Frankreichs Staatspräsident Sarkozy und Bundeskanzlerin Merkel verbinden die Ministerratssitzung in Freiburg mit einem Besuch des Münsters.
Sie sind an diesem Tag nur Dekoration: Hinter den Absperrgittern am
Freiburger Münster, getrennt vom Publikum, haben Walter und Conny
Schwaab diverse Krautköpfe, Fenchel und anderes Wintergemüse aufgetürmt.
Am einzigen weiteren Marktstand neben ihnen flattert die französische
Flagge im Schneeregen. Eingelegte Paprika und Oliven verströmen auch bei
der Kälte einen intensiven Knoblauchgeruch. Seit 22 Jahren bietet
Antoine Charbonnier aus Biesheim im Elsass seine Spezialitäten auf dem
Münstermarkt an. "Weil ich Franzose bin, hat mich der Marktmeister wohl
gebeten, heute hier zu sein", sagt Charbonnier.
Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Kanzlerin Angela Merkel
(CDU) besuchen an diesem Freitag das Freiburger Münster. Danach gehen
sie ins Rathaus, um in dessen alten Ratssaal im Deutsch-Französischen
Ministerrat über die Finanzkrise der EU zu debattieren. "Wir sind sehr
gespannt auf die Politiker", sagt Conny Schwaab. Für die Kanzlerin und
den Präsidenten haben sie zwei Geschenkkörbe mit Gemüse, Linzertorte und
Wildschweinterrine vorbereitet.
Im Gleichschritt marschieren Soldaten unter den Arkaden des historischen
Kaufhauses am Münsterplatz hindurch. Ihre Stiefel klacken auf dem
Kopfsteinpflaster. Die Augen der Zuschauer am Absperrgitter folgen
ihnen. "Das ist schon ein wahnsinniges Spektakel", sagt ein älterer Mann
mit Schweizer Akzent. Erwin Ackermann, ein gebürtiger Berner, ist extra
am frühen Freitag zum Münsterplatz gekommen. "So viel Polizei auf
einmal habe ich noch nie gesehen. So was gibt es in der Schweiz nicht",
meint er. Überall an den Absperrgittern sind Polizisten postiert. Am
Platz der Alten Synagoge, wo es eine Demonstration von Merkel- und
Sarkozy-Gegnern geben soll, steht Polizeibus an Polizeibus. Deutlich
mehr als 1000 Polizisten sind abgestellt, die Teilnehmer des
Ministerrats zu schützen. Auch auf den Dreisambrücken stehen zahlreiche
Polizeifahrzeuge.
Kurz nach 11 Uhr treffen am Münsterplatz schwarze Limousinen ein. Angela
Merkel und ihre Minister begrüßen den französischen Präsidenten und
seine Entourage. Auf dem roten Teppich marschieren Merkel und Sarkozy
auf die Zuschauer am Absperrgitter zu. Hände recken sich ihnen entgegen.
Dazwischen Pfui-Rufe, einer brüllt: "Bananenrepublik Deutschland".
Die Bodyguards haben alle Hände voll zu tun, Merkel und Sarkozy vor den
Fotojournalisten abzuschirmen, die ihnen auf Schritt und Tritt über den
Münsterplatz folgen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus
(CDU) wird von der Menge an den Rand des Geschehens gedrängt. Ein
Zuschauer spritzt mit einer Wasserflasche einen Wasserstrahl auf Merkel
und Sarkozy. Die Bodyguards können gerade noch verhindern, dass die
beiden Politiker mit voller Wucht getroffen werden. Die Polizei
berichtet später, der Mann sei verhaftet worden. Immer wieder sind
Buhrufe zu hören, doch es gibt auch viele strahlende Gesichter.
In der Ferne dumpfe Trommelklänge. Am Martinstor, außerhalb der
abgeriegelten Innenstadt, haben sich Demonstranten zu einer nicht
angemeldeten, wenn auch im Internet heftig beworbenen Demonstration
versammelt. Der Zulauf ist aber überschaubar: eine Clownsgruppe mit
Sambatrommeln, ein paar Leute vom Aktionsbündnis gegen den
deutsch-französischen Gipfel, einige Transparente. Die Polizei ist mit
fast so viel Leuten präsent wie die Demonstranten. Eine Trommel wird
konfisziert, kurze Rangelei, Sprechchöre – für Freiburger Verhältnisse
geht es erstaunlich gesittet zu.
Vor dem Münster begrüßen derweil Erzbischof Robert Zollitsch und
Domkapitular Wolfgang Sauer die Kanzlerin und den Staatspräsidenten auf
Deutsch und Französisch. Begleitet von Orgelklängen führen die beiden
Geistlichen ihre Gäste zu einer Schwarz-Weiß-Aufnahme: das Freiburger
Münster inmitten von Ruinen. Erzbischof Zollitsch erzählt seinem Gast
aus Frankreich, dass allein das Münster den Bombardements der Engländer
im Zweiten Weltkrieg standgehalten hat. Das sei wie ein Wunder, habe ein
sichtlich beeindruckter französischer Präsident gesagt, erzählt der
Erzbischof später. Der Münsterbesuch war der Wunsch von Merkel und
Sarkozy – vielleicht auch, weil dieser Ort wie kein anderer illustriert,
dass auch nach einer schmerzvollen Geschichte aus zwei verfeindeten
Völkern Freunde werden können. Der Erzbischof sieht einen weiteren
Grund: "Damit haben die Politiker klar gemacht, dass ihnen die
christlichen Werte Europas wichtig sind."
In der Pressekonferenz nach der Ministerratssitzung kommen Merkel und
Sarkozy immer wieder auf die Freundschaft zwischen ihren beiden Ländern
zu sprechen. Auch in der Finanzkrise und bei der Rettung des Euro: "Wir
arbeiten immer besser zusammen", sagt Sarkozy. Dabei hatte es noch zu
Beginn des Jahres so ausgesehen, als funktioniere das
deutsch-französische Tandem nicht mehr besonders gut: Sarkozy hatte
Merkel vorgeworfen, sie habe zu lange gezögert beim Rettungsschirm für
die von der Finanzkrise betroffenen Länder wie Griechenland.
Inzwischen scheinen sie sich wieder einig: Merkel wie Sarkozy haben sich
gegen europäische Staatsanleihen ausgesprochen. Für Länder wie
Deutschland und Frankreich würde das bedeuten, dass sie höhere Zinsen
für ihre Kredite bezahlen müssten. "Es ist ungerecht, uns deshalb
egoistisch zu nennen", sagt Sarkozy. Deutschland und Frankreich seien
schließlich die größten Beitragszahler in der EU.
Draußen vor dem Theater wird dies eher unfreundlich kommentiert. Die
Linke hat zur – angemeldeten – Demonstration "Merkel & Sarkozy:
nicht willkommen!" aufgerufen. Gekommen sind weniger als 300 Teilnehmer,
immerhin manche aus Frankreich. "Casse-toi, pauvre con" (Hau ab, armer
Idiot), steht auf Transparenten des Zugs, der durch die Bertoldstraße
und in großem Bogen wieder zurück zum Platz der Alten Synagoge führt.
Bei der Schlusskundgebung sind gerade noch 30 Zuhörer da. Das sind dem
Redner offenbar zu wenige. Er bricht die Demonstration ab.
Zur gleichen Zeit tafeln Staatspräsident, Bundeskanzlerin und die
Minister im Historischen Kaufhaus am Münsterplatz. Aus der Sterneküche
des Colombi-Hotels gibt es ein Vier-Gänge-Menü zu badischem Wein. Gegen
15.30 Uhr endet der Freiburger Gipfeltag. 15 Minuten lang laufen sich –
gar nicht Green-City-gemäß – die Motoren der Staatskarossen warm. Mit
Küsschen links, Küsschen rechts verabschieden sich Angela Merkel und
Nicolas Sarkozy. Außenminister Guido Westerwelle schmeichelt derweil den
Gastgebern, lobt das Essen und die Stadt: "Ihr, die ihr hier lebt,
wisst gar nicht, wie schön ihr es hier habt." Nacheinander steigen die
Minister in ihre Wagen, der Münsterplatz leert sich. Einzig
Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner geht zu Fuß durch ein Gässchen
Richtung Altstadt. Sie hatte sich zuvor von Helen Hall-Salomon, Frau des
Freiburger Oberbürgermeisters, Einkaufstipps geben lassen.
Erklär's mir: Warum beraten Merkel und Sarkozy in Freiburg?
Kanzler und Präsidenten treffen sich nur selten in kleinen Städten wie Freiburg. Hier gab es ein solches Gipfeltreffen zum letzten Mal vor neun Jahren. Warum die beiden Regierungen jetzt wieder nach Freiburg gekommen sind, erklärt Kanzlerin Angela Merkel selbst: "Wir suchen uns Städte aus, die die lange gemeinsame europäische Geschichte zeigen." Freiburg und andere Städte in der Region haben sich besonders darum bemüht, die frühere Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland zu überwinden und ein gemeinsames Europa aufzubauen.