Die beiden Initiativen aus Bensheim und Darmstadt, deren Hausprojekte anfang Juni geräumt wurden, starten nun eine Kampagne gegen die Repression und für linke Freiräume. Die Neckar5 und Jukuz Maraldo Gruppen rufen gemeinsam zu ihrer Kampagne auf, vorerst stehen zwei Demos in Bensheim und Darmstadt an.
Um auf die Unterstützer_innenliste zu gelangen → Mail an juzmaraldo |ät| riseup |dot| net
Linke Freiräume erkämpfen und verteidigen!
Unsere Solidarität gegen eure Repression!
Die Selbstorganisation unserer Bedürfnisse
In den letzten Monaten gab es in Darmstadt und Bensheim zwei Hausbesetzungen. In Darmstadt wurde die Besetzung eines Hauses in der Neckarstraße 5 nach einer Nacht beendet, indem die Polizei das Grundstück belagerte. In Bensheim wurde der alte Bundeswehrstandort von Aktivist_innen besetzt, die auf dem Gelände ein selbstorganisiertes Jugend- und Kulturzentrum aufbauen wollten. Dieses Projekt wurde dadurch verhindert, dass die Polizei in das Gebäude eindrang und mit Kampfhunden und gezückten Teleskopschlagstöcken die Menschen, die bis dahin eine friedliche Besetzungsparty gefeiert hatten, dazu nötigte ihre Personalien aufzugeben und das Gelände zu verlassen. Anders, aber ebenfalls geräumt, wurde das Wohnprojekt Neckar5 in Darmstadt. Hier umzingelte die Polizei das Haus und riegelte es hermetisch ab, die Besetzer_innen wurden „ausgehungert“ und ihre Personalien aufgenommen.
In beiden Projekten ging es um die (Wieder-)aneignung von Frei- und Lebensräumen. Während es bei der Neckar5-Besetzung besonders um eine Kritik an kapitalistischen Eigentumsverhältnissen und um die Aneignung von Wohnraum ging, sollte das Jukuz Maraldo besonders ein unkommerzieller Raum sein, in dem sowohl ortsansässige Menschen Platz finden, als auch die vielen Menschen, die jeden Tag nach Bensheim pendeln. Beide Besetzungen sollten Raum schaffen für Kulturveranstaltungen, die sich anderswo nicht rentieren, und einen selbstorganisierten Treffpunkt ohne Konsumzwang schaffen.
Selbstorganisation von Freiräumen bedeutet für uns, dass diese nach den Bedürfnissen der Menschen gestaltet werden, die sie benutzen. Dabei wird nach einem Konsensprinzip entschieden, das heißt, dass jede_r, der/die nicht einverstanden ist, dies äußern kann und der jeweilige Plenumsentschluss noch einmal diskutiert wird. So wird niemand übergangen und zwangsläufig kommt es zu einem intensiven Reflektionsvorgang.
Ausgrenzungsmechanismen wie Rassismus, Sexismus, Homophobie und Antisemitismus werden nicht geduldet, denn so werden von vornherein bestimmte Menschen ausgeschlossen. Der Freiraum muss aber allen Menschen eine Chance geben sich zu beteiligen und ihnen ein positives Umfeld im grauen Alltag des Kapitalismus bieten. Die Struktur des Kapitalismus mit all ihren Unterdrückungsmechanismen kann hier zwar nicht aufgehoben werden, dennoch stellt ein Freiraum einen Ort für emanzipatorische Bewegungen, politische Arbeit und Reflektion dar. Eine komplette Dekonstruktion der Verhältnisse ist natürlich auch so nicht möglich, dennoch sind selbstverwaltete Häuser wichtig, um uns gegen den kapitalistischen Alltag zu organisieren.
Der Staat und die Krise
Gerade in Krisenzeiten werden die Rufe derer lauter, die mit Hilfe des Staats und seiner Apparate die Probleme der Bevölkerung lösen wollen. Doch der Staat im Kapitalismus muss sich vorrangig nach ökonomischen Interessen richten und eben nicht nach denen der Menschen. Und so entspricht es vielmehr der Logik des Staats durch Konjunkturprogramme und Sparpakete die Krise auf diejenigen zu verschieben, die sich am wenigsten wehren können. Der DGB und andere gesellschaftliche Gruppen bleiben in ihren Apellen an den Staat so auch immer der Logik des Kapitalismus von Gewinnmaximierung und Konkurrenz verhaftet und können so auch keine wirkliche Verbesserung erreichen.
