Umstrittene EU-Gesetzesnovelle: Gen-Anbau ganz leicht gemacht

Anti-Gentechnik-Label: Umstrittene Gesetzesnovelle
Erstveröffentlicht: 
01.07.2010

Von Daniela Schröder

Die EU-Kommission drückt aufs Tempo. Ein neues Gesetz soll den Anbau von Gen-Pflanzen in Europa drastisch beschleunigen. Die Industrie jubelt, Kritiker warnen vor unkontrollierter Verbreitung von genetisch manipuliertem Saatgut. Das Vorhaben kollidiert außerdem mit den Regeln der WTO.

Amflora war nur der Anfang. Schon bald könnte die umstrittene Gen-Kartoffel, deren Anbau die EU im März genehmigte, Gesellschaft bekommen. Ob weitere Knollensorten, ob Mais oder Tomaten - künftig dürfte mehr genetisch manipuliertes Gemüse und Getreide auf den Tellern der Verbraucher landen. Die Europäische Kommission drückt aufs Tempo: Mit neuen Regeln will die oberste EU-Behörde den Zulassungsprozess für den Anbau von Gen-Gewächsen beschleunigen.

Schon Mitte Juli will der zuständige EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz den Vorschlag offiziell machen. Noch feilen Experten an den Details des neuen Plans, doch nach allem, was bisher bekannt geworden ist, steht das Ziel der Initiative fest: Jahrelange Diskussionen der Mitgliedstaaten sollen ein Ende haben, Biotech-Firmen sollen ihre Produkte schneller auf den Markt bringen können.

Die Kommission plant eine Art Tauschgeschäft. Einzelne EU-Mitgliedstaaten sollen den Anbau von Gen-Pflanzen auf ihrem Gebiet ab sofort verbieten können. Ihre Entscheidung sollen sie nicht mehr wissenschaftlich begründen müssen, ein einfaches "Nein" reicht. Im Gegenzug sollen kritische Länder das EU-weite Zulassen von Gen-Sorten nicht mehr blockieren.

Auf den ersten Blick scheint der Plan skeptischen Staaten mehr Wahlfreiheit zu geben. Doch Gentechnik-Gegner schlagen Alarm. "Der Preis für dieses Angebot ist eine beschleunigte Zulassung von Gentech-Pflanzen für Anbau, Lebens- und Futtermittel auf EU-Ebene - ohne politische Kontrolle", warnt Agrarexpertin Ulrike Höfken, Bundestagsabgeordnete der Grünen. Die Kommission versuche, den Widerstand kritischer Mitgliedstaaten auszubremsen.

EU im Gen-Geschäft weit abgeschlagen

Bisher kam die EU beim Gen-Anbau nicht vom Fleck. Während in den vergangenen zwölf Jahren weltweit 150 Gen-Pflanzen eine Anbauerlaubnis erhielten, wurden in der EU nur zwei Sorten zugelassen. Europa liegt im Geschäft mit Gen-Getreide und -Gemüse weit abgeschlagen hinter Ländern wie den USA, Argentinien, Brasilien und China. Im vergangenen Jahr bauten Landwirte in Europa - vor allem in Spanien - auf knapp 100.000 Hektar Gen-Pflanzen an. Im Rest der Welt dagegen wuchsen sie auf 134 Millionen Hektar.

Die meisten Verbraucher in Europa haben Angst vor den Risiken genmanipulierter Nahrung, entsprechend stark ist ihr Widerstand, und entsprechend vorsichtig sind Regierungen, wenn sie über einen Antrag zum kommerziellen Anbau einer neuen Sorte entscheiden müssen. Gentechnik-Befürworter wie Spanien, Portugal und die Niederlande stimmten in der Vergangenheit meist für die Anbauerlaubnis neuer Sorten - die Mehrheit der 27 EU-Staaten schmetterte die Vorschläge ab.

Mit dem neuen Gesetz soll nun alles anders werden. Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die Gentechnik-Industrie in Europa voranbringen will. Vor zwei Jahren richtete Barroso sogar eine Arbeitsgruppe aus Vertretern aller Mitgliedstaaten ein, um die Hauptstädte auf Pro-Gentechnik-Kurs zu bringen.

