Debatte über "Der kommende Aufstand" - Das hat er vom Vater

Das Büchlein "Der kommende Aufstand" hat ein ähnlich diffus aufrührerisches Potential wie David Finchers Film "Fight Club"  von 1999.
Erstveröffentlicht: 
24.11.2010

In dem anarchistischen Pamphlet "Der kommende Aufstand" finden sich Batman, Mao und Ernst Jünger - das lädt zu Fehlinterpretationen ein: Ist es nun links oder rechts? Eindeutig ist seine Botschaft: Brenne! Von Marc Felix Serrao

 

Der düsterste Satz in Christopher Nolans Film The Dark Knight stammt von Batmans Butler. "Manche Menschen können weder gekauft noch eingeschüchtert werden, mit ihnen ist weder zu argumentieren noch zu verhandeln", sagt Alfred (Michael Caine). Er meint den Joker, dem Heath Ledger eine Fratze verlieh, wie man sie galliger nie gesehen hatte.

 

Menschen wie dieser schmatzende, kichernde Unhold, so Alfred, wollten die Welt "einfach nur brennen sehen". Heute, zwei Jahre später, ist ein französisches Büchlein in aller Munde, das ähnlich schlecht gelaunt und renitent daherkommt. Wollte man seine Botschaft an die westliche Welt auf den Punkt bringen, wäre es diese: Brenne!

 

Das röchelnde System

Viel ist geschrieben worden über Der kommende Aufstand (Im Original von 2007: L' insurrection qui vient). Über seinen Furor, seine Naivität, aber auch über seine kitzelnde Sprachmacht. Das knapp 100-seitige Bändchen, dessen deutsche Fassung inzwischen von jeder gut sortierten linksradikalen Website heruntergeladen werden kann, beschreibt ausgehend von den explosiven Bannmeilen Frankreichs und der köchelnden Gewalt auf Griechenlands Straßen eine Gesellschaft am Abgrund. Statt, nach guter sozialdemokratischer Sitte, auf andere Verhältnisse zu pochen, durch Demos oder Tarifverhandlungen, gelte es, das ohnehin röchelnde System mit Anlauf in den Abgrund zu schubsen.

 

In der taz wurde nun darauf hingewiesen, dass die größeren deutschen Rezensionen des Franzosenbändchens völlig verkannt hätten, was dieses eigentlich sei: nicht links, sondern rechts. Und zwar so richtig. Von einer "antimodernen Hetzschrift" ist da die Rede, gespickt mit Thesen von Hauptverdächtigen wie Carl Schmitt und Martin Heidegger. Ein Einwand, der zutrifft, zumindest teilweise.

 

Um das zu erkennen, muss man aber nicht mühsam Schmitt ableiten und den Text nach einschlägigen Begriffen scannen. Es reicht, einen kleinen Band zur Hand zu nehmen, der zur Grundausstattung jeder guten konservativen Hausbibliothek zählt und die nun im "Aufstand" beschworene Praxis der Mimikry und des subversiven Widerstands vor Jahrzehnten schon und in mindestens so eleganten Worten vorweggenommen hat: Der Waldgang, Ernst Jünger, '51.

 

Von der allgemeinen Hoffnungslosigkeit ("Der Mensch befindet sich in einer großen Maschine, die zu seiner Vernichtung ersonnen ist") bis zum Aktionismus ("Der Wahrspruch des Waldgängers heißt: jetzt und hier"): Viel von dem, was nun als neu und revolutionär gelesen wurde, findet sich in Jüngers Anleitung zum Widerstand, die unter dem Eindruck des frühen Wettrüstens der Nachkriegsblöcke entstand. Mitunter gleichen sich die Texte fast aufs Wort, etwa, wenn es um praktische Vorschläge zur Sabotage geht.

 

Jüngers isolierter Held "führt den kleinen Krieg entlang der Schienenstränge und Nachschubstraßen, bedroht die Brücken, Kabel und Depots". Der Waldgänger, der als dritte große historische Gestalt neben Arbeiter und Soldat auftritt, "schlägt sich ins Unwegsame, ins Anonyme (...). Er verbreitet eine ständige Unruhe, erregt nächtliche Paniken."

 

Bei Jüngers französischen Nachkommen, deren Großeltern der berüchtigte Stoßtruppführer in den Materialgewittern der Westfront einst das Fürchten lehrte, ist ebenfalls viel von der verletzbaren Infrastruktur der Metropolen die Rede. Von Netzen "aus Kabeln, Glasfasern und Rohren, die angegriffen werden können" - aus einer schier unanfechtbaren Anonymität heraus.