Es ist von bedeutender Wichtigkeit für soziale Kämpfe, dies in ihre Reflektion mit einfließen zu lassen. Der Fokus der Radikalen Linken muss sich daher auf das Einbringen von eigenen Inhalten und Akzenten richten. Eine Kritik also, die den kapitalistischen Alltag mit seinen Alltagsproblemen nicht ausblendet, aber sich ebenso für die Abschaffungen von Staat, Nation und Kapital einsetzt.
Das allseits vorherrschende Gefühl der Ohnmacht wollen wir aufbrechen und mit den beiden Besetzungen in Benshein und Darmstadt zeigen, dass wir nicht gewillt sind im Spiel der bürgerlichen Demokratie mitzuspielen. Wir eignen uns leerstehende Häuser an, um diese mit Leben und Inhalten zu füllen, die ansonsten marginalisiert werden. Selbstorganisierter Wohn- und Kulturraum soll ein Beispiel dafür sein, dass Alternativen zu unserer kapitalistischen Gesellschaft aufgebaut werden können.
That’s the sound of the police
Bei diesem Unterfangen stoßen wir jedoch auf staatliche Gegenwehr, da wir nicht den Regeln des jetzigen gesellschaftlichen Zusammenlebens Folge leisten. Zum Beispiel ist eine Besetzung illegal, denn der Begriff impliziert einen Aneignungsprozess fremden Eigentums. Was jedoch erlaubt, was nicht erlaubt ist, wird an anderer Stelle diskutiert und entschieden.
Um eine radikale Gesellschaftskritik zu illegalisieren bzw. zu delegitimieren wurde der Begriff des „Extremismus“ konstruiert. Wer oder was „extremistisch“ ist, entscheidet die jeweilige Regierung, bzw. der politische Mainstream und die Medienindustrie.
Beispielsweise wird es oft als „extremistisch“ angesehen, wenn Menschen versuchen sich unabhängig vom Leistungs- und Konkurrenzzwang zu organisieren. Die Schaffung von Freiräumen bedeutet eine Alternative zu dem Bestehenden aufzubauen. Der Staat, als Instrument zur Aufrechterhaltung der Besitz-, Produktions- und Konsumverhältnisse, muss gegen solche Tendenzen arbeiten, um seine Hegemonie zu erhalten. Daher werden unsere Häuser geräumt und wir mit Strafverfahren überzogen.
Gerade für Betroffene sind solche Verfahren zermürbend, deswegen ist solidarisches Handeln unerlässlich. Nur wenn wir der Repression entschlossen entgegentreten und dadurch unserem Bedürfnis nach Selbstverwalung und unkommerziellen Frei- und Lebensräumen Nachdruck verleihen, haben wir Aussicht auf eine Bewegung, die in der Lage ist reellen Druck aufzubauen.
Standort, Standort über alles…
In einer kapitalistisch verfassten Gesellschaft konkurrieren auch die Standorte, um die Firmen, die sich niederlassen. Ein konkurrenzfähiger Standort ist demnach ein Ort, der für Unternehmen attraktiv ist. Jede Stadt- bzw. Ortsregierung muss sich also marktförmig bewegen, um möglichst rentabel zu funktionieren. Manche Städte versuchen über verbilligte Büro- und Gewerbeflächen attraktiv für bestimmte Firmen zu sein, andere versuchen durch eine möglichst gute Infrastruktur Erfolge zu erzielen, wieder andere senken die Steuern oder stecken ihr Geld in Prestigeprojekte wie z.B. das Darmstadtium.
