Die Mosaik-Linke muss sich fragen, ob sie im Schatten eines symbolischen Bürgerkrieges erfolgreich sein kann
Die Bilder aus Hamburg, die im Juli die Öffentlichkeit erreichten, waren durch eine kleine Gruppe der Staatschefs der G20 und die steine- wie flaschenwerfenden, schwarz gekleideten Namenlosen geprägt. Das Sprechen über sie ist für die Linke ganz offensichtlich ein Problem.
Sahra Wagenknecht fand die Worte: »Diese Gewalttäter sind keine Linken, das sind Kriminelle.« Katja Kipping verwies auf sie, als sie sagte, »dass Autos anzuzünden oder Läden zu plündern oder Steine auf Menschen zu werfen Straftaten sind und wir das auf das Schärfste verurteilen«. Egbert Scheunemann, Parteimitglied und Anwohner im Schanzenviertel schrieb davon, wer so handle, sei »ein politikanalytischer und -strategischer Vollidiot«, »ein primär testosterongesteuerter, oft alkoholisierter jungmännlicher Triebtäter«. Jan van Aken, einer der Organisatoren der Großdemo in Hamburg und Linkspartei-Abgeordneter meinte im Interview, dass »sinnentleerte Gewalt« ausgeübt wurde, »und deswegen ist die große Frage, wer genau war das. Es sind mit Sicherheit auch politische anarchistische Gruppierungen« unterwegs gewesen. Das habe aber nichts mit »einem politischen Protest zu tun sondern das ist reine Krawallmacherei«.
Dies alles verfehlt den spezifischen politischen Gehalt des Agierens der Namenlosen in Hamburg und verzichtet auch auf die Unterscheidung zu wütenden Randalen oder Kleinkriminalität.
Die militanten Aktivistinnen und Aktivisten, über die Linke derart sprechen, sind aus einer ganzen Reihe von Ländern Europas nach Hamburg gekommen. Sie sehen sich vor allem als Linksautonome. Ihre Geschichte geht auf die Bewegungen der 1960er Jahre zurück, die sich in deutlicher Differenz zu den Gewerkschaften und linken Parteien bildeten. Der Name »schwarzer Block« geht auf eine Anklage der Bundesanwaltschaft von 1981 zurück. Damals wurden 50 Personen wegen »Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung Schwarzer Block« angeklagt.
Doch ist die Vereinigung zum »schwarzen Block« nur eine besondere Organisationstaktik sehr verschiedener Netzwerke und vieler kleiner Gruppen mit unterschiedlichen Traditionen und Selbstverständnissen. Es gibt keine Mitgliedsausweise und keine Vorsitzenden, keine Sprecherinnen oder Sprecher. Sie sind im öffentlichen Raum als Vermummte gesichts- und namenlos.
Die Gesichts- und Namenlosigkeit bedeutet jedoch nicht, dass nicht organisiert, gesprochen und gehandelt wird. Es gibt politische Strategien und immer neue Taktiken, wie in Hamburg deutlich wurde. Die Lust zur offenen körperlichen Konfrontation mit der Polizei gehört dazu und zieht Mitläufer und auch Plünderer an. Beschlüsse werden in radikaldemokratisch organisierten Foren gefällt; Hierarchien sollen vermieden werden. Ihre Militanz ist vor allem durch die Bereitschaft zur Zerstörung von Dingen (Autos, Banken) und brennende Straßenblockaden geprägt.
Aber es wird auch zu Gewalt gegen Personen gegriffen. Gegen Polizistinnen und Polizisten wurden in Hamburg Steine, Böller, Flaschen eingesetzt. Der Mord an Menschen ist anders als bei rechten Gewalttätern kein legitimes Mittel. Die militanten Autonomen sind keine terroristischen Gruppen. Doch die Gefahr einer tödlichen Eskalation ist bei solchen Aktionen zwangsläufig gegeben.
Es ist falsch, wenn die Linke in Deutschland die Aktionen der militanten Linksautonomen zu entpolitisieren sucht und aus dem Orbit der Linken exkommunizieren will, sie vor allem als Kriminelle und Raufbolde darstellt. Dies ist weder glaubwürdig noch angemessen. Man muss diese Aktivistinnen und Aktivisten ernst nehmen - politisch wie ideologisch, strategisch wie taktisch. Es macht auch keinen Sinn, vor allem die Polizei verantwortlich zu machen, wenn es erklärter Ansatz relevanter linksautonomer Militanter ist, durch Zerstörungen und Gewalt gegenüber Polizistinnen und Polizisten autonom und selbstbewusst Politik zu machen. Diese vorhandene Bereitschaft zur Gewalt kann durch die Polizei nur verstärkt oder abgeschwächt werden. In Hamburg wurde sie massiv verstärkt.
