Der Kampf im Netz

Erstveröffentlicht: 
04.10.2010

Der Streit um die Deutungshoheit über das Bahnprojekt Stuttgart 21 ist auf dem besten Weg, ein Wettstreit um die beste Social Media Kampagne zu werden. Die Kommunikation der S21-Gegner läuft in Windeseile über die neuen Medien.

 

Stuttgart –  Es war beileibe kein spektakulärer Angriff, aber doch ein Nadelstich. Mit gelben, roten und orange Farbbeuteln bewarfen Unbekannte aus dem antifaschistischen Milieu die baden-württembergische Landesvertretung in Brüssel, und pinselten einen durchgestrichenen Schriftzug „S 21“ an die Wand. Als „Bekennerschreiben“ dienen auf der Website „Linksunten.indymedia.org“ Bilder und wenige Zeilen der „Autonomen Regenschirmträger_innen“: „Angesichts der untragbaren Repression der Baden-Württembergischen Regierung gegen Gegner_innen des Milliardenprojektes Stuttgart 21 haben wir in der Nacht auf den 2. Oktober die Landesvertretung in Brüssel angegriffen. Euer Polizeistaat kennt keine Grenzen. Unser Widerstand wird grenzenlos sein.“

Auf der Website mahnt einer Gegner, solche Einzelaktionen seien „wenig zielführend“, weil die „Einheit der Demonstranten gespalten“ werde. Ein „alter Freiburger“ erinnert an Wyhl: „Der erfolgreiche (!) Protest hat sich eben durch seine Gewaltlosigkeit ausgezeichnet und daraus seine moralische Überlegenheit und letztlich Wirksamkeit bezogen.“

 

Dass derart über angemessene Formen des Protests diskutiert wird, liegt auch daran, dass die Auseinandersetzung inzwischen eben auch im Internet stattfindet. Per Twitter, auf Facebook und in Blogs wird alarmiert, debattiert und informiert. Websites widmen sich dem „S 21-Kartell“ ebenso wie „bei-abriss-aufstand“. Über „campact.de“ sammelt ein Kampagnennetzwerk, das sich über Spenden finanziert und 2008 über einen Etat von 680.000 Euro verfügte, E-Mail-Unterschriften für den Rücktritt von Innenminister Heribert Rech sowie Ministerpräsident Stefan Mappus, für einen Baustopp, für einen Volksentscheid.

Auch die Initiative „Parkschützer“ bittet um Unterschriften zur Auflösung des Landtags. Auf der Website haben sich inzwischen 28.000 Kritiker eingetragen, etwa 6000 sind in einem SMS-Verteiler vertreten, also schnell für Protestaktionen abrufbar. Und weil viele S 21-Gegner die Berichterstattung als „gefühlt tendenziös“ begreifen, installieren sie im Netz Seiten wie „CamS21“, wo selbst gedrehte Filme eingestellt werden können.

Der Streit um die Deutungshoheit über das Bahnprojekt Stuttgart 21 ist auf dem besten Weg, ein Wettstreit um die beste „Social Media Kampagne“ zu werden. Die Kommunikation der S 21-Gegner läuft in Windeseile über die neuen Medien. Dort wird gebloggt und dagegen gebloggt, während Regierungschef Stefan Mappus den Printmedien Interviews gibt.

 

Der gemeinnützige Verein Campact verfolgt nach eigener Darstellung das Ziel, „demokratische Teilhaberechte auszubauen“. Er nennt sich „überparteilich und unabhängig“, ist aber in „wirksamen Bündnissen“ mit anderen Gruppen verwoben, die ebenfalls solche Ziele verfolgen, ob „Mehr Demokratie“, Attac, Umwelthilfe oder Nabu.

 

Im Netz sind die Gegner den Befürwortern trotz kleinerem Budget haushoch überlegen. Den Projektanhängern werfen sie vor, die gebärdeten sich „wie der Yeti“: „Man liest immer von ihnen – aber man sieht NIE einen.“ Das hat sich geändert. Noch vor Wochen warfen der CDU-Landesvorsitzende Stefan Mappus und sein Generalsekretär Thomas Strobl den S 21- Gegnern vor, die würden den Protest mit Hilfe von Werbeagenturen organisieren – weil ein PR-Profi seine Dienste unentgeltlich zur Verfügung stellt. Demgegenüber bedienen sich die Projektträger seit jeher etablierter Werbeprofis, die wohl nicht für kleines Geld zu haben sind.

Ein gewisser „John Nebel“ behauptet bei metronaut.de, viele „aus dem Boden gestampfte websites und facebook-Gruppen“ mit „auffälligen Vielkommentierern“ und einer „ganzen Armada von Twittern“ seien „Astroturfings“, also eine „gekaufte Bewegung“ der Projektlobby. Anders als der Protest der Gegner sei dies keine echte Graswurzelbewegung, sondern eben eine vorgetäuschte.

 

Auf der Suche nach dem nicht interessegeleiteten Beitrag meldet sich schließlich auch ein S 21-Befürworter zu Wort. Der fragt nicht zu Unrecht, ob die vorgetragenen Argumente bei den Gegnern auch nur eine Spur demokratischer, moralischer und ehrlicher seien. Oder ob sich am Ende auf beiden Seiten diejenigen in der Mehrzahl befänden, die nach dem Motto handelten: Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing.