Gipfel in Freiburg Stadtbummel unter Polizeischutz

Oligarchie u. Patriachie dreist wie nie!
Erstveröffentlicht: 
11.12.2010

Frankreichs Staatspräsident Sarkozy und Bundeskanzlerin Merkel verbinden die Ministerratssitzung in Freiburg mit einem Besuch des Münsters.

 

Sie sind an diesem Tag nur Dekoration: Hinter den Absperrgittern am Freiburger Münster, getrennt vom Publikum, haben Walter und Conny Schwaab diverse Krautköpfe, Fenchel und anderes Wintergemüse aufgetürmt. Am einzigen weiteren Marktstand neben ihnen flattert die französische Flagge im Schneeregen. Eingelegte Paprika und Oliven verströmen auch bei der Kälte einen intensiven Knoblauchgeruch. Seit 22 Jahren bietet Antoine Charbonnier aus Biesheim im Elsass seine Spezialitäten auf dem Münstermarkt an. "Weil ich Franzose bin, hat mich der Marktmeister wohl gebeten, heute hier zu sein", sagt Charbonnier.

Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) besuchen an diesem Freitag das Freiburger Münster. Danach gehen sie ins Rathaus, um in dessen alten Ratssaal im Deutsch-Französischen Ministerrat über die Finanzkrise der EU zu debattieren. "Wir sind sehr gespannt auf die Politiker", sagt Conny Schwaab. Für die Kanzlerin und den Präsidenten haben sie zwei Geschenkkörbe mit Gemüse, Linzertorte und Wildschweinterrine vorbereitet.

 

Im Gleichschritt marschieren Soldaten unter den Arkaden des historischen Kaufhauses am Münsterplatz hindurch. Ihre Stiefel klacken auf dem Kopfsteinpflaster. Die Augen der Zuschauer am Absperrgitter folgen ihnen. "Das ist schon ein wahnsinniges Spektakel", sagt ein älterer Mann mit Schweizer Akzent. Erwin Ackermann, ein gebürtiger Berner, ist extra am frühen Freitag zum Münsterplatz gekommen. "So viel Polizei auf einmal habe ich noch nie gesehen. So was gibt es in der Schweiz nicht", meint er. Überall an den Absperrgittern sind Polizisten postiert. Am Platz der Alten Synagoge, wo es eine Demonstration von Merkel- und Sarkozy-Gegnern geben soll, steht Polizeibus an Polizeibus. Deutlich mehr als 1000 Polizisten sind abgestellt, die Teilnehmer des Ministerrats zu schützen. Auch auf den Dreisambrücken stehen zahlreiche Polizeifahrzeuge.

Kurz nach 11 Uhr treffen am Münsterplatz schwarze Limousinen ein. Angela Merkel und ihre Minister begrüßen den französischen Präsidenten und seine Entourage. Auf dem roten Teppich marschieren Merkel und Sarkozy auf die Zuschauer am Absperrgitter zu. Hände recken sich ihnen entgegen. Dazwischen Pfui-Rufe, einer brüllt: "Bananenrepublik Deutschland".

 

Die Bodyguards haben alle Hände voll zu tun, Merkel und Sarkozy vor den Fotojournalisten abzuschirmen, die ihnen auf Schritt und Tritt über den Münsterplatz folgen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) wird von der Menge an den Rand des Geschehens gedrängt. Ein Zuschauer spritzt mit einer Wasserflasche einen Wasserstrahl auf Merkel und Sarkozy. Die Bodyguards können gerade noch verhindern, dass die beiden Politiker mit voller Wucht getroffen werden. Die Polizei berichtet später, der Mann sei verhaftet worden. Immer wieder sind Buhrufe zu hören, doch es gibt auch viele strahlende Gesichter.

In der Ferne dumpfe Trommelklänge. Am Martinstor, außerhalb der abgeriegelten Innenstadt, haben sich Demonstranten zu einer nicht angemeldeten, wenn auch im Internet heftig beworbenen Demonstration versammelt. Der Zulauf ist aber überschaubar: eine Clownsgruppe mit Sambatrommeln, ein paar Leute vom Aktionsbündnis gegen den deutsch-französischen Gipfel, einige Transparente. Die Polizei ist mit fast so viel Leuten präsent wie die Demonstranten. Eine Trommel wird konfisziert, kurze Rangelei, Sprechchöre – für Freiburger Verhältnisse geht es erstaunlich gesittet zu.

