Aufruf zum Aufstand

Proteste in Lyon
Erstveröffentlicht: 
23.11.2010

In Deutschland wächst die Lust am Protest. Bürger formieren sich landesweit gegen Bahn- oder Bauprojekte, Castortransporte oder die Atomkraft. Da kommt eine Streitschrift aus Frankreich gerade recht.

 

 

Ein Manifest geht um in Europa, ein Pamphlet, das zunächst in Frankreich erschienen ist, dann in England, den USA, schließlich im Internet kursierte und das nun auch in einer deutschen Ausgabe für Diskussionen sorgt. Manche sprechen schon davon, dass es das wichtigste linke Theoriebuch der heutigen Zeit werden könnte. Sein Titel: "Der kommende Aufstand".

 

Zeichen des Zusammenbruchs

Geschrieben wurde es noch vor der weltweiten Finanzkrise von einem anonymen französischen Autorenkollektiv, das sich "Unsichtbares Kommittee" nennt. Die Schrift ist ein hellsichtiger Abgesang auf den globalen Kapitalismus und ein Ausdruck des Volkszorns zugleich. Die französische Regierung dagegen las das Buch als Anstiftung zum Terrorismus, ließ gegen einen der vermuteten Autoren ermitteln, fand aber letztlich keine Beweise. In der Tat: Der Text ruft auf zu Sabotage und Gewalt. Aber nicht nur. Die anonymen Autoren zeichnen ein düsteres Szenario. Die brennenden französischen Vorstädte, die Straßenkrawalle in Griechenland - alles ist für sie Symptom eines Zusammenbruchs der westlichen Demokratien.

 

Im kapitalistischen Getriebe 

Sie beschreiben den heutigen Menschen als ein ohnmächtiges, beziehungsarmes, entwurzeltes Wesen, das ein entfremdetes Leben im gleißenden Licht der kapitalistischen Warenwelt führt. Der Staat sei nur noch Sachwalter des kalten kapitalistischen Marktes, aber er sei auch anfällig geworden für Störungen. Oppositionelle Bewegungen, so das Autorenkollektiv, sind korrumpiert und dienen lediglich dem Austarieren der bestehenden Verhältnisse. Soziale Beziehungen lägen im Sterben. Arbeit sei entwertet, heute werde nur noch gejobbt. Neue Medien gaukelten eine ununterbrochene Kommunikation und Mobilität vor, führten das Individuum aber nur in die Isolation.

 

Kommunen als Keimzellen

Was tun gegen die Misere? Im zweiten Teil des Buches finden sich Vorschläge, wie und womit der unvermeidbare Aufstand zu organisieren ist. Zunächst einmal gelte es, sich in Kommunen zusammen zu schließen, die sich den übermächtigen Strukturen, der kalten Maschinerie entgegenstellen. Diese Kommunen sollen unter dem Schutz der Anonymität Sand ins Getriebe streuen, sich gegen die Warenwelt verschwören, nicht arbeiten, Sozialleistungen erschleichen, zu Betrug und Diebstahl bereit sein, leer stehende Häuser besetzen, Strom abklemmen, und so das System stören und zu Fall bringen. Am Ende steht dann eine Utopie: Das Leben von frohen und freien Menschen.

 

Nerv getroffen 

In einer Zeit, da in Deutschland das Unbehagen an ökonomischen Großprojekten wächst, politische Entscheidungen von einer Bürgerbewegung von unten auf den Prüfstand gestellt und oft für falsch befunden werden, trifft das Buch einen Nerv. Es gibt Kritik – alles sei viel zu grob geschnitzt – aber auch sehr viel Lob. Manche halten es für ein gelungenes Stück Popliteratur, andere schwärmen geradezu von seinem poetischen Stil, seinem melancholischen Duktus. "Der kommende Aufstand" gilt vielen als Manifest einer neuen Protestkultur, als Zeichen eines tief wurzelnden gesellschaftlichen Unbehagens. Beim Nautilus-Verlag jedenfalls wird bereits die dritte Auflage gedruckt.

 

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Klaus Gehrke