Zur Ehrlichkeit gehört: Die Linksautonomen sind politisch wie geistig Fleisch vom Fleische der Linken - historisch wie aktuell. Verwandtschaft kann man sich nicht aussuchen. Die militanten Autonomen verstehen sich links und werden mit Recht auch so wahrgenommen. Gerade deshalb ist eine eigene Positionsbestimmung so wichtig.
Der Gegengipfel von Hamburg und die große bunte und friedliche Demonstration der grenzenlosen Solidarität am 8. Juli wurden durch die Aktionen, die als »Krawalle« bezeichnet werden, weitgehend um ihre öffentliche Wirkung gebracht.
Das Aktionsbündnis der militanten Autonomen hat alle anderen enteignet und beherrscht. Daraus sind Folgerungen zu ziehen: Wenn es tatsächlich so wäre, dass eine der Gruppen der Linken eine Strategie und Taktik wählt, die die aller anderen Kräfte einer Mosaik-Linken ad absurdum führt und ins Gegenteil verkehrt, dann wird diese eine Gruppe unvermeidlich zum aktuellen Haupthindernis. Eine solche Gruppe verhindert dann, dass die eigentliche politische Konfrontation erfolgreich geführt werden kann. Bisher gelingt den Linksautonomen dies nur punktuell - bei Großereignissen wie in Hamburg.
Die Frage ist, wie es dazu kommen kann, dass Gruppen in der Linken über viele Jahre eine Strategie wählen, die von links den Bürgerkrieg imaginiert. Um dies zu begreifen, muss man auch die Ideologie der linken Autonomen verstehen. Doch gibt es kein »Parteiprogramm« und auch keinen »Kurzen Lehrgang«. Es gibt nur eine Vielzahl von Veröffentlichungen, auf die die Namenlosen Bezug nehmen. Ein solches gesichtsloses Netzwerk, das an der Ideologie der militanten Autonomen arbeitet, ist die französische Gruppe Tiqqun. Hier wird sprachmächtig eine besondere linke Ideologie produziert. Auch nach den Tagen von Hamburg wurde immer wieder auf sie verwiesen.
Das französische Autorenkollektiv Tiqqun zeichnet sich dadurch aus, dass es vor allem Nein sagt und eine Sprache wählt, die unzweideutig und entschieden der gegenwärtigen Gesellschaft den Krieg erklärt. Tiqqun tritt seit 1999 in der Öffentlichkeit auf. Bewusst wird auf Autorenschaft verzichtet. Die Gruppe spricht auch als das »unsichtbare Komitee« und proklamiert in einem Manifest den »kommenden Aufstand«. Der Begriff Tiqqun geht auf das Hebräische Tikkun olam zurück - was Reparatur der Welt oder Konstruktion für die Ewigkeit bedeuten kann.
Die Gruppe Tiqqun steht für jene kommunistischen Tendenzen, die sich vor allem durch den radikalen Bruch mit der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft in jeder ihrer Gestalten definieren. Das Kollektiv Tiqqun teilt mit allen kommunistischen Ansätzen die Vision freier Gemeinschaftlichkeit und fasst Kommunismus als gemeinschaftliche Lebensform.
Dies kann nicht besser ausgedrückt werden, als sie selbst es tun: »Die Kommune ist, was passiert, wenn Wesen sich finden, sich verstehen und entscheiden, gemeinsam voranzuschreiten. … Sie ist, was bewirkt, dass wir ›wir‹ sagen, und dass dies ein Ereignis ist.«
Der eigentliche Konflikt, so Tiqqun, sei nicht mehr der zwischen »den Ausgebeuteten und den Ausbeutern, den Herrschern und den Beherrschten, den Befehlenden und den Ausführenden«. Der zentrale Konflikt werde durch die »Frontlinie« gebildet, die »durch die Mitte jedes Einzelnen, durch das, was aus ihm seiner Eigenschaften wegen einen Bürger macht, und den Rest« geht. Dieser Rest ist das in jedem Menschen, das der herrschenden bürgerlichen Sozialisation »erfolgreich entrinnt« - das Nichtbürgerliche, Nichtangepasste, Nichtintegrierte. Die Gesellschaft erscheint als Verwertungsmaschine, der Mensch als Rohstoff, aus dem die Gesellschaft alles das als Müll aussondert, was sich nicht verwerten lässt oder sich der Verwertung - aus welchem Grund auch immer - widersetzt, dem Rest eben.
