“ hätte geschätzten 300.000 bis 500.000 Jugendlichen, die vor dem Alter von 16 Jahren ohne Papiere in die USA gekommen waren, eine Aufenthaltsbewilligung ermöglicht. Insgesamt leben derzeit wahrscheinlich 12 bis 15 Millionen Menschen ohne legalen Aufenthaltstitel in den USA. Viele Jugendliche, die heute undokumentiert in den USA leben, sind als Kinder mit ihren Eltern meist aus den Staaten Zentralamerikas in die USA gekommen und haben heute nur noch vage Erinnerungen an ihr Geburtsland.
Die rigiden Bestimmungen des DREAM Act sehen zwar die Vergabe einer Aufenthaltsbewilligung vor, allerdings muss deren Einbehaltung in einem sechsjährigen Beobachtungszeitraum „verdient“ werden. Die Auflagen beinhalten unter anderem wahlweise die Ableistung des Militärdienstes oder den Abschluss der Highschool, die nach Erfüllung zum Erwerb der Staatsbürgerschaft führen. Die Möglichkeit zur Legalisierung ist im Rahmen des DREAM Act also in einer Weise vorgesehen, die die MigrantInnen diszipliniert und in der die Staatsbürgerschaft verdient und „erarbeitet“ werden muss während andere sie durch Geburt erhalten.
Während die Bemühungen der migrantischen Kämpfe für eine „Legalisierung für alle und sofort“ auch von den undokumentierten Jugendlichen mitgetragen wurden, konzentrierten sich diese seit 2001, der erstmaligen Einführung des DREAM Act im US-Kongress, insbesondere auf dessen Verabschiedung. Obwohl etwa der Passus des Militärdienstes innerhalb der migrantischen Bewegungen umstritten ist, trifft die Formulierung des DREAM Act die Realität vieler undokumentierter MigrantInnen. Jährlich schließen etwa 65.000 von ihnen die Highschool ab, sie würden unter den Bestimmungen des DREAM Act unmittelbar eine Aufenthaltsbewilligung erhalten.
Obama hatte sein Wahlversprechen einer Einwanderungsreform mehrmals gebrochen und stattdessen wiederholt bekräftigt, wie sehr er der Sicherung der nationalen Grenzen verpflichtet sei. Und obwohl die Institutionalisierung undokumentierter migrantischer Arbeit in den USA sowohl staatlich als auch kommerziell nachweislich profitabel ist, konstituieren sich rassistische Diskurse hartnäckig um den Zusammenhang von Wirtschaftskrise und den vermeintlichen Belastungen durch undokumentierte Migration. Sowohl in der Bevölkerung als auch im Kongress wurde die Luft für den DREAM Act Anfang des Jahres 2010 immer dünner.
Am 17. Mai 2010, dem 56. Jahrestag der historischen Entscheidung des US Supreme Courts
zur Aufhebung der getrennten öffentlichen Schulen für Schwarze und Weiße sowie der verfasungsrechtlichen Verankerung eines umfassenden und allgemeinen Rechts auf Schulbesuch, veranstalteten fünf undokumentierte Jugendliche deshalb ein Sit-In im Büro von Senator John McCain in Tucson, Arizona. Die Besetzung des Büros von McCain erfolgte auch vor dem Hintergrund des rassistischen Profiling-Gesetzes zur Überpüfung möglicher undokumentierter MigrantInnen, das kurz zuvor in Arizona erlassen worden war.
McCain hatte den Dream Act in der Vergangenheit als Senator unterstützt, entschied sich aber für das Jahr 2010 aus wahltaktischen Gründen, seine Unterstützung für das in der Bevölkerung unpopuläre Gesetz zurückzuziehen. Diese war die erste einer ganzen Reihe von Besetzungen von SenatorInnenbüros durch undokumentierte Jugendliche.
Die Forderung der „DREAM Act Five“, wie die BesetzerInnen bald genannt wurden, lautete, Verabschiedung des Dream Act noch im Juni. Während ihre Zukunft unsicher ist und sie bereit waren alles zu riskieren, weigerten sie sich, Schachzüge in den politischen Spielen zu sein, die die Debatten um eine Einwanderungsreform in den USA umgeben. Sie weigerten sich, auf ein anderes Jahr zu warten, weil es genau das war, was ihnen im letzten Jahr und im Jahr davor erzählt wurde.
Der Gang an die Öffentlichkeit war für die Jugendlichen mit einem hohen Risiko verbunden. Viele der BesetzerInnen befinden sich derzeit in Abschiebeverfahren. Aber sie haben ihre widerständige Präsenz bekräftigt und mit dem Leitspruch ihrer Bewegung „Undocumented and Unafraid“ deutlich gemacht, dass sie der permanenten Aufrufung, Angst haben zu müssen, ihre Furchtlosigkeit entgegensetzen.
Ähnliche Besetzungen und Solidaritätskundgebungen der „DREAMers“, die hauptsächlich über Facebook und Twitter organisiert wurden, fanden in den Monaten darauf in nahezu allen Bundesstaaten der USA statt. Die medienwirksamen Aktionen der undokumentierten Jugendlichen führten dazu, dass sich die Diskurse in den USA zumindest teilweise zu verschieben begannen. Die Situation der Jugendlichen, denen aufgrund ihres fehlenden Aufenthaltstitels der Zugang zu Universitäten und dem formellen Arbeitsmarkt oft versperrt blieb, wurde nun öffentlich aufgegriffen. Eine positive Thematisierung undokumentierter MigrantInnen in den medialen Diskursen war bis dahin undenkbar.
Doch auch wenn die DREAMers erfolgreich darin waren, Druck auf das Repräsentantenhaus auszuüben, scheiterten sie an der zweiten Kammer des US-Kongresses. Und während die Republikaner im Senat geschlossen gegen den DREAM Act gestimmt haben, muss auch die Ablehnung von fünf Demokraten als Zeichen eines breiten Konsenses gegen undokumentierte Einwanderung betrachtet werden.
Diese Einstellungen gehen über den Kongress hinaus und sind Bestandteil eines chiffrierten rassistischen Konsenses, der aus der Mitte der US-amerikanischen Gesellschaft kommt und insbesondere seit 9/11 dort auch fest verankert ist.
Die Anschläge des 11. September markierten eine Konsolidierung der öffentlichen Unterstützung für die nationale Sicherheit und eine rigidere Umsetzung der Einwanderungsgesetzgebung. Rassismus ist in den USA heute nicht mehr an Biologismen gekoppelt, sondern an die "Fremden", die zunehmend über den Aufenthaltsstatus definiert werden.
Doch die DREAMers sind weit davon entfernt, aufzugeben. Sie tanken neue Energie für das Jahr 2011, in dem sie an die Erfolge des Jahres 2010 anschließen und ihre Kämpfe fortsetzen werden.
Liz, eine der DREAM Act Five, die derzeit gegen ihre Abschiebung kämpft, hat mir heute auf die Frage nach der weiteren Strategie geschrieben: „DREAMers will continue to fight and live our lives without fear. We'll continue to be undocumented and unafraid.“