Prognose eines Angriffs gegen die Herrschaft

Erstveröffentlicht: 
23.11.2010

Literatur: Krude neokommunistische Kampfschrift sorgt für Aufsehen, weil sie den "kommenden Aufstand" gegen staatliche Strukturen in Europa propagiert

Von dpa-Korrespondent Wilfried Mommert

 

Ein neues "Gespenst" geht um in Europa, ein neues "kommunistisches Manifest" aus Frankreich, diesmal allerdings mit dem Aufruf zum gewaltsamen Widerstand gegen alle staatlichen Strukturen. Ein "Unsichtbares Komitee" (anonyme Autoren) ruft in der ideologischen Kampfschrift zum Widerstand auf. Sie ist jetzt auch in Deutschland erschienen und hat bereits einige Wellen geschlagen ("Der kommende Aufstand", Edition Nautilus, 128 Seiten, 9,90 Euro). In Frankreich ist das Werk nach Verlagsangaben im Zusammenhang mit den Protesten gegen Castor- Transporte als "Handbuch des Terrorismus" beschlagnahmt worden.

 

Es gebe keinen "Kampf der Kulturen", vielmehr sei die ganze Zivilisation "im Zustand des klinischen Todes", meinen die anonymen Verfasser in ihrem Manifest. Die nicht neue These ist, dass der Kapitalismus versagt hat, Frankreich "wirklich das Schlusslicht der westlichen Welt" ist und ein neuer, "moderner" Kommunismus kommen wird, "als Matrix eines minutiösen, kühnen Angriffs gegen die Herrschaft" - und das nicht ohne Waffen.

 

"Dies ist möglicherweise das Böseste, was ich jemals gelesen haben", "Das schmale Werk könnte das wichtigste linke Theoriebuch unserer Zeit werden", zitiert der Verlag etwas großspurig erste Medienkommentare zu dem Buch, etwa des amerikanischen TV-Programms Fox News und der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Der "Spiegel" druckt ganze Auszüge aus der Kampfschrift, vom "radikalsten und problematischsten Ausdruck eines neuen gesellschaftlichen Unbehagens" ist die Rede.

 

Was die Radikalität angeht, lohnt sich ein Blick in die Archive des polizeilichen Staatsschutzes in Berlin, wo sich ähnlich radikale Dokumente aus den Jahren der Straßen- und Häuserkämpfe vor 30, 40 Jahren befinden, unterfüttert mit diffusen gesellschaftstheoretischen Ideen. Das französische Pamphlet mit Bezügen zu den Unruhen in den Pariser Vorstädten oder den jüngsten Demonstrationen in Griechenland unterscheidet sich davon durch seinen überwiegend pessimistischen Ton. "Die Gegenwart ist ausweglos", es könne nur noch schlimmer kommen, "von Links bis Rechts ist es dasselbe Nichts".

 

Problematischer zweiter Teil

Problematisch wird es im zweiten Teil, wo es heißt: "Auf geht's!" Hier wird an die Häuserkämpfe in Deutschland in den 80er Jahren erinnert, wo man etwa in Hamburg habe erleben können, "wie eine Handvoll Bewohner besetzter Häuser entscheidet, dass man von nun an über ihre Leichen gehen müsse, um sie zur Räumung zu zwingen" und eine Stadtverwaltung kapituliert habe.

 

"Bildet Kommunen!" heißt es in dem Manifest, das auch an die Verletzbarkeit der technischen Infrastruktur der Metropolen erinnert ("findet die Schwachpunkte der Computernetze"). Und schließlich: "Es gibt keinen friedlichen Aufstand. Waffen sind notwendig. Es geht darum, alles zu tun, um ihren Gebrauch überflüssig zu machen."

 

Auch der deutsche Sozialphilosoph Oskar Negt sieht eine krisenhafte Zuspitzung der Probleme der Arbeitsgesellschaft. "Aber die Zeit der Barrikaden ist vorbei", betonte er in einem "Spiegel"-Gespräch. Sein jüngstes Werk "Der politische Mensch - Demokratie als Lebensform" (Steidl Verlag, 585 Seiten, 29 Euro) verdient mehr Beachtung als die krude Kampfschrift. Das Buch bietet eine fundierte wissenschaftliche Analyse der gegenwärtigen Gesellschaftskrise und des verbreiteten Misstrauens gegenüber der politischen Klasse. "Es waren alles professionelle Politiker, die uns vor der Wirtschaftskrise auch nicht bewahren konnten", so Neidel.