Wurzen ist bunt …

Erstveröffentlicht: 
17.08.2017

… unter diesem Motto hatte am 01.Mai 2016 ein Bündnis aus Vereinen, Kirchen, Bürgern, Stadträten und Stadtverwaltung zum Bürgerbrunch für Demokratie und Toleranz auf den Marktplatz eingeladen – als Gegenveranstaltung zu einer von der NPD angemeldeten Demonstration. Viele Wurzener waren der Einladung gefolgt, sich zum Thema Flüchtlinge zu informieren und miteinander ins Gespräch zu kommen und während sich andernorts rechte und linke Gruppierungen mit der Polizei tätliche Auseinandersetzungen lieferten, ging es in Wurzen an diesem Tag um einiges friedlicher zu.

 

Von Sylke Mathiebe

Rechtes, rassistisches Gedankengut und Leute, die es verbreiten möchten, gibt es, wie das Beispiel zeigt, nach wie vor in Wurzen. Doch, wie das Beispiel ebenfalls verdeutlicht, haben die Bürger der Stadt gelernt, derartigen Bestrebungen auf friedlichem Wege erfolgreich zu begegnen. Anders als noch in den 90er Jahren, als die Stadt als Nazihochburg verschrien war und von diesen nahezu ungestraft als „national befreite Zone“ bezeichnet werden konnte, gibt es mittlerweile vielfältige, von der Bürgerschaft getragene Initiativen, die sich für ein weltoffenes und tolerantes Klima in der Stadt stark machen.

 

Wie zum Beispiel im Februar 2010, als die Stadträtinnen von SPD, Die Linke, Bürger für Wurzen und CDU gemeinsam die Mütter von Wurzen aufriefen, sich am Friedensgebet in der Wenceslaikirche zu beteiligen. Zur gleichen Zeit hatten die „Jungen Nationaldemokraten Muldental“ eine Versammlung auf dem Wurzener Markt angemeldet. „Wir wehren uns gegen das „Braune Etikett“, welches unserer Stadt aufgezwungen wird! Lassen sie sich einladen, gemeinsam etwas gegen diese unerträgliche Situation zu tun und lassen sie uns miteinander ins Gespräch kommen, allen Sorgen und Ängsten zum Trotz“ hieß es in dem Aufruf. Das Friedensgebet endete schließlich damit, dass sich  die Teilnehmer gemeinsam auf den Weg zum Marktplatz machten, wo sie am Rande der NPD-Demonstration Blumen niederlegten, um ein Zeichen für ein buntes Wurzen zu setzen.

 

Auch im Umgang mit dem Denkmal für die Gefallenen des 1. Weltkrieges auf dem Alten Friedhof haben die Wurzener neue Wege gefunden. Denkmal und Stadt waren immer wieder in die Schlagzeilen geraten, vor allem aufgrund der Bestrebungen rechtsextremer Gruppierungen, den Ort am Volkstrauertag für ihre Art „Heldengedenken“ zu missbrauchen.

 

Wurzener Bürger sorgten damals mit ihrem Engagement dafür, dass man sich in der Stadt intensiver mit dem Denkmal und seiner Botschaft auseinandersetzte. Kinder und Enkel von vielen, deren Namen im Denkmal zu lesen sind, brachten Fotos, erzählten aus ihren Erinnerungen und versuchten so, den Gefallenen, an die das Mahnmal erinnern soll, Gesichter zu geben. Mehrere Jahre lang haben Bürger und Stadtverwaltung mit eigenen Veranstaltungen dafür gesorgt, dass das Denkmal am Volkstrauertag zum Symbol friedlichen Gedenkens an die Opfer von Krieg und Rassismus wurde. Seit 2011 hat es laut Angaben der Stadtverwaltung hier keine offiziellen Anmeldungen von Demonstrationen rechter Gruppierungen mehr gegeben.

 

Noch aus anderen Gründen hat das Denkmal inzwischen seinen Reiz für kriegsverherrlichende Aufmärsche verloren. Umfangreiche Recherchen des Wurzeners Jens Haubner, an denen sich im Laufe der Zeit noch viele andere Bürger beteiligten, haben ergeben, dass die Frauengestalt in der Figurengruppe die als Engel von Sibirien bezeichnete Elsa Brandström darstellt. Eine von der schwedischen Honorarkonsulin Petra Löschke gestiftete Gedenktafel am Mahnmal erinnert an die mutige Schwedin.

 

Schülerinnen und Schüler des Wurzener Lichtwer-Gymnasiums haben Elsa Brandström, die in Russland geboren wurde und sich insbesondere in Sibirien für deutsche Kriegsgefangene und später in Deutschland für Waisenkinder und Hilfsbedürftige einsetzte, zum Thema ihres Beitrages für den Bundesfremdsprachenwettbewerb gemacht. Das Schülerprojekt in schwedischer, englischer und russischer Sprache wurde mit dem Hubertusburger Jugend-Friedenspreis ausgezeichnet.

