Ein Manifest aus Frankreich klagt den rasenden Kapitalismus an. Für die Linke hat es nur Hohn übrig.
Der Volkszorn geht um in Europa. Von ihm handelt die 2007 erschienene Schrift L’insurrection qui vient (jetzt auch auf Deutsch als Der kommende Aufstand erschienen). Sie beginnt kraftvoll, wie jedes gelungene Manifest: "Wie man sie auch betrachtet, die Gegenwart ist ausweglos. Das ist nicht der geringste ihrer Vorzüge." Den Schluss daraus soll der Leser ziehen.
Bei diesem Knalleffekt belässt es das "Unsichtbare Komitee" nicht. Das anonyme Autorenkollektiv geht methodisch wie Karl Marx vor (ohne dessen Kategorien zu benutzen) und kritisiert zunächst die Lohnarbeit: "Arbeit zu haben ist eine Frage der Ehre, zu arbeiten aber ein Zeichen des Unterworfenseins. Kurz: ein klarer Fall von Hysterie. Wir lieben, was wir hassen, und wir hassen, was wir lieben." Zumindest in Frankreich trifft diese Diagnose einen Nerv. Zutreffend ist auch, dass Arbeits-, Verteilungs- und Auschließungsverhältnisse keineswegs naturwüchsig, sondern das Resultat politischer Entscheidungen sind – zumal in einem Land, wo der Staat einigermaßen lückenlos die Personalangelegenheiten regelt, von der Spitze der Gesellschaft bis in ihre Verliese. Alles das ist zielsicher und zeitbezogen aufgeschrieben.
Der Text malt keine prachtvolle Revolution in den Himmel, und für die Linke hat er nur kalten Hohn übrig. Stattdessen sucht er in den illegalen Aktionen der unteren Volksklassen die Energie, die "der kommende Aufstand" braucht: "Diejenigen, die sich von der Kriminalität weniger Erniedrigung und mehr Vorteile erhoffen als von Putzdiensten, sie strecken ihre Waffen nicht, und auch das Gefängnis wird ihnen nicht die Liebe zur Gesellschaft einimpfen."
Sie können stattdessen "autonom werden, was auch heißen könnte: lernen, auf der Straße zu kämpfen, leerstehende Häuser zu besetzen, nicht zu arbeiten, sich wie verrückt zu lieben und im Supermarkt zu klauen." Von dieser Praxis sei es nicht mehr weit zum Leben in Kommunen: kleine Gruppen, die ihre Ressourcen, Überlebenstricks und Betrugspraktiken miteinander teilen, um sich dem Arbeitszwang zu entziehen. Die freigewordene Zeit können sie dem Angriff widmen.
Und der sei sehr wohl möglich. Der heutige Kapitalismus beruhe auf unausgesetzter Mobilisierung von Menschen, Sachen, Informationen, er macht pausenlos Tempo, rast, wütet, stresst – doch es braucht beispielsweise nur einmal der Strom auszufallen, und knirschend bleibt das System stehen. Andere neuralgische Punkte sind Raffinierien, TGV-Strecken, Autobahnen, Kommunikationsnetze.
Die wurden jüngster Zeit auch tatsächlich attackiert, von protestierenden Arbeitern etwa, Bauern oder anonymen Gruppen. Da ließe sich noch viel lernen, schreiben die Autoren, und "nichts wäre logischer", wenn beispielsweise "Drehbänke, Fräsmaschinen und Photokopierer, die zu Schleuderpreisen aus der Konkursmasse geschlossener Fabriken verkauft werden, anschließend einer Konspiration gegen die Händlergesellschaft zugute kämen." Es gelte das "Prinzip der Sabotage: Minimales Risiko der Aktion, minimaler Zeitaufwand, maximaler Schaden." Auch eine Demonstration sei "nicht ein Mittel, die eigenen Kräfte zu zählen, sondern ein Mittel, zu handeln."
Eine Theorie des Schwarzen Blocks also. Ihre Autoren werden vom Staatsschutz verfolgt, mit fragwürdigen Methoden. Wer protestiert? Die verachteten linken Milieus. In den heißen Vorstadtquartieren hingegen liest niemand solche Manifeste. Auch wenn jugendliche Banlieusards im Schutz von Demonstrationen hin und wieder die Polizei angreifen, ihre Betonburgen bleiben als Projektionsflächen für intellektuelle Rebellen ungeeignet. Denn dort ist die Gegenwart nicht bloß aussichtslos, vielmehr zieht sie sich hinter den Ereignishorizont des Ghettos zurück. Und übrig bleiben nicht Kommunen, sondern Banden.