Industrievertreter freuen sich über den Vorstoß. "Ein großer Schritt vorwärts", lobt DuPont. Der US-Mutterkonzern des Saatgutherstellers Pioneer Hi-Bred bemüht sich bereits seit Jahren um eine EU-Zulassung für seine gentechnisch veränderte Maissorte 1507. Die geplante Novelle sei zwar noch nicht ideal, heißt es bei DuPont. Doch wenn erst einige EU-Länder in großem Stil neue Gen-Pflanzen anbauen und damit gute Gewinne einfahren würden, dürften auch kritische Mitgliedstaaten schon bald ihre Meinung ändern.

Gen-Pflanzen kennen keine Grenzen

Gegner der EU-Novelle argumentieren dagegen, dass die Gefahr der unkontrollierten Verbreitung steigt. Wenn Gentechnik-Befürworter den Anbau künftig hochfahren, steigt das Risiko, dass Wind oder Vögel genetisch veränderte Samen über Staatsgrenzen tragen - also beispielsweise von den Niederlanden auf deutsche Felder.

Andere halten den Plan der EU-Kommission für Augenwischerei. Schon jetzt sei es möglich, den Anbau genetisch veränderter Pflanzen regional und auch national zu stoppen. Eine EU-Richtlinie erlaube es den Mitgliedstaaten bereits, die Schutzzonen zwischen natürlicher und genetisch modifizierter Landwirtschaft so auszuweiten, dass ein Anbau von Gen-Pflanzen faktisch nicht mehr möglich sei, sagt Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, ehemaliger Europaabgeordneter der Grünen und ein Kenner der EU-Gentechnikpolitik.

Der angestrebte Kompromiss sei nur ein Trick. "Die Kommission macht heiße Luft, um von den Mitgliedstaaten freie Fahrt für das Zulassen neuer Sorten zu bekommen", sagt Graefe zu Baringdorf. "Wirksame Gentechnik-Verbote aber können die Staaten schon jetzt erlassen."

Die Kommission wolle mit ihrem neuen Plan vor allem Vorwürfen vorbeugen, sie handle undemokratisch, sagt Graefe zu Baringdorf. Eigentlich hat sie laut EU-Recht die Pflicht, in einem festgefahrenen Zulassungsprozess das Machtwort zu sprechen und umstrittene Gen-Pflanzen zuzulassen. Bei Amflora tat sie genau das - gegen den Widerstand zahlreicher Mitgliedstaaten.

Drohender Bürokratie-Schub

Dass die zuständige Prüfstelle der EU neu entwickelte Gen-Pflanzensorten bisher immer als unbedenklich bewertete, überzeugt die kritischen EU-Länder nicht. Das Europäische Institut für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat den Ruf, vor allem zugunsten der Industrie zu arbeiten. EFSA beurteilt die Sicherheit von Gen-Pflanzen anhand von Daten, die aus den Konzernen selbst stammen.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace argwöhnt deshalb, die EU-Kommission wolle mit der neuen Novelle Forderungen nach gründlichen Risikoanalysen umgehen.

Mit dem neuen Zulassungsplan soll in Zukunft alles stressfreier über die Bühne gehen. Allerdings würden auf internationaler Ebene neue Probleme entstehen: Denn EU-Regeln und die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) wären plötzlich nicht mehr konform. Laut Kommissionsplan sollen einzelne EU-Länder den Anbau von Gen-Pflanzen mit einem einfachen "Nein" stoppen können. Die WTO jedoch akzeptiert nationale Anbauverbote nur, wenn sie sich auf wissenschaftlich erwiesene Risiken für Umwelt und Gesundheit stützen.

Selbst die Profiteure der neuen Zulassungsregeln bemäkeln die Ideen der Kommission. Die Biotech-Industrie fürchtet einen Wust aus unterschiedlichen Vorschriften in den einzelnen EU-Ländern: Europaweit für den Anbau zugelassene Gen-Pflanzen, die in einem Land verboten und im Nachbarland erlaubt seien - das widerspreche dem EU-Prinzip des freien Warenverkehrs.