Immer wieder beschäftigen sich Landtagsabgeordnete im Rahmen von Kleinen oder Großen Anfragen an die jeweilige Landesregierung mit dem Strafvollzug (vgl. die Große Anfrage der GRÜNEN im niedersächsischen Landtag http://de.indymedia.org/2010/292248.shtml). So auch in Baden-Württemberg, weshalb an dieser Stelle über folgende Anfragen der letzten Monate berichtet werden soll: zu Anfang wird es um Privatisierung im Bereich Strafvollzug gehen (1.), anschließend um eine Entbindung in Fußfesseln (2.) und abschließend um den Umgang mit aus der Sicherungsverwahrung entlassenen Gefangenen (3.).
1.) Private Dienstleister im Strafvollzug
Mit Anfragen vom 04.05.2010 (Drucksache 14/6321; diese und alle anderen genannten Dokumente sind über die Homepage des Landtags kostenlos abrufbar http://www.landtag-bw.de/Dokumente ) sowie 06.05.2010 (Drs. 14/6340) fragten Abgeordnete von FDP bzw. SPD nach den allgemeinen Erfahrungen mit der Privatisierung im Justizsektor, bzw. konkret nach den Zuständen der teilprivatisierten JVA Offenburg.
a.) Allgemeine Erfahrungen (Drs. 14/6321)
Das Land Baden-Württemberg hatte die Bewährungshilfe privatisiert, damit aber laut Dr. Goll (Justizminister, der die Anfrage beantwortete) gute Erfahrungen gemacht, da sich die „freie Trägerschaft als wesentlich schneller, effektiver und flexibler“ erweise als eine staatliche Bewährungshilfe. Hinsichtlich der ebenfalls erfolgten Ausgliederung der IuK (Informations- und Kommunikationstechnik), so der Minister weiter, spare man zwischen 20% und 30% und erreiche einen sehr hohen Grad der Zufriedenheit bei den Mitarbeitern.
Soweit die JVA Offenburg und Teile des Justizvollzugskrankenhauses privatisiert worden seien, sei man „auf dem richtigen Weg“ und erwäge weitere Ausgliederungen.
Zu dieser Anfrage sollte man wissen, dass sie gestellt wurde von einem FDP-Abgeordneten, also einem Parteifreund von Goll. Klar in Fragestil und Inhalt darauf abzielend, die angeblich positiven Auswirkungen von Privatisierung, wofür die FDP unermüdlich auf allen Ebenen kämpft, herauszustellen. Dem kam dann in der Antwort der Justizminister Goll gerne nach.
b.) Erfahrungen JVA Offenburg (Anfrage 14/6340)
Kritischer fiel dann schon die Anfrage vom 06.05.2010 aus. Hier war Fragesteller die SPD-Oppositionsfraktion im Stuttgarter Landtag. Bemängelt wird von der SPD die Situation in der 2009 eröffneten und teilprivatisierten JVA Offenburg. So gebe es „große Probleme“ mit den privaten Sicherheitskräften der Firma KÖTTER, denen zumal niedrige Löhne gezahlt würden und die eine mangelnde Distanz zu den Gefangenen aufwiesen. Konkret verweist die SPD auf Angestellte, die Gefangene zur Begrüßung „abklatschen“ würden.
In seiner Antwort räumt der Minister einzelne „Probleme“ ein, lobt jedoch alles in allem die erfolgte Privatisierung. Hinsichtlich der möglicherweise niedrigen Arbeitslöhne für die KÖTTER-Mitarbeiter (in der Anfrage ist von „kaum mehr als 7 Euro“ Stundenlohn die Rede) wird seitens des Ministers lapidar darauf verwiesen, dass dies „letztlich Geschäftsangelegenheit des privaten Dienstleisters“ sei. Soweit die Angestellten der Firma KÖTTER die Gefangenen in ihren Zellen einschließen würden, geschehe dies nur auf ausdrücklichen Wunsch der Gefangenen.
Hier geht es um die Abgrenzung der hoheitlichen Tätigkeit der Freiheitsentziehung, d.h. einschließen darf eigentlich nur ein(e) BeamtIn, von den Arbeitsfeldern der privaten Angestellten von KÖTTER. Angeblich, so der Minister, wüssten die Gefangenen um diese Rechtslage und dürften jederzeit einem Einschluss durch die KÖTTER-Mitarbeiter widersprechen.
Zur „Ausbildung“ der privaten Sicherheitskräfte teilt man mit, dass diese lediglich ein vierwöchiges Seminar besuchen mussten.
Wiewohl zum Zeitpunkt der Anfrage die Anstalt noch nicht einmal ein ganzes Jahr in Betrieb war, gab es schon zwei Angriffe auf Bedienstete (einmal mit einem Messer, einmal mit einer Glasscherbe eines Spiegels).
2.) Entbindung in Fußketten
Auf eine Anfrage der GRÜNEN (Drs. 14/6831, 11.08.2010) geht die Antwort der Landesregierung zu einem Vorfall im Jahr 2008 zurück. Eine zu 6 Monaten verurteilte Gefangene, sie war Opfer von Menschenhändlern, die sie zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in die BRD eingeschleust hatten, sie saß wegen – Zitat – „unerlaubter Einreise“, war schwanger und wurde am 03.11.2008 in das örtliche Krankenhaus gebracht: gefesselt!
