Der Präsident der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin Gerry Adams bewertet in seinem Artikel die Waffenruhe von ETA und gibt Einsicht in die Diskussionen im Hintergrund, die zu dieser Entscheidung geführt haben. Die baskische Organisation zieht Lehren aus der irischen Erfahrung und verpflichtet sich auf einen demokratischen Prozess. Spanien muss das anerkennen.
"Die Erklärung einer Waffenruhe durch ETA am Sonntag war der Höhepunkt jahrelanger Diskussionen und Strategiedebatten baskischer Aktivisten. Diese Erklärung ist eine bedeutende Entwicklung und ein ehrlicher Versuch, zur Konfliktlösung beizutragen. Ich bin der Überzeugung, dass diese Entwicklung das Potenzial hat, den Konflikt mit dem spanischen Staat endgültig zu beenden.
Am Dialog beteiligt waren auch führende Repräsentanten von Sinn Féin, mich eingeschlossen. Manchmal fanden die Diskussionen im Baskenland statt und manchmal in Belfast. Im Verlauf der letzten Jahre reisten Repräsentanten von Sinn Féin auch einige Male nach Genf, um dort Vertreter der Basken zu treffen. Viele Basken sehen den irischen Prozess als Inspiration und viel vom dem, was im letzten Jahrzehnt versucht wurde, hat unsere Erfahrung als Vorbild.
Nach der Erfahrung des Waffenstillstands von 2006 – der nach nur 9 Monaten unter gegenseitiger Schuldzuweisung zu Ende ging – gibt es auf der baskischen wie auf der spanischen Seite diejenigen, die skeptisch und vorsichtig sind. Aber Vorsicht sollte nicht dazu führen, Vorbedingungen für einen Dialog zu fordern. Man darf der Vorsicht nicht erlauben, Entwicklung zu blockieren.
Im irischen Prozess haben wir erlebt, wie das Spiel Scrabble rund um die Verwendung und die Interpretation bestimmter Worte gespielt wurde. Einige wurden zu Vorbedingungen, die dann benutzt wurden, um Fortschritte zu verzögern.
Um erfolgreich und glaubwürdig zu sein, muss ein Prozess zwischen dem baskischen Volk und dem spanischen Staat demokratische Mandate respektieren. Die Wählerinnen und Wähler haben das Recht, die Partei zu bestimmen, von der sie sich vertreten lassen wollen. Diese Entscheidung muss die spanische Regierung akzeptieren und respektieren.
Ende des letzten und Anfang dieses Jahres fand ein beeindruckender interner Prozess zur Strategiebestimmung zwischen baskischen Parteien, Gewerkschaften und politischen Aktivisten statt. Tausende Aktivistinnen und Aktivisten waren beteiligt. Das Ziel der Diskussion war es, sich gemeinsam auf einen neuen politischen Ansatz zu einigen.
Im Februar gab eine Konferenz der abertzalen Linken, der auch die verbotene baskische Partei Batasuna angehört, einen breit gefächerten neuen Ansatz bekannt. Auch dieser Ansatz ist stark durch die irische Erfahrung beeinflusst.
Die neue Strategie verpflichtet die baskischen Parteien auf „ausschließlich politische und demokratische Methoden“ und will politische Veränderung „in vollständiger Abwesenheit von Gewalt und ohne Beeinflussung … in Übereinstimmung mit den Mitchell Prinzipien“ erreichen. Diese Strategieaussage wurde in der Erklärung von ETA vom vergangenen Wochenende wiederholt.
In ihrer Videobotschaft bekräftigt ETA ihr “Eintreten für eine demokratische Lösung, durch die – mittels Dialog und Verhandlung – wir baskischen Bürgerinnen und Bürger unsere Zukunft frei und demokratisch entscheiden können. Wenn die spanische Regierung den Willen hierzu hat, ist ETA bereit, heute so wie schon gestern, die nötigen demokratischen Elemente abzustimmen, um einen demokratischen Prozess einzuleiten.
Wir haben dies auch der internationalen Gemeinschaft bekannt gemacht. An sie appellieren wir, mit historischer Verantwortung auf den Willen und den Entschluss von ETA zu reagieren, sich an der Ausarbeitung einer dauerhaften, gerechten und demokratischen Lösung dieses alten, politischen Konfliktes zu beteiligen.“
Es ist von Bedeutung, dass die abertzale Linke in ihrer Antwort auf die Erklärung der ETA diese Initiative als “unilaterale, bedingungslose und zeitlich unbegrenzte Einstellung militärischer Operationen” charakterisiert. Sie spricht auch davon, dass sie sich bewusst ist, dass sie weitere Initiativen entwickeln muss und „Verpflichtungen und Kompromisse“ eingehen muss, um Fortschritte zu erzielen.
Die Stellungnahme der abertzalen Linken impliziert, dass die baskischen Parteien die Notwendigkeit verstehen, auf diese Entwicklung aufzubauen. Auch die spanische Regierung hat eine große Verantwortung, diese Chance für Frieden und Fortschritt zu ergreifen. Sie muss weitsichtig sein, strategisch denken und diejenigen Stimmen ignorieren, die eine Lösung auf Basis von Sieg und Niederlage suchen.
Auch die internationale Gemeinschaft hat eine wichtige Rolle, so wie sie sie auch im irischen Friedensprozess wahrgenommen hat und derzeit in den Verhandlungen im Nahen Osten, die letzte Woche begonnen haben.
Es liegen Gefahren vor uns. Kein Konfliktlösungsprozess ist risikofrei für die Beteiligten. Aber der Wert des Erfolgs übertrifft um ein Vielfaches die Gefahren des Scheiterns."
Abertzale Linke: die Bedeutung des Begriffs „abertzale“ in „abertzale Linke” ist eng verknüpft mit der speziellen Ausprägung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung als progressive und internationalistische Bewegung. Als solche umfasst sie ein breites Spektrum von Organisationen, wie zum Beispiel politische Parteien, Gewerkschaften und kulturelle Organisationen, sowie bedeutende Teile der Frauen- , Umwelt- und Internationalismusbewegungen, die das gemeinsame Ziel der Befreiung des Baskenlandes haben. So wie Republikanismus eine besondere Bedeutung im irischen Kontext besitzt, kann der Begriff „abertzale“ nicht nur einfach als Unabhängigkeitsbewegung übersetzt werden, ohne seine progressive Bedeutung zu betonen.
Original (in englischer Sprache): Gerry Adams: "Eta's ceasefire is a political shift", Guardian, 6. September 2010
Zentrales Dokument der Initiative der abertzalen Linken, Februar 2010, in deutscher Übersetzung:
„Zutik Euskal Herria – Steh auf, Baskenland“
Erklärung von ETA, September 2010, in deutscher Übersetzung:
ETA erklärt unilateral Waffenruhe