 

Solche Parallelen gibt es viele, nicht nur bei Jünger. Die Fremdheit der Verhältnisse, der Drang zur direkten, rücksichtslosen Aktion, die Verachtung der Mehrheitsgesellschaft: Das war und ist das ABC der Konservativen Revolution und ihrer neurechten Enkel. Der Traum von der autark bewirtschafteten Scholle und wehrhaften Kommune? Einfach mal unter "Artamanenbewegung" nachschlagen oder in der Sezession blättern.

 

So weit, so rechts, so richtig. Trotzdem wäre es falsch, den "Aufstand" mit Verweis auf seine Vorbilder als antimodernes Pamphlet abzutun. Denn was schert die Kinder, wer ihre geistigen Väter sind? Was vielleicht mal ein genuin rechter Weltekel war, hat sich längst im popkulturellen Mainstream eingebrannt - an den jedes politische Programm, das außerhalb der sozialwissenschaftlichen Proseminare (und Feuilletons) fruchtbar werden will, andocken muss.

 

Heath Ledgers Joker ist nur ein Beispiel. Das bis heute unübertroffene Werk der massenwirksamen Konsum- und Gesellschaftskritik ist David Finchers Fight Club. Wie viele junge Männer sind damals, 1999, unabhängig von ihren politischen Überzeugungen, aus den Kinos gelaufen mit dem diffusen Gefühl, mindestens ein Schaufenster einwerfen zu müssen?

 

Der schneidige Ton

"Der kommende Aufstand" hat ein ganz ähnliches Potential. Nicht weil die Autoren recht hätten oder besonders scharf argumentieren würden; die zweite Texthälfte, die eine Art Handlungsanleitung darstellen soll, ist bestenfalls pubertärer Vulgärsozialismus. Nein, es ist der schneidige Ton, der einen packt. Die Beschreibung der Ödnis, die jeder politisch interessierte Mensch empfindet, der ob der Verhältnisse noch nicht ganz zynisch geworden ist. Dass das, was ist, dennoch strukturell alternativlos ist, dass die politische Ordnung, die so fade Charaktere wie die, die uns heute repräsentieren, nach oben spült, am Ende die stabilste Ordnung schafft, diese Erkenntnis ist richtig. Sexy ist sie nicht.

 

Wenn es stimmt, dass Teile des bürgerlichen deutschen Feuilletons dem namenlosen Autorenkollektiv des Nachbarlands auf den ideologischen Leim gegangen sind, dann ist ein Großteil der jungen Linken fröhlich mitmarschiert. Um das zu erkennen, reicht ein Blick in die gängigen linksradikalen Blätter und Portale. Mit Inbrunst wird das kleine Manifest hier verlinkt und vereinnahmt.

 

Der Freitag würdigte es schon im Mai als Versuch, "linke bzw. postmarxistische Theorie mit sehr deutlichen anarchistischen Anklängen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen". Und lag nicht ganz daneben. Denn so rechts der "Aufstand" hier und da ist, so links ist er anderswo. Stichwort Partisanenkampf: Wer will, findet in dem Werk so viel Mao wie Schmitt. Der Jargon ist ebenfalls eindeutig der der radikalen Linken, die als Zielgruppe auch mehrfach direkt adressiert wird. Oder wann hat ein echter Rechter je von "städtischen Gemüsegärten" wie auf "Cuba" geträumt?

 

Faszinierend, verstörend

Es wäre unredlich, dieses faszinierende, verstörende Büchlein von der Linken wegzurücken. Der "Aufstand" schweige "von sozialer Gerechtigkeit, der Demokratisierung der Technik oder den Menschenrechten", schreibt die taz. Deshalb sei er auch nicht links, also nicht so richtig. Diese verquere Logik gleicht der einer Mutter, die auf ihren vorbestraften Nachwuchs angesprochen wird und sagt: "Das hat er vom Vater."

 

Wer waren denn die elitären Volksrichter, die Deutschland vor gerade mal einer Generation ohne jedes Mandat ins klassenlose Nirwana bomben wollten? Wer sind die Linksautonomen, die Autos abfackeln, Polizisten mit Steinen bewerfen und das Gewaltverbot gegen Andersdenkende für ausgehebelt erklären? Alles verkappte Rechte? Theoretisch unterernährte Linke?

 

Nein, die Feinde unserer modernen Massendemokratie kapitalistischen Zuschnitts, die so bleiern wie alternativlos ist, sitzen rechts- wie links außen. Die eine Seite gilt in Deutschland seit Jahrzehnten als indiskutabel. Die andere ist, anders als Batmans Nemesis, bis heute gut geschminkt. Ihre Fratze wird wohl erst richtig zur Kenntnis genommen werden, wenn die wohlmeinenden Saboteure ihr Büchlein weglegen und praktisch werden.