"S21-"Gegner kämpfen für Auflösung des Landtags

Erstveröffentlicht: 
04.10.2010

Die Hürden sind immens hoch, trotzdem unternehmen die Gegner des Milliardenprojekts "Stuttgart 21" jetzt einen Anlauf: Per Volksbegehren wollen sie den Landtag vorzeitig auflösen lassen. Bahn-Chef Grube wurde inzwischen unter Polizeischutz gestellt.

 

Stuttgart - Zunächst war es nur Widerstand gegen den Bahnhofsumbau in Stuttgart, doch die politische Dimension der Proteste nimmt zu. Die Gegner von " Stuttgart 21" wollen ein Volksbegehren zur vorzeitigen Auflösung des baden-württembergischen Landtags beantragen - obwohl in dem Bundesland sowieso in gut fünf Monaten Wahlen anstehen. Die Kritiker begründen ihre Pläne mit der Eskalation bei der gewaltsamen Räumung des Stuttgarter Schlossgartens durch die Polizei bei den Protesten am vergangenen Donnerstag.

 

Nach diesen Vorfällen habe die schwarz-gelbe Landesregierung gezeigt, dass sie nicht das eigene Volk vertrete, sagte der Sprecher der Initiative "Parkschützer", Matthias von Hermann, am Montag. Am Abend ist wieder eine Demonstration geplant, dabei solle mit einer Unterschriftensammlung begonnen werden.

 

Hermann sagte, es seien zunächst 10.000 Unterschriften nötig, um einen Antrag auf die vorzeitige Auflösung des Landtags einzureichen. Laut Landesverfassung könne das Parlament die Auflösung mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschließen. Es könne aber auch ein Sechstel der Wahlberechtigten dies verlangen. Dem müsste innerhalb von sechs Wochen die Mehrheit der Wahlberechtigten zustimmen.

Laut Berechnungen der "Parkschützer" sind bei etwa 7,6 Millionen Wahlberechtigten rund 1,28 Millionen Unterschriften notwendig. In Baden-Württemberg steht am 27. März 2011 planmäßig die Landtagswahl an. In den jüngsten Umfragen hat die schwarz-gelbe Koalition keine Mehrheit mehr.

 

Politiker von Union und FDP machen verstärkt Front gegen die "Stuttgart 21"-Gegner. Der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster hatte den Aktivisten Panikmache vorgeworfen.

 

Angeblich Morddrohungen gegen Grube

Neben Demonstrationen und basisdemokratischen Aktionen greifen die Gegner von "Stuttgart 21" aber offenbar auch zu drastischen Methoden. Bahn-Chef Rüdiger Grube habe wegen des umstrittenen Projekts Morddrohungen erhalten, berichteten die "Stuttgarter Nachrichten". Der Manager stehe deshalb seit kurzem rund um die Uhr unter Polizeischutz. Sowohl die Polizei in Berlin als auch das Landeskriminalamt in Stuttgart seien eingeschaltet, die den Hauptsitz der Bahn in der Hauptstadt und Grubes Wohnhaus im Landkreis Calw bewachen, berichtete die Zeitung. Demnach wurden die Drohungen aus Unternehmenskreisen bestätigt, ein Sprecher Grubes machte jedoch keine näheren Angaben.

Nach Angaben der Zeitung wurden im Umfeld des Wohnhauses von Grube zuletzt Aufnahmen der Familie gemacht und ins Internet gestellt. Grubes Frau und seine beiden Kinder wurden daraufhin zeitweise an einen geheimen Ort gebracht. Einige der Drohbriefe an den Bahn-Chef enthielten den Angaben zufolge ein weißes Pulver, das an den Milzbranderreger erinnerte, sich aber als harmlos entpuppte.

 

Der Streit um "Stuttgart 21" war eskaliert, als am vergangenen Donnerstag nach Polizeiangaben mindestens 130 Menschen verletzt wurden, als Sicherheitskräfte mit Wasserwerfern und Pfefferspray gegen Demonstranten vorgingen. Eine weitere Demonstration am Freitag war friedlich verlaufen. Die Gegner von "Stuttgart 21" wollen mit ihren Aktionen einen Baustopp und eine Volksabstimmung über das Projekt erzwingen.

 

Die Proteste gegen das umstrittene Bahnprojekt beschränken sich aber nicht nur auf Stuttgart. Gegner von "Stuttgart 21" bekannten sich

 

zu einem Anschlag mit Farbbeuteln auf die baden-württembergische Landesvertretung in Brüssel. Die Regierung wies am Montag auf ein im Internet veröffentlichtes Bekennerschreiben hin, in dem es hieß, dass die Vertretung wegen der "untragbaren Repression" gegen "Stuttgart 21"-Gegner angegriffen worden sei. "Euer Polizeistaat kennt keine Grenzen. Unser Widerstand wird grenzenlos sein", schrieben die Aktivisten.

In der Nacht zu Samstag waren Farbbeutel auf die Landesvertretung in der belgischen Hauptstadt geworfen worden. Vor allem das Erdgeschoss und der Eingang waren in Mitleidenschaft gezogen worden. Einige Beutel seien auch gegen Fenster der zweiten Etage geworfen worden, teilte die Regierung in Stuttgart mit. Neben der Eingangstür hätten die Täter die durchgestrichene Aufschrift "S21" hinterlassen, das Kürzel für das umstrittene Bahnprojekt "Stuttgart 21", bei dem der Bahnhof der Landeshauptstadt für 4,1 Milliarden Euro in einen Durchgangsbahnhof umgebaut werden soll.

 

Die FDP hat im Streit um das Bahnhofsprojekt einen unabhängigen Vermittler gefordert. Das Präsidium habe sich einstimmig für einen moderierten Diskussionsprozess zwischen Befürwortern und Gegnern ausgesprochen, sagte Generalsekretär Christian Lindner. In den nächsten Tagen und Wochen müsse dafür eine unabhängige Persönlichkeit gefunden werden. Allerdings gehe es nicht darum, das Bahnhofsprojekt insgesamt in Frage zu stellen. Vielmehr solle so mehr Akzeptanz geschaffen und für die Vorteile des Projekts mit besseren Argumenten geworben werden.

mmq/Reuters/dapd