Vor dem Münster begrüßen derweil Erzbischof Robert Zollitsch und Domkapitular Wolfgang Sauer die Kanzlerin und den Staatspräsidenten auf Deutsch und Französisch. Begleitet von Orgelklängen führen die beiden Geistlichen ihre Gäste zu einer Schwarz-Weiß-Aufnahme: das Freiburger Münster inmitten von Ruinen. Erzbischof Zollitsch erzählt seinem Gast aus Frankreich, dass allein das Münster den Bombardements der Engländer im Zweiten Weltkrieg standgehalten hat. Das sei wie ein Wunder, habe ein sichtlich beeindruckter französischer Präsident gesagt, erzählt der Erzbischof später. Der Münsterbesuch war der Wunsch von Merkel und Sarkozy – vielleicht auch, weil dieser Ort wie kein anderer illustriert, dass auch nach einer schmerzvollen Geschichte aus zwei verfeindeten Völkern Freunde werden können. Der Erzbischof sieht einen weiteren Grund: "Damit haben die Politiker klar gemacht, dass ihnen die christlichen Werte Europas wichtig sind."

In der Pressekonferenz nach der Ministerratssitzung kommen Merkel und Sarkozy immer wieder auf die Freundschaft zwischen ihren beiden Ländern zu sprechen. Auch in der Finanzkrise und bei der Rettung des Euro: "Wir arbeiten immer besser zusammen", sagt Sarkozy. Dabei hatte es noch zu Beginn des Jahres so ausgesehen, als funktioniere das deutsch-französische Tandem nicht mehr besonders gut: Sarkozy hatte Merkel vorgeworfen, sie habe zu lange gezögert beim Rettungsschirm für die von der Finanzkrise betroffenen Länder wie Griechenland.

Inzwischen scheinen sie sich wieder einig: Merkel wie Sarkozy haben sich gegen europäische Staatsanleihen ausgesprochen. Für Länder wie Deutschland und Frankreich würde das bedeuten, dass sie höhere Zinsen für ihre Kredite bezahlen müssten. "Es ist ungerecht, uns deshalb egoistisch zu nennen", sagt Sarkozy. Deutschland und Frankreich seien schließlich die größten Beitragszahler in der EU.

Draußen vor dem Theater wird dies eher unfreundlich kommentiert. Die Linke hat zur – angemeldeten – Demonstration "Merkel & Sarkozy: nicht willkommen!" aufgerufen. Gekommen sind weniger als 300 Teilnehmer, immerhin manche aus Frankreich. "Casse-toi, pauvre con" (Hau ab, armer Idiot), steht auf Transparenten des Zugs, der durch die Bertoldstraße und in großem Bogen wieder zurück zum Platz der Alten Synagoge führt. Bei der Schlusskundgebung sind gerade noch 30 Zuhörer da. Das sind dem Redner offenbar zu wenige. Er bricht die Demonstration ab.

Zur gleichen Zeit tafeln Staatspräsident, Bundeskanzlerin und die Minister im Historischen Kaufhaus am Münsterplatz. Aus der Sterneküche des Colombi-Hotels gibt es ein Vier-Gänge-Menü zu badischem Wein. Gegen 15.30 Uhr endet der Freiburger Gipfeltag. 15 Minuten lang laufen sich – gar nicht Green-City-gemäß – die Motoren der Staatskarossen warm. Mit Küsschen links, Küsschen rechts verabschieden sich Angela Merkel und Nicolas Sarkozy. Außenminister Guido Westerwelle schmeichelt derweil den Gastgebern, lobt das Essen und die Stadt: "Ihr, die ihr hier lebt, wisst gar nicht, wie schön ihr es hier habt." Nacheinander steigen die Minister in ihre Wagen, der Münsterplatz leert sich. Einzig Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner geht zu Fuß durch ein Gässchen Richtung Altstadt. Sie hatte sich zuvor von Helen Hall-Salomon, Frau des Freiburger Oberbürgermeisters, Einkaufstipps geben lassen.

 

Erklär's mir: Warum beraten Merkel und Sarkozy in Freiburg?

 

 

 

 

Kanzler und Präsidenten treffen sich nur selten in kleinen Städten wie Freiburg. Hier gab es ein solches Gipfeltreffen zum letzten Mal vor neun Jahren. Warum die beiden Regierungen jetzt wieder nach Freiburg gekommen sind, erklärt Kanzlerin Angela Merkel selbst: "Wir suchen uns Städte aus, die die lange gemeinsame europäische Geschichte zeigen." Freiburg und andere Städte in der Region haben sich besonders darum bemüht, die frühere Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland zu überwinden und ein gemeinsames Europa aufzubauen.