Themar: Wenn Adolf und Eva kommen

Erstveröffentlicht: 
30.07.2017
Tausende Neonazis fahren in eine 3.000-Einwohner-Stadt und tarnen ihr Rockkonzert als politische Kundgebung. Muss man das aushalten? Ein Ortsbesuch in Thüringen Von Veronika Völlinger, Themar

 

Die Schlange der rechtsextremen Konzertbesucher hat sich gerade einmal eine Viertelstunde durch die Einlasskontrolle bewegt, als Polizisten die ersten zwei Männer zur Seite nehmen. Mitkommen, Identität feststellen. Am Ende erwarten einen stämmigen Glatzkopf mit Gesichtstätowierungen und einen schmalen Glatzkopf mit Runen auf dem Rücken Strafanzeigen wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Bis zum späten Abend wird die Polizei hier insgesamt 21 Anzeigen wegen verschiedener Vergehen registrieren, darunter mehrere Hitlergrüße.

 

Themar, eine Kleinstadt mit hübsch restaurierten Fachwerkhäusern im Süden Thüringens, ist bereits zum zweiten Mal in diesem Monat Austragungsort eines Neonazi-Konzerts. Das liegt auch daran, dass der Veranstalter des ersten Konzerts, Tommy Frenck, wenige Kilometer entfernt den Gasthof Goldener Löwe betreibt, einen rechtsextremen Szenetreff. Der jetzige Anmelder des Konzerts ist der NPD-Funktionär Patrick Schröder. Beide Konzerte durften auf einer privaten Wiese vor dem Ortseingang gastieren, die Bodo Dressel zur Verfügung stellte, der Bürgermeister der Nachbargemeinde und ehemaliger AfD-Politiker. Man kennt sich. 

 

Das Versammlungsrecht schützt sie – zu Recht?


Vor zwei Wochen kamen 6.000 Rechtsextreme zum "Rock gegen Überfremdung" in die 3.000-Einwohner-Stadt, es war eines der größten Rechtsrock-Festivals in Deutschland in den vergangenen Jahren. Dieses Mal reisten etwa 1.000 Neonazis zum "Rock für Identität" an. Angemeldet waren beide Konzerte als politische Kundgebungen, damit genossen sie den hohen Schutz des Versammlungsrechts. Die Veranstalter verlangten für den Eintritt zur Kundgebung allerdings etwa 30 Euro – damit werden die Musikfestivals eigentlich zu kommerziellen Veranstaltungen.

 

Austragen müssen die Stadt Themar und das Land Thüringen damit auch eine Debatte von bundesweiter Relevanz: Wo liegen die Grenzen der Versammlungsfreiheit? Ist eine politische Kundgebung, für die Eintritt verlangt wird, überhaupt eine Demonstration? Und wie will Deutschland mit Neonazi-Konzerten umgehen, deren Zahl laut Verfassungsschutz stetig steigt?

 

Mit dem Image einer Rechtsrocker-Hochburg will sich Themar nicht abfinden. "Den braunen Stempel aufgedrückt zu bekommen, ist schlimm", sagt Dani T. Sie hat mit einem Bündnis aus Thüringer Initiativen gegen Rechts auf dem Themarer Marktplatz ein Stadtfest organisiert. Dass neben Jugendlichen aus einem linken Sommercamp in der Nähe jetzt auch gebückte Seniorinnen mit Rollatoren, Durchreisende in Radlerhosen und Familien auf dem Marktplatz Bratwurst essen, ist für das antifaschistische Bündnis ein Erfolg. 

 

"Lasst sie doch ihre Musik hören"


"Am Anfang durften wir uns anhören, dass wir den Schwarzen Block nach Themar holen würden", sagt die 32-Jährige. Viele Themarer hätten die Rechtsrocker lange heruntergespielt: Lasst sie doch ihre Musik hören, immerhin räumen die ihren Müll weg. Das 6.000-Mann-Konzert vor zwei Wochen habe das geändert. "Die Leute zeigen jetzt mehr Interesse", sagt die junge Frau, während sie Salate und Kuchenbleche entgegennimmt.

 

Daran hat auch der parteilose Bürgermeister Hubert Böse seinen Anteil. Von einer "Katastrophe für Themar" sprach er nach dem letzten Konzert. Anfang des Monats organisierte er eine Einwohnerversammlung in der Turnhalle; wenige Tage vor dem jetzigen, kleineren Neonazikonzert gab es einen Bürgerdialog im Schützenhaus. Zwei Mal innerhalb von zwei Wochen kam Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) nach Themar. "Es hat sich bestätigt, dass die Stadt enger zusammengerückt ist", sagt Böse am Nachmittag auf dem Marktplatz stolz. Etwa 400 bis 500 Leute schlossen sich dem Gegenprotest zeitweise an, in Rufweite der Neonazis skandierten sie: Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda. "Das Problem ist, dass da grundgesetzlich etwas geschützt wird, was nicht schützenswert ist", beschreibt es der Bürgermeister. 

 

"Adolf war der Beste" auf dem T-Shirt


Mit dieser Begründung hatte auch die Versammlungsbehörde, die dem CDU-Landrat Thomas Müller untersteht, versucht, das große Konzert vor zwei Wochen zu verbieten. Gerichte untersagten das Verbot, weil sie nicht genügend Beweise sahen, dass die Veranstalter Gewinn mit dem Rechtsrockkonzert machen – eine Grauzone im Versammlungsrecht, die Thüringens Ministerpräsident Ramelow schließen will. Weil sie aber noch existiert, gab es keine Versuche, das zweite Konzert zu verbieten. "Warum werden die Rechte nicht voll ausgeschöpft?", fragen Bürger bei der Gegendemonstration.

 

Denn jene Konzertgänger, die an diesem Tag nach Themar gekommen sind, lassen keinen Zweifel an ihrer rechtsextremen und menschenverachtenden Gesinnung. Sie bemühen sich auch nicht um eine bürgerliche Fassade: Adolf war der Beste, steht in Frakturschrift auf dem schwarzen T-Shirt eines jungen Mannes. Auf dem eines anderen prangt ein Reichsadler, in dessen Klauen ein eisernes Kreuz. Viele Männer sind die typischen finsteren Glatzenträger. Aber auch nicht wenige Frauen sind da.

 

Ein Pärchen hat sich abgesprochen: Auf seinem T-Shirt steht Adolf, auf ihrem Eva. Der tätowierte Ellenbogen eines Mannes ist mit weißen Pflastern abgeklebt. Darunter muss sich ein verfassungswidriges Symbol befinden; nur wenn es verdeckt wird, darf er aufs Konzertgelände. Von einem der Redner ist hinter dem Zaun nur zu hören, wie er sich und die Szene stolz als nationale Sozialisten bezeichnet. "Diese Leute sind hierher gekommen, um Straftaten zu begehen", sagt die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke), die als parlamentarische Beobachterin in Themar ist. 

 

Ein drittes Konzert ist geplant


Das weiß auch die Polizei. Man habe aus dem Konzert vor zwei Wochen gelernt, sagt ein Sprecher. Damals wurde die Polizei dafür kritisiert, nicht rechtzeitig eingegriffen zu haben, nachdem ein Video auftauchte, das eine große Zahl von Konzertbesuchern beim Zeigen des Hitlergrußes und bei Sieg-Heil-Rufen zeigt. Mehr als 40 Strafanzeigen wurden gestellt. Als Lehre daraus filmt die Polizei die komplette Veranstaltung selbst mit, um später ermitteln zu können. Bis zu 500 Beamte sind vor Ort. Eine konsequente Verfolgung von Straftaten wurde versprochen.

 

"Solange es bei der aktuellen Zahl der Teilnehmer bleibt, funktioniert die Einsatztaktik", sagt auch die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss (Linke), als am frühen Abend etwa 700 Konzertbesucher eingetroffen sind. Sie kritisiert aber auch, dass die Neonazis nicht konsequent aus der Ortschaft herausgehalten werden. Auf dem Weg zu einer nahen Tankstelle lässt die Polizei außerdem immer mal wieder Rechtsextreme durch, obwohl sie eigentlich einen anderen Weg nehmen sollten. Zwei Fotojournalisten werden von Neonazis angegangen und geschlagen, den Verantwortlichen kann die Polizei ermitteln.

 

Noch bevor der laute, harte Rock von langjährigen Szene-Bands wie Sturmwehr oder Frontalkraft angefangen hat, den man selbst auf der Themarer Hauptstraße noch stellenweise hört, räumt ein Redner auch die letzten Zweifel aus, dass es hier um mehr als politische Meinungsäußerung geht: "Wir werden mit den Geldern, die wir hier einnehmen, weiter in unsere Strukturen investieren." Auf dem Gelände werden auch Bier für drei Euro und Kapuzenpullis mit einschlägigen Botschaften für etwa 30 Euro verkauft.

 

Für Themar und seine Bürger klingt das wie eine Drohung. Denn nachdem sie die zwei Neonazikonzerte im Juli hinter sich gebracht habe, gibt es schon Gerüchte, dass im September am gleichen Ort das nächste stattfinden könnte. "Ich befürchte es", seufzt Bürgermeister Böse.