Quelle:
Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten
Erstveröffentlicht:
03.09.2010
Aus ihrer politischen Grundeinstellung macht die Initiative für ein Soziales Zentrum keinen Hehl, ebenso wenig aus ihrem Standpunkt gegenüber dem Bauprojekt Stuttgart 21. Die Banner, die an der Hauswand des Gebäudes in der Böblinger Straße 105 hängen, sprechen für sich. Bäume und Bahnhof sollen gefälligst oben bleiben. Wenn man etwas zu begraben habe, dann den Kapitalismus. An der Stätte, in der bis 2008 mehr als 25 Jahre lang das Mundarttheater Stuttgarter Komödle residierte, entsteht das Linke Zentrum Lilo Herrmann, benannt nach einer kommunistischen Widerstandskämpferin aus der NS-Zeit. Während in der Bevölkerung vereinzelt Misstrauen gegenüber den neuen Nachbarn laut wird, wollen die Initiatoren einen lebendigen Austausch. „Wir sind offen für Diskussionen und Kritik", sagt Paul von Pokrzywnicki.
Der 19-Jährige ist einer der treibenden Kräfte hinter dem Projekt. Von Pokrzywnicki hat eigens sein Abitur um ein Jahr verschoben, um sich der Realisierung zu widmen. Er ist Teil der Baukoordination, kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit und die Finanzierung. 810 000 Euro wurden in den Kauf und die Sanierung des mehr als 800 Quadratmeter großen Hauses samt Anbau investiert. Kolportierte Abrisspläne waren damit vom Tisch. Als Geburtshelfer fungierte das Freiburger Mietshäuser-Syndikat, ein Zusammenschluss selbstorganisierter Hausprojekte. Doch die Initiative hat auf der Suche nach Finanzspritzen insgesamt große Tatkraft bewiesen. Das Ziel, 200 000 Euro an Direktkrediten zu sammeln, wurde erreicht. Die Spendebereitschaft von Unterstützern ist groß. Bedarf besteht jedoch nach wie vor. Unter dem Motto „200x5" werden 200 Menschen gesucht, die monatlich mindestens fünf Euro zu spenden bereit sind.
Das Haus ist momentan noch „eine Dauerbaustelle", wie von Pokrzywnicki sagt. Ein neues Energiekonzept habe den Zeitplan durcheinander gewirbelt. Im Dezember soll die Sanierung jedoch abgeschlossen sein. Das werde zwar eng. „Aber wir sind zuversichtlich." Das Gros der Arbeiten haben die Initiatoren selbst in die Hand genommen, für Dach-, Elektro- und Sanitärarbeiten wurden Fachkräfte engagiert.
Nach der Fertigstellung werden zwei Aspekte das Projekt prägen: eine politische und eine kulturelle. Von der Drei-Zimmer- und der Vier-Zimmer-Wohngemeinschaft sowie den Büroräumen in den Obergeschossen profitieren linke und antifaschistische Gruppen und deren Mitglieder. Das Subversive Zentrum, bislang in der Burgstallstraße räumlich stark eingeengt, zieht in die Böblinger Straße. Von einer „politischen Struktur, die der Stuttgarter Linken lange gefehlt hat", ist die Rede. Aber es gehe nicht allein um Gesellschafts- und Systemkritik, nicht nur um politische Aktivitäten, betont Paul von Pokrzywnicki. Im Erdgeschoss entsteht ein Café, im Saal wird es zum Beispiel Vorträge geben, in zwei Gewölbekellern Partys. Vor allem ein jüngeres Publikum dürfte sich davon angesprochen fühlen. Aber auch an ältere Mitbürger, mit denen es bereits vielfach Kontakt gegeben habe, ist der Umbau ein Signal. „Im alten Rebstöckle geht es weiter", sagt von Pokrzywnicki. „Das freut viele."
Informationen Alles Weitere zum Projekt unter www.isz-stuttgart.de ; für den 9. Oktober ist von 14 Uhr an ein Tag der offenen Tür geplant.