BZ: Nato-Gipfel - Ein Freiburger berät die Demonstranten in Rechtsfragen

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Erstveröffentlicht: 
01.04.2009

Bei Protesten rund um den Nato-Gipfel stehen die Legal Teams den Demonstranten in rechtlichen Fragen bei. Zu ihnen gehört auch der Freiburger Rechtsanwalt Jens Janssen. Er rechnet mit massiven Eingriffen in Verfassungsrechte.

 

Janssen ist einer von mehr als 30 Anwälten aus ganz Deutschland, die rund um den Nato-Gipfel Demonstranten betreuen, die in Gewahrsam genommen oder gegen die Strafverfahren eingeleitet werden. Eine gleich große Anzahl von Anwälten betreut die Gipfelgegner auf französischer Seite. Über den Anwaltlichen Notdienst (AND) sprach Frank Zimmermann mit dem 52-jährigen Strafverteidiger Jens Janssen.



BZ: Herr Janssen, was machen Sie als Mitglied eines Legal Teams? Was muss man sich darunter vorstellen?

 

Jens Janssen: Wir achten darauf, dass bestimmte verfassungs- und strafrechtliche Standards eingehalten werden. Unterstützt werden wir dabei von der Baden-Württembergischen Strafverteidigervereinigung und vom Republikanischen Anwaltsverein (RAV).

BZ: Wie arbeiten Sie konkret vor Ort?

 

Janssen: Wir werden wie die Polizei eine Einsatzzentrale in Offenburg und Teams vor Ort haben. Beispielsweise in den Gefangenensammelstellen, in denen die Polizei die Leute vorbeugend festhält, da geht es dann um Grundfragen der Freiheitsentziehungen. Andererseits geht es um repressive Maßnahmen, bei denen die Polizei Haftbefehlanträge anregt, die dann von den Staatsanwaltschaften und Gerichten zu bearbeiten sind.

BZ: Mit was für Fällen rechnen Sie?

 

Janssen: Es ist damit zu rechnen, dass massive Eingriffe in Verfassungsrechte stattfinden werden – ins Versammlungsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Es wird eine flächendeckende Videoüberwachung geben. Und in die Meinungsfreiheit wird bei derartigen Großereignissen auch eingegriffen. Da ist es unsere Aufgabe, Rechtspositionen durchzusetzen. Das Landgericht Offenburg rechnet mit bis zu 1000 Ingewahrsamnahmen. Zu überprüfen, ob diese zu Recht oder zu Unrecht erfolgt sind, das ist unsere Aufgabe.


BZ: Wird es wie bei Winnenden zur Abschreckung auch Schnellverfahren geben?

 

Janssen: Beschleunigte Verfahren gehören auch zum Spektrum der Möglichkeiten von Staatsanwaltschaft und Gericht, sie werden in der Praxis innerhalb weniger Tage abgewickelt. Voraussetzung ist immer ein einfacher Sachverhalt oder eine klare Beweislage – und da sind die Gerichte bei der Bewertung doch eher zurückhaltend. Sollte es diese Verfahrensart geben, müssen wir natürlich dabei sein. Aber was letztendlich passiert, wissen wir nicht – wir kennen im Moment nur die Zahl der anreisenden Polizisten, das sind jetzt bald 16 000.

BZ: Haben Sie das Gefühl, dass die Justiz besonderen Vorgaben zu folgen hat?

 

Janssen: Das Bild, das die Justiz uns bietet, ist außerordentlich uneinheitlich. Wir haben es auf der einen Seite mit Staatsanwaltschaften zu tun – ein Beispiel ist die Staatsanwaltschaft Baden-Baden –, die gar nicht mit uns Anwälten reden. Auf der anderen Seite gibt es Richter, die sich gemeinsam mit uns Anwälten fortbilden wollen und die ein hohes Interesse daran haben, die Dinge zu klären, weil da teilweise rechtliches Neuland betreten wird. Das können Rechtssituationen sein, mit denen auch ein Richter üblicherweise nichts zu tun hat. Wir spüren auch bei der Richterschaft eine gewisse Sensibilität, sich nicht über den Tisch ziehen lassen zu wollen. Will heißen: Es gibt sehr viele nachdenkliche Richter, die sich nicht vom Staat vor den Karren spannen lassen und nicht Gewehr bei Fuß stehen wollen. Die Justiz ist letztendlich ein Spiegelbild der Gesellschaft: Es gibt eine Reihe von sehr kritischen Richtern und Staatsanwälten, und es gibt klassische Hardliner, die Freiheitsentziehungen um jeden Preis anstreben. Dem werden wir dann gewachsen sein.

BZ: Was ist Ihr Eindruck von der Polizei?

 

Janssen: Unsere Kontaktaufnahme mit der Polizei gestaltet sich zweiseitig: Auf der einen Seite hatten wir ein Informationsgespräch im Innenministerium, in dem uns zugesichert wurde, dass Demonstranten nicht in Käfigen gehalten werden. Diese Erfahrungen hat man in Heiligendamm gemacht – die Polizei hat uns zugesichert, menschenrechtliche Standards zu achten. Die andere Frage ist, wie es sich dann vor Ort darstellt. Da halte ich es für in hohem Maße problematisch, wenn Landespolizeipräsident Erwin Hetger verlauten lässt, dass man Demonstranten "verarbeiten" würde. Das ist eine Sprache, die mich schaudern lässt. Es handelt sich schließlich um Menschen, für die zunächst einmal die Unschuldsvermutung gilt.

BZ: Sind das immensen Sicherheitsvorkehrungen gerechtfertigt?

 

Janssen: Das ist zunächst einmal eine politische Entscheidung, bei der die Polizei ein Stück weit instrumentalisiert wird. Ob ein Nato-Gipfel mit Sicherheitszonen erforderlich ist, bei denen die Menschen verbittert darüber sind, dass ganze Regionen lahm gelegt werden – da wage ich zu bezweifeln, dass das eine intelligente Entscheidung ist.

BZ: Was ist Ihre persönliche Motivation, sich zu engagieren?

 

Janssen: Meine Kollegen und ich, wir fühlen uns den Menschenrechten verpflichtet. Es gibt eine positive Tendenz der Anwälte hin zum kritischen Überprüfen, Einschreiten und Übernehmen gesellschaftlicher Verantwortung, wenn rote Linien überschritten werden, man denke an die Strafanzeige gegen Hans Peter Friedl. Den Menschen juristisch zu helfen und dem Staat auf die Finger zu schauen, das ist ja die klassische Funktion, die ein Anwalt wahrnehmen muss.

Info
Der Anwaltliche Notdienst (AND) für den Nato-Gipfel ist erreichbar unter Tel. 0761/40 97 251. Entstanden ist er aus den Erfahrungen der Arbeit des AND anlässlich des G-8-Gipfels in Heiligendamm und Rostock. Die Bilanz der Demo vom Montagabend fällt für Jens Janssen kritisch aus, auch wenn es nicht zu nennenswerten Vorkommnissen kam: "Wir sind Zeuge eines Einsatzes geworden, der das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit ad absurdum führt, die Demonstration wurde von der Polizei weitgehend durch ein Spalier von der Bevölkerung abgeschottet. Die Strategie der Einsatzleitung erweckt den Eindruck, von der Panikmache durch die Boulevardpresse getrieben zu sein."