 

Im Zuge des französisch-deutsch-tschechisches Friedensprojekts „Die längste Schnitzeljagd der Welt“ knüpfte die Initiativgruppe vom Netzwerk für demokratische Kultur in Wurzen Kontakte zu Nachfahren von Überlebenden der Todesmärsche, die im Frühjahr 1945 auch durch das Muldental führten. Laurent Guillet, Initiator des Friedensprojekts, kam im Mai 2015 nach Wurzen, um im Rahmen des jährlich stattfindenden Gedenkmarsches an den Muldewiesen eine Gedenktafel für die Opfer des Naziterrors der letzten Kriegstage zu errichten.

 

Freundschaftliche Kontakte knüpfte die Stadt auch mit Nachfahren von Wurzener Juden, die von den Nazis aus der Stadt vertrieben wurden. Als im Jahr 2013 bereits zum zweiten Mal Stolpersteine, diesmal im Gedenken an die jüdische Familie Luchtenstein, verlegt wurden, waren alle Kinder und Enkel der Familie aus England in Wurzen zu Gast. Ulrike Ernst und Gabi Kirsten erhielten für ihre Verdienste um die Aufarbeitung dieses Teils der Wurzener Geschichte im Jahr 2015 den Ehrenamtspreis des Landkreises Leipzig. Die in der Stadt verlegten Stolpersteine werden ausschließlich über Spenden aus der Wurzener Bürgerschaft finanziert.

 

Nachvollziehbar scheint vor diesem Hintergrund, dass der Umgang regionaler und überregionaler Berichterstattung mit dem Thema bei vielen Wurzenern für Unmut sorgt. Denn um dem Klischee von der rassistisch geprägten Kleinstadt zu genügen, werden der vorgefassten Meinung widersprechende Tatsachen oftmals verschwiegen oder sogar negativ belegt. Jüngstes Beispiel ist ein Artikel in der „Zeit-Online“ vom 11. August 2017. Hier wird u. a. das Bemühen weiter Teile der Wurzener Bürgerschaft um die Integration von Flüchtlingen, das mit der Gründung des Unterstützungsnetzwerks für Asylsuchende im Wurzener Land bereits 2014 begann und mittlerweile in Form zahlreicher Aktivitäten fortbesteht, als „lediglich Imagepflege“ der Stadt abgewertet.

 

Die Beteiligung eines „langjährigen Wurzener NPD-Stadtrates“ an Gewalttaten in Leipzig wird als Beispiel dafür angeführt, dass rechte Kreise hier noch immer fest verwurzelt sind, ohne auf die sicherlich in diesem Zusammenhang ebenfalls wichtige Tatsache einzugehen, dass seit den Kommunalwahlen 2014 die NPD im Wurzener Stadtrat keinen Sitz mehr hat.

 

Über den bundesweit für Schlagzeilen sorgenden Vorfall in der Pestalozzi-Oberschule, wo Ende 2015 Flüchtlingskinder von Mitschülern tätlich angegriffen wurden, wird berichtet, ohne darauf einzugehen, wie Stadt und Schule damit umgegangen sind. Dabei gab es klare Aussagen aller Verantwortlichen, dass derlei Gewalt nicht geduldet wird, die Täter wurden seitens der Schule zur Rechenschaft gezogen. Mit gleicher Konsequenz war die Schule zuvor auch gegenüber Schülern aus dem Balkangebiet vorgegangen, die ihrerseits gewalttätig gegenüber ihren Mitschülern geworden waren.

 

Auch bei anderen rassistisch motivierten Übergriffen blieb die Stadt nicht so tatenlos, wie es nach der Lektüre des Beitrags scheint. Es gibt in Wurzen, wie wohl überall in Deutschland, fremdenfeindliche Bestrebungen und Angriffe, durch die dezentrale Unterbringung aller Flüchtlinge gibt es evtl. auch mehr Konfliktpotenzial als anderswo. Dem stehen aber immer wieder auch engagierte Wurzener gegenüber, die Hilfe leisten, Gesprächsangebote machen und oftmals auch vermittelnd eingreifen. Bei den jungen eritreischen Flüchtlingen, auf deren Wohnung ein Anschlag verübt wurde, hat sich Oberbürgermeister Jörg Röglin öffentlich entschuldigt, auch dies ist wohl keine Selbstverständlichkeit in Deutschland.

 

Für den 02. September 2017 hat das bundesweite antifaschistische Bündnis „Irgendwo in Deutschland“ in Wurzen eine Demonstration angemeldet, die Stadt wurde ausgewählt, weil sie „exemplarisch für die rassistische Normalität in Sachsen steht“. Bleibt zu wünschen, dass die zum größten Teil wohl von auswärts anreisenden Demonstranten sich vorab genauer über die Vorgänge in Wurzen, vor allem der letzten zehn Jahre, informieren und dass regionale und überregionale Berichterstatter ehrlich und fair mit der Stadt und ihren Bürgern umgehen.

 

Für Donnerstag, den 31. August 2017, laden die Kommunen des Wurzener Landes zu einem Bürgertreffen um 17:00 Uhr auf dem Wurzener Markt ein. Mit einer gemeinsamen Aktion wollen Bürgerschaft, Unternehmer und Stadtverwaltung für eine weltoffene Zukunft in Wurzen und dem Wurzener Land eintreten.