Diese Aktionen zielen darauf ab, sich gegenüber anderen Städte im Konkurrenzkampf zu behaupten. Die Bedürfnisse der Menschen bleiben meist auf der Strecke. In Darmstadt äußert sich dies in einem „Wohnungsmarkt“, in dem für eine gut situierte Bürgerschaft noch Wohnraum zu erwerben ist, der meist mit dem Etikett „alternativ“ versehen, viele Interessenten anlockt. Stattdessen ist es Menschen mit geringem Einkommen nicht möglich ihren Wohnort frei zu wählen. Sie werden durch den „sozialen“ Wohnungsbau an den Stadtrand gedrängt. Daraus folgt eine Exklusion bestimmter sozialer Klassen und Bevölkerungschichten, die aus bestimmten Stadtteilen ausgeschlossen und verdrängt werden. Dahinter steckt die Absicht, durch gezieltes Anlocken von einkommensstarken Menschen die Wirtschaft des Standorts Darmstadt anzukurbeln. Dies hat steigende Mieten bzw. Sanierungen von alten Sozialwohnungen zur Folge, und führt dazu, dass sich die meisten Menschen mit „schwachem“ Einkommen diese Wohnungen immer weniger leisten können.
Es ist in der kapitalistischen Logik nötig Wohnraum, wie andere Ressourcen, knapp zu halten, damit Konkurrenz und Wettbewerb entstehen können. Wir wollen diese Logik nicht hinnehmen, denn der Versuch (mehr kann es nicht und niemals sein, da jede Veränderung innerhalb dieser Gesellschaft immer durch diese bedingt bleiben muss) ein Zusammenleben jenseits kapitalistischer Zurichtung zu führen, erscheint lohnenswert – sind doch dies die Verhältnisse und Beziehungen, die uns erniedrigen und unmündig machen.
Dagegen wollen wir setzen: Verbindlichkeit, Solidarität und Freundschaft – zusammengefasst ein Leben in Verhältnissen, die Verantwortlichkeit und Kritik fördern und zeigen, wie ein Zusammenleben auf Grundlage der tatsächlichen Bedürfnisse möglich wäre.
Und ein ganz grundliegendes Bedürfnis ist jenes nach Wohnplatz, das sich nicht in „einem Dach über dem Kopf“ erschöpft, sondern in der hergestellten Sozialität eben nur gesellschaftlich begriffen werden kann. Also „besetzten“ wir tatsächlich Raum, indem wir versuchen, ihn diesem Umgang zu entziehen und einen anderen zu befördern, was für uns bedeutet: der Raum steht der Profitmaximierung nun im Weg und nicht weiter zur Verfügung.
Bensheim ist eine eher kleine Stadt, die aber wegen der vielen Schulen und Ausbildungsbetriebe eine Anlaufstelle für viele Jugendliche ist. Der örtliche Einzelhandel blüht aufgrund dieser Gegebenheiten, doch die Stadt entzieht sich der Verantwortung, auch für nichtkommerzielle Räume zu sorgen, da diese nicht gewinnorientiert wirtschaften und somit der Stadt keine Steuereinahmen versprechen. Dabei macht ein Jukuz sogar aus kommerzieller Sicht Sinn, da es Jugendliche an den Standort Bensheim binden würde, die dann vielleicht nach Schule oder Ausbildung nicht in die Ballungsräume Darmstadt und Frankfurt ziehen.
Stattdessen argumentieren die städtischen Verantwortlichen damit, dass viele Jugendliche, die sich für ein Jukuz einsetzen, nicht aus Bensheim direkt, sondern aus den umliegenden Dörfern und Kleinstädten stammen und deswegen keinen Anspruch auf ein Jugend- und Kulturzentrum, oder eine Diskussion darüber hätten. Dass Bensheim für die meisten Jugendlichen an der Bergstraße Lebensmittelpunkt und zentrale Anlaufstelle darstellt, wird in ihrer Argumentation nicht berücksichtigt und zeigt nur einmal mehr, wie weit entfernt die Jugendpolitik der Stadt von der realen Situation der Jugendlichen ist.
Deshalb werden wir unseren Forderungen nach selbstorganisierten Freiräumen erneut Nachdruck verleihen und rufen dazu auf, sich an der Demonstration am 18.09.2010 in Bensheim und an der Demonstration am 16.10 in Darmstadt zu beteiligen, um deutlich zu machen, was wir von der Stadt und ihrer Politik halten. Für mehr selbstorganisierte Freiräume in Bensheim, Darmstadt und überall!
Demo in Bensheim
18.09, 14:00 Uhr Bensheim Bahnhof
→ juzmaraldo.blogsport.de
Demo in Darmstadt
16.10, 17:00 Uhr Darmstadt Hauptbahnhof
→ neckar5.blogsport.de