Gegen antifaschistischen Protest wird in Sachsen hart vorgegangen
Heute fand die Gerichtsverhandlung eines jungen Mannes statt, der gegen Legida an einer Blockade teilgenommen hatte und dafür einen Strafbefehl erhielt. Dagegen legte er Einspruch ein. Nun wurde seine Strafe zwar reduziert, aber freigesprochen wurde er nicht. Ein weiteres Beispiel dafür, wie linker Protest in Sachsen kriminalisiert wird? Denn davon gibt es viele.
Es ist mal wieder so weit. In Leipzig und darüber hinaus wird hitzig über die angebliche Gefahr des Linksextremismus diskutiert. Anlass sind diesmal die Anti-G20-Proteste in Hamburg. Teile der Demonstranten zündeten Autos an, plünderten Supermärkte oder übten andere Akte der Sachbeschädigung aus – ein Katalysator für die Debatte um linksextreme Gewalt, die seitdem wieder die gesamte Bundesrepublik beschäftigt.
                    Die Gewaltdebatte ist nicht neu, auch die Argumente 
drehen sich immer wieder um die Frage, ob Systemfeindlichkeit sich mit 
Menschenfeindlichkeit gleichsetzen lässt: Die einen sagen, es sei 
Terror, der rechtsextremen Angriffen in nichts nachsteht. Die anderen 
sprechen von Sachbeschädigung, die bei Weitem nicht die Dimension 
rechter Angriffe auf Personen annimmt.
                    Erneuten Aufwind bekommt auch die 
Extremismustheorie, aufgrund derer nun politische Konsequenzen gezogen 
werden sollen. Auch in Leipzig. So sprach Innenminister Thomas de 
Mazière (CDU) kurzerhand davon, man könne »so etwas, was es in Connewitz
 in Leipzig gibt«, nicht hinnehmen. Er begründete dies mit der Existenz 
einer starken Szene, die für die Anti-G20-Proteste mobilisiert habe. 
Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) unterstützt diese Forderung, gegen einen ganzen Stadtteil vorzugehen, und auch der Leipziger Polizeichef Bernd Merbitz ist sich sicher, es seien »rechtsfreie Räume entstanden«, während Leipzig seit Jahren »einen erheblichen Zuzug von Linksextremisten« erlebe. Zudem könne man »von Glück reden, dass kein Polizist getötet wurde«. Seit Jahrzehnten gab es in Deutschland keinen linkspolitisch motivierten Mord mehr. Bleibt man beim Vergleich mit rechten Taten, kommen Letztere deutlich schlechter weg: Mehrere Polizisten wurden in den letzten Jahren von Nazis ermordet, auch sonst sind, außer in der Kategorie Sachbeschädigung, weitaus weniger links motivierte Taten verzeichnet als rechts motivierte.
                    Politisch wird das Aufkeimen der Debatte jedoch 
genutzt, um einen Kurs zu verteidigen, der sächsische Tradition hat. 
Nicht nur in Sachen »Nationalsozialistischer Untergrund«, »Gruppe 
Freital« oder bei vielen weiteren Beispielen wird immer wieder 
kritisiert, in Sachsen sei man »auf dem rechten Auge blind«, so 
Politikwissenschaftler Hajo Funke. Gleichsam wird der sächsischen 
Politik vorgeworfen, gegen Linke deutlich stärker vorzugehen. Ob 
heimliche Überwachung von Wohnungen in Connewitz, Abhörung der Telefone 
von Journalisten, die sich mit politisch relevanten Themen beschäftigen,
 oder ein hartes Vorgehen gegen linke Gegendemonstranten bei den 
zahlreichen Legida-Aufzügen: Die Kriminalisierung linker Aktivitäten 
scheint hier Konjunktur zu erleben.
                    Ein Beispiel hierfür ist die massenweise 
Strafverfolgung linker Demonstranten, die im Mai 2016 mit einer 
friedlichen Sitzblockade versuchten, einen Legida-Aufmarsch zu 
blockieren. Sascha Kauer, Pressesprecher der »Dazusetzen«-Kampagne, die 
sich aus Solidarität mit den Betroffenen gegründet hat, spricht von 
einer »politischen Entscheidung«, die zu den Bußgeldern führe. Von 163 
Menschen wurden die Personalien aufgenommen, fast alle erhielten 
Strafanzeigen, bei denen Bußgelder in einer Gesamthöhe von mehr als 
50.000 Euro verlangt werden. Zum Vergleich: Als 141 Legida-Anhänger sich
 im Februar 2016 trotz Verbot versammelten und dabei gewaltvoll gegen 
die Polizei vorgingen, wurden zwar ebenfalls alle Personalien 
aufgenommen, letztlich jedoch auf Druck der Landesregierung hin alle 
Verfahren fallen gelassen, sagt Kauer.
                    Auch Rechtsanwältin Rita Belter hält die 
strafrechtliche Verfolgung in Sachen Versammlungssprengung 
beziehungsweise grober Störung in Sachsen für strenger als anderswo. 
»Friedlicher Protest und Sitzblockaden werden unnötig kriminalisiert, 
obwohl die Voraussetzung hierfür gar nicht vorliegt«, sagt Belter. Im 
Unterschied zu anderen Bundesländern sei außerdem die Tendenz größer, 
Verfahren wegen angeblicher Bildung krimineller Vereinigungen zu führen.
                    Auch Linken-Stadträtin und Landtagsabgeordnete 
Juliane Nagel bekommt diese Härte deutlich zu spüren. Sechs Verfahren 
laufen derzeit gegen sie, die zur Aufhebung ihrer Abgeordneten-Immunität
 führen könnten. Sämtliche Anzeigen, zum Großteil von Polizeibeamten 
gestellt, beziehen sich auf außerparlamentarische Tätigkeiten wie die 
Anmeldung von Demos. Das prominenteste Verfahren ist seit einer 
Pressekonferenz 2015 anhängig: Gemeinsam mit anderen appellierte die 
Abgeordnete für friedlichen Protest gegen Legida – was die 
Staatsanwaltschaft als Aufruf zu Straftaten deutete. Während die 
Verfahren gegen die anderen Angeklagten fallen gelassen wurden, läuft 
das gegen Nagel weiter. »Das Strafverfolgungsinteresse wuchs mit meinem 
Eintritt in den Landtag«, sagt Nagel. Doch auch wenn die Vorkommnisse 
sich bei ihr besonders häufen, sei sie kein Einzelfall. »Repression 
gegen linke Aktivisten und Aktivistinnen ist in Sachsen Alltag.« Dagegen
 hat sich in Leipzig eine Kampagne gegründet, die unter dem Motto 
»Gemeint sind wir alle« auf die Kriminalisierung linker, 
emanzipatorischer und antifaschistischer Politik aufmerksam machen will.
                    Die Debatte um Connewitz läuft weiter hitzig. 
Während Oberbürgermeister Jung (SPD) erklärte, er sehe keine 
rechtsfreien Räume in der Stadt, und sagt, der Innenminister habe sich 
»im Ton vergriffen«, identifiziert er dennoch »ein Problem mit linken 
Gewalttätern«. CDU-Mitglied Michael Weickert wirft der Leipziger Linken,
 Grünen und der SPD vor, eine »Koalition der Verharmlosung zu bilden«. 
Erstaunlich bei all dem Aufruhr um Connewitz: Noch immer gibt es nicht 
einmal offizielle Zahlen, wie viele Leipziger Personen sich tatsächlich 
an den Protesten in Hamburg beteiligt haben.
Dieser Text erschien in der August-Ausgabe der kreuzer.
SARAH ULRICH