Der Vertreter des Justizministers, Ministerialdirektor Steindorfner, räumte in seiner Antwort ein, dass die Schwangere Tag und Nacht mit einer Kette ans Bett gefesselt und permanent von Wärterinnen bewacht wurde. Nur für ein medizinisch notwendiges Bad sowie für die 10 Minuten dauernde Entbindung (von 04.30 Uhr bis 04.40 Uhr am 04.11.2008) wurde sie auch von der Fußkette befreit.
Laut Ministerium habe eine „deutlich erhöht eingeschätzte Fluchtgefahr“ bestanden, weshalb diese strengen Sicherungsmaßnahmen erforderlich und auch verhältnismäßig gewesen seien.
Die LeserInnen mögen selbst beurteilen, ob eine junge Frau, die wegen illegaler Einreise eine sechsmonatige Strafe verbüßt und selbst Opfer von Menschenhändlern ist, derart „gefährlich“ sein kann, dass sie selbst im Stile eines Hannibal Lector behandelt wird.
3.) Entlassung von Sicherungsverwahrten
Mehrere Anfragen von CDU (Drs. 14/6820 vom 12.08.2010), SPD (Drs. 14/6019 vom 16.09.2010) und GRÜNEN (Drs. 14/6059 vom 27.09.2010) befassen sich mit der Frage, wie in Baden-Württemberg mit Sicherungsverwahrten umgegangen wird, die nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte von Dezember 2009 zu Unrecht in Haft gehalten werden (zu dem Urteil vgl. auch http://de.indymedia.org/2010/01/270543.shtml).
Zuvörderst bestreitet die Regierung, dass die von dem Urteil betroffenen Verwahrten eigene Ansprüche aus dem Urteil herleiten könnten, da Urteile des EGMR nur im jeweiligen Einzelfall den Staat binden würden.
Von den aktuell in Freiburg einsitzenden 49 Sicherungsverwahrten seien 13 von dem Urteil gegenwärtig oder künftig (dann wenn sie ihre 10 Jahre in der SV abgesessen haben) betroffen. Soweit schon 7 Verwahrte bislang in Baden-Württemberg entlassen worden seien, würden 5 von ihnen (in Freiburg) rund um die Uhr überwacht. Hierzu habe die Polizeidirektion Freiburg eine „Besondere Aufbauorganisation“, bestehend aus 144 PolizeibeamtInnen, gebildet, ziehe aber ggf. auch noch das Mobile Einsatzkommando hinzu.
Exkurs: Über solch eine „rund um die Uhr“-Überwachung eines der Freiburger entlassenen Verwahrten berichtete am 04.12.2010 die F.A.Z. (http://www.faz.net) ganzseitig in ihrem Feuilleton. Die FAZ-Journalistin Lena Bopp zeichnet eindrucksvoll das Bild eines nach über 25 Jahren auf die Straße gesetzten, nun im Obdachlosenheim lebenden Menschen, der fast die Hälfte seines Lebens hinter Gittern saß und nun im Nachbarzimmer die Polizei wohnen hat. Sie beschreibt die Bewachung wie folgt: „Ganz egal, wohin Herr Michels geht, fünf Polizisten sind immer bei ihm (…). Einer muss immer rechts neben Herrn M. laufen, er ist seine „Kontaktperson“. Ein weiterer Polizist läuft stets genau hinter ihm, zwei weitere folgen im Abstand von zehn bis fünfzehn Metern. Der fünfte fährt mit dem Wagen hinterher.“ Ich habe an anderer Stelle über denselben Fall (dort heißt er Sebastian Müller, denn er möchte seinen wahren Namen nicht öffentlich lesen) auch schon berichtet http://de.indymedia.org/2010/09/290997.shtml).
Die Landesregierung bestreitet jegliche Verpflichtung für die Betroffenen Wohnraum zu beschaffen oder über das gesetzlich notwendige Maß hinaus besondere Hilfestellungen zu geben.
Jene, die entlassen wurden, saßen zu Unrecht lange Jahre in Haft; hier bestünde zumindest eine moralische Verpflichtung, ihnen bei der Wiedereingliederung behilflich zu sein. Stattdessen setzt die Landesregierung auf ein Bundesgesetz, welches zum 01.01.2011 in Kraft treten und eine Verhaftung und Unterbringung der schon entlassenen Verwahrten ermöglichen soll. (Therapieunterbringungsgesetz; Der „Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen“ http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/034/1703403.pdf ist am 02.12,2010 mit kleinen Änderungen http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/040/1704062.pdf vom Bundestag beschlossen worden. Das Therapieunterbringungsgesetz ist ein Teil davon.)
Zudem kann der Tagespresse (so der Süddeutschen Zeitung vom 06.12.2010, „Goldfische für Gewalttäter“ von Heribert Prantl) entnommen werden, dass primär der Vollzugsalltag der Sicherungsverwahrung bunter werden soll, damit dieser sich von dem der Strafhaft abhebt. Nach einem Gutachten, das der bayerischen Justizministerin Merk vorliege, sei unter anderem an ein „Biotop mit Teich, eventuell mit Schildkröten und Goldfischen, einen Kleintierbereich (mit Kaninchen, Meerschweinchen)“ gedacht.
Es darf bezweifelt werden, dass dies die Lebensqualität der Verwahrten substantiell heben wird.
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113
Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
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