Einbrecher aus SV frei – Ralf Schüler entlassen

Knast

Schon öfter hatte ich über das Schicksal des in Sicherungsverwahrung sitzenden Ralf Schüler berichtet. Er wurde 1994 verurteilt für einige Fälle von Einbruchdiebstahls; ein Gesamtschaden von circa 20 000 Euro. Dafür bekam er neben der Haftstrafe auch Sicherungsverwahrung; in dieser saß er nun fast 12 Jahre.

Ich kann von „saß“ sprechen, denn am Freitag, 20.08.2010 wurde er gegen 13.00 Uhr aus der JVA Bruchsal freigelassen. Seinem Pflichtverteidiger hatte er das nicht zu verdanken, sondern seiner Hartnäckigkeit und einem entscheidungsfreudigen 2. Strafsenat des OLG Karlsruhe. Schon vor einigen Wochen entschied das Landgericht, er müsse freigelassen werden. Denn er gehört zu jenen „Altfällen“, von denen zur Zeit in den Medien soviel die Rede ist; dies bestätigte nun das Oberlandesgericht.

Altfälle!?

Bis 1998 durfte die erstmalige Unterbringung in der SV maximal 10 Jahre dauern. Ohne wirklichen Anlass wurde diese Obergrenze 1998 von der CDU/ FDP-Koalition gestrichen; aber nicht nur für künftige Taten, sondern auch für alle schon in Haft sitzenden Menschen. So fand sich Ralf plötzlich mit einer lebenslang vollstreckbaren SV in Haft, obwohl zum Zeitpunkt seiner Verurteilung diese maximal 10 Jahre hätte dauern dürfen. Der EGMR (Europäische Gerichtshof für Menschenrechte) urteilte im Dezember 2009, dass durch diese Rückwirkung die Bundesrepublik Deutschland die Menschenrechtskonvention verletzt habe. Dem schloss sich das Landgericht Karlsruhe im Falle Schülers an; das Urteil gelte auch für ihn (was im Vorverfahren die Staatsanwaltschaft noch in Abrede stellte). Die SV stellt faktisch eine Strafe dar und Strafen dürfen nicht rückwirkend verlängert werden.

Mediale Hetzkampagne

Es vergeht kaum ein Tag seit Mai 2010 (dort wurde das Urteil des EGMR rechtskräftig), an welchem nicht RTL, SAT 1 oder BILD davon hetzten, dass nun dutzende, ach wenn nicht gar 100 oder mehr brutale „Sex-Verbrecher“ durch Deutschland laufen werden, um wehrlose Kinder und Frauen zu vergewaltigen und zu töten. FOCUS titelte gar am 16.08.2010: „Ist unser Staat zu feige? Der Skandal um die Freilassung von 100 Sex-Verbrechern“.

Zum einen geht es eben gerade nicht nur um Verwahrte, die wegen eines Sexualdelikts verurteilt wurden, sondern auch, wie der Fall von Ralf Schüler belegt, um andere Tätergruppen. Wie Einbrecher, wie Diebe, wie Räuber, wie Drogenverkäufer; und gewiss sind auch die anderen Verwahrten nicht, wie FOCUS unter Berufung auf einen baden-württembergischen Staatsanwalt suggeriert „Die Gefährlichsten der Gefährlichen“. Diejenigen, die Geld haben, können sich gute Anwälte und teure Privatgutachter leisten. Deshalb findet man in der SV so gut wie nie Angehörige der oberen Mittelschicht oder gar der Oberschicht. Unbestritten gibt es abscheuliche Sexualtaten, aber ein bloßes Wegsperren hilft nicht, zumal von den nun aus der Haft zu entlassenden Sicherungsverwahrten weniger Gefahr ausgehen dürfte als von vielen Vätern, Onkeln, Cousins. Denn es ist auch eine Tatsache, dass Sexualdelikte in der übergroßen Mehrzahl von männlichen Angehörigen oder Bekannten im Familienkreis begangen werden.

Skandal im Skandal

War es schon ein Skandal, Ralf Schüler fast 12 Jahre in SV zu halten, so stellen die Umstände der Freilassung gleichfalls kein Ruhmesblatt dar. Vor 5 Jahren, 2005, wollte er nur noch raus, frei sein, sah aber keine Perspektive in der JVA Freiburg. So bastelte er einen Nachschlüssel, um so auf das Außengelände zu gelangen und von dort die Mauer übersteigen zu können.
Jedoch wurde er entdeckt und von Freiburg nach Bruchsal verlegt – nun galt er als „fluchtgefährlich“ (so heißt das tatsächlich). Die nächsten 5 Jahre (!) verbrachte er wegen dieses Vorfalls in Absonderung.
Absonderung heißt auch Isolation: seine Zelle war stets verschlossen, nur durch den nicht akustisch völlig dicht schließenden Türspalt konnte man mit ihm reden; werktags konnte er 5 Stunden mit vier bis fünf anderen „gefährlichen“ Mitgefangenen in einem Minibetrieb Teppichmuster in Kataloge kleben und nachmittags mit ihnen für 60 Minuten an die frische Luft, bevor er wieder weggeschlossen wurde.
So ging das ½ Jahr, 1 Jahr, 2 Jahre, 3 Jahre, 4 Jahre, 5 Jahre!

Bis zum Tag der Freilassung! Er wurde durch nichts auf die Freilassung vorbereitet, selbst einen Personalausweis konnte er sich nicht beschaffen. Zwar versprach vor Wochen, als sich eine mögliche Entlassung abzeichnete, ein Wärter, er werde sich um die Formulare für die Beantragung kümmern, ward dann aber nicht mehr gesehen. Internet? Kennt er nur aus einem Buch, das er sich auf eigene Kosten beschaffen musste. Euro? Kennt er gar nicht. Handy? Was ist das?
Wie in eine Zeitkapsel wurde Ralf Schüler 1993 in den Strafvollzug gesteckt – und nun von einer Minute auf die nächste wieder ausgespuckt.

Wie geht es weiter mit Ralf Schüler?

Freitag, 20. August stand er dann erstmal etwas verloren auf der Straße. Da war niemand, der sich auf ihn freute oder auf den er sich freute. Er bekam sein Entlassungsgeld (für das er viele Jahre gearbeitet hat) in die Hand gedrückt und wird sich übers Wochenende erstmal in einer billigen Pension in Karlsruhe einmieten. Dann warten viele Ämtergänge auf ihn und ein Neubeginn in Freiheit. Nach 17 Jahren Haft.

Thomas Meyer-Falk
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