Feindbild für Tiqqun ist vor allem der Bürger: »Die Bürger sind es, die darauf bestehen, sogar noch im Zentrum des allgemeinen Umsturzes des Sozialen, fortdauernd ihre abstrakte Teilnahme an einer Gesellschaft auszurufen, die nur negativ besteht, durch den Terror, den sie überall ausübt.«
Die Erwerbsarbeit wird als zentrale Säule des Bürgerlichen ausgemacht und gegen die traditionelle Arbeiterbewegung wird eingewandt: »Von allen verfallenden Vermächtnissen der Arbeiterbewegung stinkt nichts so sehr wie … der Kult der Arbeit.« In der bürgerlichen Gesellschaft, so Tiqqun, existiert Gemeinschaft nur als »schreckliche Gemeinschaft«: Diese »ist ein menschlicher Haufen und nicht eine Gruppe von Kameraden. ... Die schreckliche Gemeinschaft ist die Summe der Einsamkeiten, die sich überwachen, ohne einander zu beschützen.«
Tiqqun erteilt selbst den radikalsten Forderungen, soweit sie nicht unmittelbar zum Bruch mit den bürgerlichen Verhältnissen führen, eine Absage. Ein über den Kapitalismus hinausgehendes Potenzial solcher Forderungen will Tiqqun nicht erkennen: »Wer sieht nicht, dass die Forderung ›Papiere für alle‹, wenn sie erfüllt wird, nur zu einer größeren Mobilität der Arbeit beitragen wird …? Was den garantierten Mindestlohn betrifft, wird er, wenn er eingeführt wird, nicht einfach ein zusätzliches Einkommen in den Wertkreislauf einbringen?«
Von vorhandenen Organisationen, so Tiqqun, sei nichts zu erwarten, alles wird der unmittelbaren Tat im konkreten Augenblick überlassen. Das revolutionäre Wir sind für Tiqqun »die vom Weg Abgekommenen: die Armen, die Häftlinge, die Diebe, die Kriminellen, die Verrückten, die Perversen, die Korrumpierten, die Kraftstrotzenden, die rebellischen Körperlichkeiten«. Tiqqun empfiehlt vor allem eine Strategie - »so früh wie möglich alles zu zertrümmern«, um dadurch an Stärke zu gewinnen.
Autonomie gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft kann im Verständnis des anonymen Kollektivs Tiqqun nichts anderes sein als Krieg. Kommunismus ist deshalb auch Bürgerkrieg in Permanenz; denn es ist nach Tiqqun der Bürgerkrieg, der den bürgerlichen Zustand aufhebt. Deshalb bedürfe es auch einer »Minderheit von Menschen«, die »den Krieg als den ausschließlichen Zweck ihrer Existenz betrachten« und nichts als »Krieger« sind. Die Grenzen zwischen Rhetorik, Symbolpolitik und realer Gewalt werden so verwischt.
Die gesellschaftliche Linke sollte aufhören, die militanten Autonomen mit unpolitischen Termini zu verunklaren. Es kommt darauf an, ihre Ideologie, ihre Strategie und Taktik zu analysieren.
Wie die Positionen von Tiqqun deutlich machen, wird zumindest in Teilen der Szene symbolisch der Bürgerkrieg inszeniert. Die so genannte harte Linie von Polizeieinsätzen, die die Grenzlinie zwischen legitimem Protest und zivilen Ungehorsam und imaginiertem Bürgerkrieg aufhebt, kommt dem entgegen.
Ein von Rauchschwaden bedecktes Frankfurt am Main 2015 und Hamburg 2017, die gewaltsamen Konfrontationen mit der Polizei waren gewollt. Die Mosaik-Linke muss sich die Frage stellen, ob sie im Schatten eines solchen symbolischen Bürgerkrieges erfolgreich gegen neoliberale Politik kämpfen kann.