Rheinmünster (sie) - Für einen kurzen Augenblick scheint Günter Sick angesichts der massiven Anfeindungen, die ihm entgegenschlagen, nachdenklich zu werden. "Vielleicht wäre es an der Zeit, das ganze zu beenden", meint der Wirt des "Rössle", jenes Söllinger Gasthauses, das seit Monaten Neonazis als Treffpunkt dient. Rund 400 Demonstranten sind dort am Samstag aufgezogen, um ein Zeichen gegen Rassismus und menschenverachtende Ideologien zu setzen. Trotz Provokationen der Nazis bleibt es weitgehend friedlich.
Eine Viertelstunde vor Beginn der Kundgebung droht die Lage kurz zu eskalieren. Sick steht auf der Straße bei den Demonstranten. Er trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Deutscher" und filmt Anwesende mit einer Videokamera. "Hau ab", schallt es ihm entgegen. Doch bevor sich die Situation zuspitzt, führen ihn Polizisten weg von der Menge. Dort, am Rand der Demonstration, äußert Sick kurz diesen nachdenklichen Satz. Es scheint, als wachse ihm das alles über dem Kopf. Doch offenbar hält die Einsicht nicht lange. Den Rest der Kundgebung verfolgt der Wirt hinter den Vorhängen des "Rössle", die Videokamera immer im Anschlag. Ein breites Spektrum an Demonstranten hat sich vor seinem Gasthaus versammelt. Gewerkschafter, Politiker, Antifaschisten und Bürger aus Rheinmünster. Es ist bei weitem nicht jener befürchtete Krawallzug, vor dem einige im Vorfeld Angst schürten. Bürgermeister Pautler schätzt, dass 50 bis 80 Bürger seiner Gemeinde auf der Straße stehen - trotz eines offenbar gefälschten Flugblattes, das im Vorfeld in Söllingen verteilt wurde und in dem im Namen der Demonstranten mit Chaos und Zerstörung gedroht wurde.
Ein Sprecher der Antifa Karlsruhe sichert den Bürgern Unterstützung zu: "Wir müssen zusammenstehen mit den Bürgern von Rheinmünster." Das Nazizentrum sei nicht nur ein Problem von Söllingen. Als Keimzelle des Rechtsextremismus habe es Auswirkung auf die gesamte Region. "Wir halten nichts davon, Nazis zu ignorieren. Denn dann machen sie weiter", ruft er zum aktiven Widerstand auf.
Auch Barbara Becker von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) betont: "Dieses Nazizentrum ist kein Söllinger Problem. Es geht alle Demokraten an." Schweigen, ignorieren oder aussitzen nütze nichts. Die Nazis müssten merken, dass sie gegen eine breite Front stehen und Söllingen kein Rückzugsraum ist, in dem man landesweite Aktivitäten planen und locker feiern könne.
Aus Rheinmünster greift niemand zum Mikrofon. Das lokale "Aktionsbündnis gegen Neonazis" hatte auf Initiative von CDU und BfR im Vorfeld erklärt, die Aktion nicht zu unterstützen. Einzig die SPD steht hinter der Demonstration. Deren Vorsitzender Hubertus Stollmaier zeigt sich mit der Resonanz zufrieden. Es seien "ausgesprochen viele Bewohner der Region vor Ort", das freue ihn besonders. Die anwesenden Bürger aus Rheinmünster äußern teilweise ihr Unverständnis über die Zurückhaltung von CDU und BfR. "Dass sich die Verantwortlichen so rausziehen, kann nicht sein. Es ist wichtig, heute hier zu stehen", formuliert es ein Söllinger.
Plötzlich bricht Unruhe aus. Vier vermummte Neonazis tauchen auf dem Dach des "Rössle" auf. Sie entrollen ein Plakat und fotografieren die Demonstranten. Von unten fliegen Äpfel. Eine Antifa-Fahne landet auf dem Vordach. Ein Feuerzeug zerschellt an der Fassade des Hauses. Der Schlachtruf "Alerta Antifascista" schallt durch Söllingen. Die Demonstranten zeigen den Nazis den Mittelfinger. Diese werfen die Gegenstände vom Dach aus zurück in die Menge. Zwischenzeitlich plärrt lauter Rechts-Rock aus der Gaststätte, um die Kundgebung zu stören. Die Polizei beschwichtigt per Durchsage, greift ansonsten aber nicht ein. Einsatzleiter Karl-Heinz Ploß dankt am Ende den Demo-Organisatoren und Teilnehmern: "Sie haben kooperiert und waren diszipliniert." Auch Versammlungsleiter Elwis Capece von der Gewerkschaft Nahrung/Genuss/Gaststätten ist nach 90 Minuten zufrieden: "Es ist alles glatt gelaufen, mit den Provokationen muss man leben." Es seien doppelt so viele Teilnehmer wie erwartet erschienen. Das überregionale Aktionsbündnis "Kein Nazi-Zentrum in Söllingen" wolle die Bürger weiter unterstützen. "Wenn es gewünscht ist, kommen wir gerne wieder."