Wie ist es um rechte und rassistische Gewalt gegen Sorben, Andersdenkende und Flüchtlinge in Bautzen bestellt? Und was unternehmen die verantwortlichen Politiker in Stadt und Landkreis, um gegenzusteuern? Um diese Fragen ist es am Donnerstagabend in einer Diskussion rund um die Buchvorstellung "Unter Sachsen" im Haus der Sorben in Bautzen gegangen. Andrea Hübler von der Opferberatung RAA Sachsen, der Journalist Arndt Ginzel und der Mitherausgeber des Buches, Matthias Meisner, haben im anschließenden Interview über die Ereignisse in der Stadt Bautzen und im Landkreis kein Blatt vor den Mund genommen. MDR-Reporterin Rica Sturm hat mit ihnen gesprochen.
Ist Bautzen eine braune Stadt?
Andrea Hübler: Nein. Bautzen ist eine mittelgroße Stadt, die ein sächsisches Problem hat, nämlich Neonazi-Strukturen und rassistische Einstellungen in der Gesellschaft. Aber Bautzen hat gleichermaßen eine aktive Zivilgesellschaft, engagierte Menschen, die sich hier den Nazis in den Weg stellen, die Geflüchtete unterstützen und für die Demokratie in Bautzen einstehen.
Matthias Meisner: Ganz pauschal kann
man das nicht sagen. Aber man kann sagen, dass Bautzen einen sehr
problematischen Umgang mit rechten Umtrieben hat und von offizieller
Seite viel zu viel negiert und kleingeredet wird.
Für den Berliner "Tagesspiegel" haben Sie jetzt in Bautzen recherchiert. Worum ging es dabei?
Meisner: Es ging um die Gesprächsbereitschaft, die hier hochrangige CDU-Funktionäre haben, wenn's um die Auseinandersetzung mit den Problemen in der Stadt geht und die nicht davor zurückschrecken, sich auch mit Rechtsextremisten an einen Tisch zu setzen. Und das nicht nur für ein kurzes Gespräch, sondern im jüngsten Fall beim Vize-Landrat Udo Witschas sogar drei Stunden lang.
Wie bewerten Sie den aktuellen Vorgang um den Bautzener Vize-Landrat?
Arndt Ginzel: Als wir nach unserem Interview mit Herrn Witschas erfahren haben, dass er sich mit Herrn Wruck getroffen hat, war das für uns unglaublich. Ein Vize-Landrat trifft sich mit einem NPD-Kreisvorsitzenden, um über das Schicksal eines Flüchtlings zu sprechen. Das ist schon ein starkes Stück, und das hat es so vorher in der Bundesrepublik wohl auch nicht gegeben. Das ist ein unfassbarer Skandal. Und uns interessiert die Frage, was die beiden bei ihrem dreistündigen Treff besprochen haben.
Was haben denn die beiden gesagt?
Ginzel: Nach Auskunft von Herrn Wruck haben sie sehr intensiv über die weiteren Schritte gesprochen. Was ist jetzt mit diesem jungen Mann aus Libyen zu tun, wie geht das jetzt weiter, welche Maßnahmen hat das Landratsamt ergriffen. Also sehr weitreichende Gespräche, wo man sich fragt, auf welcher Basis die stattgefunden haben. Zumal Herr Wruck ja nicht einmal ein Mandat hat. Das ist ein Neonazi, der im Verfassungsschutzbericht auftaucht. Und mit ihm setzt sich der Vize-Landrat an einen Tisch.
Was ist daran schlecht?
Meisner: Mit Nazis spricht man nicht. Das wertet die auf. Die fühlen sich wichtig, und das schwächt die Menschen, die sich hier engagieren und was tun für Flüchtlinge, was tun gegen Angriffe auf die Sorben, was tun gegen die, die insgesamt das Klima vergiften.
Nun ist es ja nicht das erste Mal gewesen, dass verantwortliche Politiker in Bautzen mit Nazis gesprochen haben.
Meisner: Ja, das hat der Oberbürgermeister Alexander Ahrens gemacht. Das hat der Landrat und CDU-Kreisvorsitzende Michael Harig auch zweimal getan. Das macht das alles nicht besser. Der eine beruft sich auf den anderen, und am Ende findet dann keine Fehleranalyse mehr statt. Bei Ahrens vermutet man inzwischen, er würde das nicht wieder tun. Ich hätte ihn gerne heute Abend dazu befragt, aber er hat kurzfristig seinen Auftritt in unserer Veranstaltung abgesagt.
Hübler: Das
war ein großer Fehler, weil es der rechten Szene in Bautzen
signalisiert, ihr seid gleichberechtigte Gesprächspartner und ihr habt
hier ein Mitspracherecht, was die Zukunft von Geflüchteten angeht und
wie sich Bautzen zum Thema Rassismus positioniert.
Herr Meisner,was würden Sie denn Herrn Ahrens gern fragen?
Meisner: Ob er bei der Auseinandersetzung über die Probleme in der Stadt nicht stärker die Leute unterstützen sollte, die hier was tun. Die gibt es. Es gibt hier eine Zivilgesellschaft, und die muss sich verarscht vorkommen, wenn politische Verantwortungsträger Rechte hofieren.
Was sollten die verantwortlichen Politiker in Bautzen und im Landkreis anders machen?
Hübler: Ich würde ihnen dringend empfehlen, sich mit den Menschen an einen Tisch zu setzen, die für ein demokratisches, vielfältiges Miteinander in Bautzen stehen, den Menschen, die Geflüchtete unterstützen, die sich im Steinhaus und den verschiedenen Bündnissen in Bautzen engagieren. Mit ihnen sollten sie reden, wie man Schritt für Schritt in Bautzen erreichen kann, die Neonaziszene zu schwächen, damit sich Geflüchtete frei in der Stadt bewegen können, ohne rassistisch angefeindet zu werden. Und ich würde ihnen anraten, bei rassistischen Angriffen nicht mit den Tätern zu reden, sondern Betroffenen den Rücken zu stärken und ihnen zu sagen, dass der Oberbürgermeister und der Landrat hinter ihnen stehen.
Was wünschen Sie sich für Bautzen?
Meisner: Mein Wunsch für die Stadt ist, dass die Menschen, die sich engagieren, nicht aufgeben, nicht verzweifeln, sondern weiterkämpfen und sich bemühen, dass Bautzen weltoffen wird – wenn es das noch nicht hinreichend ist.
Ginzel: Dass die vielen
Menschen, die immer wieder den Finger in die Wunde legen, die immer
wieder auf rassistische und rechtsextreme Gewalttaten hinweisen, die
Kraft dazu haben, das auch weiterhin zu tun und immer wieder sagen, das
ist nicht normal, wir geben uns damit nicht zufrieden. Dann gibt es auch
eine Hoffnung für die Stadt.
Wer bei der Diskussion in Bautzen dabei war:
Heike Kleffner - Journalistin und Mitherausgeberin des Buches "Unter Sachsen. Zwischen Wut und Willkommen"
Matthias Meisner - Mitherausgeber und politischer Korrespondent des Berliner "Tagesspiegel"
Arndt Ginzel - Journalist u.a. für den MDR und gebürtiger Bautzener
Andrea Hübler - Fachreferentin der Opferberatung RAA Sachsen
Marcel Braumann - Vorstandsmitglied des Bundes der Sorben Domowina
Valentin Lippmann - parlamentarischer Geschäftsführer von Bündnis 90/ Die Grünen in Sachsen