Akten aufgetaucht: Renommierter Stasi-Forscher war offenbar selbst IM

Die Akten der DDR-Staatssicherheit enthalten noch immer Sprengstoff
Erstveröffentlicht: 
19.11.2010

Michael Richter, einer der wichtigsten sächsischen Historiker mit dem Spezialgebiet DDR- und Totalitarismusforschung, war offenbar über mehrere Jahre inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit. Das berichtet die Tageszeitung "Die Welt" unter Bezug auf Akten der Birthler-Behörde. Danach hat Richter von 1979 bis 1981 Spitzelberichte über kirchliche Kreise verfasst. Dem Blatt liegt auch die Kopie einer handschriftlichen Verpflichtungserklärung vor. Richter soll gegenüber der Stasi zudem seine Bereitschaft erklärt haben, nach der Übersiedlung in die BRD "weiterhin für das MfS tätig zu sein".

 

Historiker veröffentlichte zahlreiche Arbeiten zur DDR-Geschichte

Nach seiner Ausreise hatte Richter unter anderem für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung gearbeitet, seit 1994 ist er im Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. (HAIT) beschäftigt. Er veröffentlichte seitdem zahlreiche Arbeiten, die sich mit der Aufarbeitung der DDR-Geschichte oder der Neugründung des Freistaates Sachsen befassen. Sein Buch "Die friedliche Revolution. Aufbruch zur Demokratie in Sachsen 1989/90" wurde von Ministerpräsident Stanislaw Tillich auf der Leipziger Buchmesse 2009 vorgestellt.


Historiker darf trotz Stasi-Verstrickungen weiterarbeiten

Das vollständig vom Freistaat Sachsen finanzierte HAIT teilte am Donnerstag mit, Richter dürfe vorerst weiterarbeiten. Das Kuratorium des Instituts werde sich auf der nächsten regulären Sitzung am kommenden Dienstag "mit der Angelegenheit befassen", sagte Institutschef Günther Heydemann. Zur umfänglichen Überprüfung der Vorwürfe habe man bei der Stasiunterlagen-Behörde in Berlin einen Antrag auf Überlassung des Aktenmaterials gestellt.

 

Offenbar kein Institutsmitarbeiter überprüft

Der sächsische Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Michael Beleites, sagte MDR INFO, er habe vor etwa vier Wochen von den Vorwürfen gegen Richter erfahren. Zu seiner "großen Überraschung" habe er festgestellt, dass seit Gründung des HAIT noch keiner der Mitarbeiter auf eine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit überprüft worden ist. "Ich ging bisher davon aus, dass es selbstverständlich gerade an einem so sensiblen Institut, das mit der Stasi-Thematik zu tun hat, alles längst schon passiert ist", sagte Beleites. Nach seinen jetzigen Kenntnissen hätten in dem Institut und seinem Umfeld "sehr viele Personen" bereits seit 1993 von Richters Stasi-Verbindungen gewusst. "Die Welt" berichtet, dass "Verantwortliche bis hin zu einem Mitglied der Landesregierung" über die Verstrickungen des Historikers unterrichtet waren. Beleites sagte zudem, er sei 2001 in das Kuratorium des HAIT geholt worden. "Und mir hat dort niemand davon erzählt, dass es eine solche Stasi-Geschichte gibt bei einem so wichtigen Wissenschaftler", erklärt der Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen.

 

"Was ich den Papieren entnehmen konnte war, dass Michael Richter nicht genötigt oder gezwungen wurde, sondern er ist die Verbindungen mit der Stasi freiwillig eingegangen."

 

Michael Beleites, sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen

 

"Maximal mögliche Katastrophe für das Institut"

Die Enttarnung Richters sei die "maximal mögliche Katastrophe", die einem Institut passieren könne, dass sich mit der Aufarbeitung von Diktaturen beschäftigt, sagte Beleites. "Und wenn jetzt herauskommt, dass es einem Zusammenhang zur Stasi bei einem wichtigen Historiker des Institutes gab und dass man das wusste und nicht offengelegt, sondern versteckt hat, dann ist die Glaubwürdigkeit dieses Institutes aus meiner Sicht dahin." Auch hinter der wissenschaftlichen Arbeit Richters stünden nun "Fragezeichen", erklärte Beleites.