Von news.de-Mitarbeiter Torben Waleczek
Mit revolutionärem Furor predigt das linksradikale Anarcho-Manifest Der kommende Aufstand den Guerilla-Kampf gegen die Staatsgewalt. Sieht so der Kommunismus für das 21. Jahrhundert aus?
Die deutschen Feuilletons sind aus dem Häuschen, der Grund ist ein linksradikales Revolutionspamphlet französischer Anarchisten. Im Nachgang zu den Straßenkrawallen in den Pariser Banlieues erschien die Schrift bereits 2007 unter dem Titel L'Insurrection qui vient. Die Autoren nennen sich «Unsichtbares Komitee» und bleiben anonym.
Die deutsche Übersetzung - Der kommende Aufstand - macht nun auch die Kulturredakteure hierzulande ganz kribbelig. Rezensionen erschienen in der Süddeutschen Zeitung, in der Zeit, der taz und selbst in der bürgerlich-konservativen FAZ. Das knapp hundertseitige Büchlein gilt manchen schon als kommunistisches Manifest des 21. Jahrhunderts, als Revolutionsanleitung für das digitale Zeitalter.
Aber gemach, gemach, mag man einwenden: Ein bisschen altbacken wirkt Der kommende Aufstand dann doch, trotz aller Kompromisslosigkeit in Duktus und Stil. Seine Gesellschaftskritik ist zusammengewürfelt aus einer hinreichend bekannten Denktradition – von Marx/Engels über Michel Foucault bis Giorgio Agamben.
Die Diagnose des «Unsichtbaren Komitees» ist freilich vernichtend und wird mit viel Furor vorgetragen: «Aus welcher Sicht man sie auch betrachtet, die Gegenwart ist ohne Ausweg», heißt es am Anfang des Textes. Wer so auf die Welt blickt, für den sind Polizeiknüppel und Ritalin, Nervenheilanstalten und iPods, abhängige Lohnarbeit, staatlicher Schulunterricht und Pornografie im Grunde das Gleiche: Mittel der Repression. Alles gerät in Verdacht, es diene «dem Regime» zur Unterdrückung seiner Untertanen.
Eine antimoderne Hetzschrift?
Dass der Band nicht in Kapitel, sondern in sieben «Kreise» eingeteilt ist, gemahnt an Dantes Inferno. Die Welt erscheint als eine Hölle aus Entfremdung, Kontrolle und zerfallener Solidarität. Oder, im Jargon der Autoren: «Trend der Epoche ist die Durchmischung von falscher Musik mit Teleskopschlagstöcken und Zuckerwatte.»
Der Feind, das ist das «Kleinbürgertum», eine selbstgenügsame, «komische, kraftlose Anhäufung», die meint, sie könne sich aus den Tumulten der Geschichte heraushalten. Der Feind, das sind aber ebenso die Gemäßigten im eigenen Lager. Zur Theorie der radikalen Linken gehört immer auch der Kampf gegen Reformer und Revisionisten. Hier sind es die Gewerkschaften, die Globalisierungskritiker von Attac und die grüne Umweltbewegung.
Besonders bösartig gerät der Spott über das Milieu der links-ökologischen Weltverbesserer: «Ein Grafik-Designer im handgemachten Pullover trinkt auf der Terrasse eines Ethno-Cafés unter Freunden einen Frucht-Cocktail. (…) Später werden die einen die Erde eines Stadtgartens etwas auflockern, während die anderen ein bisschen Töpfern, etwas Zen machen oder einen Animationsfilm drehen.» Wer mag da nicht an den Prenzlauer Berg denken oder den Stuttgarter Schlossgarten?
Kein Wunder, dass ausgerechnet die grün-alternative tageszeitung das Buch in Bausch und Bogen verdammt. Der kommende Aufstand sei in Wirklichkeit, so die taz, eine antimoderne Hetzschrift, inspiriert von rechten Denkern wie Martin Heidegger oder dem NS-Kronjuristen Carl Schmitt.
Statt Kommunarden-Idyll droht Faustrecht
Richtig daran ist: Kulturpessimismus, Dekadenztheorien, Partisanenromantik, Freund-Feind-Rhetorik und Demokratiefeindlichkeit gibt es auch auf der Rechten. Aber nicht nur dort. Im Kern handelt es sich bei Der kommende Aufstand eben doch um eine links-anarchistische Utopie vom Kampf gegen die Obrigkeit und einem guten Leben.
Um das zu erreichen, sollen sich die Aufständischen in kleinen Kommunen organisieren und mit Guerilla-Methoden das öffentliche Leben angreifen. Der weiche Unterleib der modernen Gesellschaft, den es zu sabotieren gilt, ist dabei die städtische Infrastruktur: Stromleitungen, Computernetzwerke, Zugstrecken.
Und wenn bei einer Attacke auf den französischen Hochgeschwindigkeitszug TGV Menschen ums Leben kommen? Darüber verlieren die Autoren kein Wort. Wie es der Revolutionär von morgen mit der Gewalt halten möge, bleibt diffus. Man soll sich bewaffnen, heißt es an einer Stelle – aber bitte mit dem Ziel, Waffengewalt möglichst schnell überflüssig zu machen.
Das Buch gipfelt schließlich in einer hilflos naiven Vorstellung von der idealen Gesellschaft. Sind die repressiven Staatsorgane erst abgeschafft, dann leben die Menschen in herrschaftsfreien, sich selbst versorgenden Kleingruppen friedlich bei einander. So weit die Theorie.
Was wirklich passiert, wenn das staatliche Gewaltmonopol zerfällt, das lässt sich im Jemen besichtigen, in Afghanistan, Mexiko oder Somalia. Statt Kommunarden-Idyll herrscht dort das Faustrecht von Warlords, Drogenkartellen und bewaffneten Jugendbanden. Die menschliche Wolfsnatur, die hier zum Vorschein kommt, haben die Revolutionäre aus Frankreich nicht auf dem Zettel.